Waldsterben 2.0 – oder nur das Ende der Holzplantagen?

Wie Naturverjüngung in die Zukunft weist

von Johannes Hansmann* und Bernd Gerken*

Durch Sturm verursachte natürliche Struktur in Form einer kleinen Lichtung in der Leipziger Burgaue 2018. Foto: J. Hansmann

Durch Sturm verursachte natürliche Struktur in Form einer kleinen Lichtung in der Leipziger Burgaue 2018. Foto: J. Hansmann

Es mag manchem unglaublich erscheinen, aber Wälder wachsen schon seit Millionen Jahren von allein. Vor 400 Millionen Jahren eroberten Schachtelhalme und Bärlappgewächse die Kontinente. Seither entwickelt sich Boden samt einer kompletten Lebensgemeinschaft unter den ursprünglichen Wäldern. Den Wäldern verdanken wir ein relativ ausgeglichenes Klima – und wir merken es nicht erst dieser Tage, welche austrocknenden Tendenzen bspw. der agroindustrielle Ackerbau oder die Betonwüsten der Städte fördern.

Den Wäldern verdanken wir auch die Biodiversität dieser Erde, denn natürliche Wälder sind nicht homogen oder monoton, sondern reich an verschiedensten Bereichen und Grenzlinien. Dies verdanken wir u.a. der Tatsache, dass die Natur der Vegetation die Fauna hinzu gegeben hat. Große Weidetiere schaffen artenreiche Lücken im Wald und ergänzen als auch erweitern andere Strukturen im Wald, welche durch Umwelteinflüsse wie Wind, Schnee, Regen, Feuer usw. entstehen. Doch auch kleinste Tiere, wie Insekten, können bei entsprechenden Umweltbedingungen für flächige Auflichtung und somit für neue Lebensräume in Wäldern sorgen.

Przewalski-Pferde in von ihnen gestalteter, fast schon savannenartiger Landschaft bei Koethen 2019. Foto: J. Hansmann

Somit sind natürliche Wälder ebenso dicht wie auch an anderer Stelle und Zeit reich an Lücken oder gar auf größeren Flächen mancherorts und mancher Zeit auf Einzelbäume reduziert und können savannenartig sein. Zwischen den Bäumen weideten und wanderten große Weidetiere umher, die ebenso wie die Naturgewalten dafür sorgten, dass die Wälder sich nicht vollständig auf ganzer Fläche schließen konnten. Aus der Wechselwirkung der großen Weidetiere mit Kräutern, Gräsern, Büschen und Bäumen entstand die für Europa typische Struktur des Waldes, welche aber stets dynamisch blieb und nie still stand: mal dichter, mal lichter, je nachdem, wie die Umweltbedingungen es zuließen. Die gesamte Landschaft war stets in Bewegung und ergänzte das von den ebenso dynamisch fließenden und stehenden Gewässern geschaffene Landschaftsmosaik.

Was sich stets änderte und auch weiter ändern wird, ist – natürlich – die Zusammensetzung und die Ausbreitung der Wälder. Sie mussten (und müssen dies heute noch) sich ja bspw. an das sich stets ändernde Klima anpassen. Es besteht kein Zweifel, dass Wälder sich auch ohne Menschen weiterhin anpassen und entwickeln werden, so man sie nur ließe! Viele Einflüsse spielen dabei eine Rolle und prägen die Lebensgemeinschaften „Wald“ in ihrem Aussehen und ihrer Ausbreitung: die Bodenbeschaffenheit, die darin lebenden Tiere, vor allem aber auch: der Mensch.

Seit der Nacheiszeit hat der Mensch maßgeblich an der Gestaltung der Landschaft gewirkt und auch Einfluss auf den Aufbau der Wälder genommen. Zeitgleich mit der Eroberung der einstigen Tundra-Landschaft durch die natürliche Baumsavanne zogen die Menschen ein. Sie folgten den Spuren der großen Weidetiere, und bereicherten das Landschaftsmosaik um menschliche Siedlungen. Über Jahrtausende fügten sich die Menschen mit ihren Nutzungen in die natürlichen Dynamiken ein.

Durch Flussdynamik gestaltete Aue bei Dessau 1999

Durch Flussdynamik gestaltete Aue bei Dessau 1999. Foto: J. Hansmann

In unserer modernen Zeit, in der wir meinen, wir wüssten alles, wissen wir eigentlich sehr vieles überhaupt nicht. Wann fängt eine Lebensgemeinschaft an, Wald zu sein? Allein diese Frage hat unter Wissenschaftlern schon zu erbitterten Streiten geführt. Und wie viele Arten von Wald mag es geben? Ist der Wald, wie Sie ihn vielleicht kennen und schätzen, natürlicher Wald? Was wäre – ohne menschliches Eingreifen – die natürliche Erscheinungsform des Waldes in Mitteleuropa? Und was konkret ist überhaupt „natürlich“? Derzeit gibt es in Mitteleuropa fast nur “Försterwälder” und nur in Nationalparken dürfen diese sich sehr langsam zu einem natürlichen Vorkommen zu entwickeln (unter „natürlich“ verstehen die Autoren Waldgemeinschaften, in denen natürlich ablaufende Prozesse zugelassen werden).

Der älteste uns bekannte Wald (vor 390 Millionen Jahren) bestand aus drei bis sieben Meter hohen Schachtelhalmen, Bärlapp-Bäumen und Urfarnen. Der kleinste Baum der Welt, die Kraut-Weide, bildet einen “Wald” von nur ca. 10 Zentimeter Höhe. Einer der ältesten lebenden Bäume ist Old Tjikko, 9550 Jahre alt, aber nur 15 Meter hoch.

Wald muss also nicht immer aus hohen Bäumen bestehen, ein uralter Baum muss gar nicht besonders hoch oder dick sein. Wald ist auch heute nie überall gleich, der Leipziger Auwald sieht in der Nonne ganz anders aus als bei den Papitzer Lachen. Manchmal bestehen schon auf wenigen Metern große Unterschiede.

Eremit in der Nonne im Leipziger Auwald Juli 2019

Eremit in der Nonne im Leipziger Auwald Juli 2019. Foto: J. Hansmann

Zudem ändern sich Waldlebensgemeinschaften ständig, da sie dynamische Lebensgemeinschaften sind, in der zahlreiche Lebenskreisläufe unzählbarer Organismen miteinander verknüpft sind. Diese  Waldlebensgemeinschaften stellen sich immerfort auf sich ändernde Umwelteinflüsse ein.

Auenwälder reagieren in besonderer Weise auf die Dynamik der Wasserführung, und Hochwasser bilden für sie keine Störung, sondern sind gestaltender Faktor, dem die Aue ihre Vielfalt und Schönheit verdankt. Hochwasser werden auch dazu benötigt, dass die Aue ihre Aufgabe als Bildner guten Grundwassers erfüllen kann.

Waldlebensgemeinschaften überstehen die stärksten Stürme problemlos. Die durch Orkane geschaffenen Lücken sind die Keimzellen der neuen Generationen der Waldlebensgemeinschaften. Manch seltenes Lebewesen ist sogar dringend auf Lücken, Windbrüche und alte sowie absterbende Bäume angewiesen: dazu zählen viele so genannte Urwaldarten, wie der Eremit, der Mulmbock und der Violette Schnellkäfer. In diesen Jahren, da wir einer Wärmezeit entgegen gehen, gibt es auch im Auwald Trockenschäden, Bäume stürzen um und an ihrer Stelle keimen nun Bäume, die sich auf die neuen hydrologischen und klimatischen Bedingungen einstellen.

Forwarder in der Dübener Heide im April 2018

Forwarder in der Dübener Heide im April 2018. Foto: J. Hansmann

Waldlebensgemeinschaften sind von den Böden, von den Witterungsbedingungen und weiteren Einflüssen abhängig, von denen wir manche erst in diesen Jahren zu erkennen beginnen. So haben Wissenschaftler vermeintlich tote Baumstümpfe entdeckt, welche noch leben, da sie von den umliegenden Bäumen mit Nahrung über die Wurzeln versorgt werden. Auch die Lebensgemeinschaft zwischen Pflanzenwurzeln und Pilzen, die Mykorrhiza, scheint noch viele Überraschungen bereit zu halten. Mit bestehenden Waldgemeinschaften und ihrem Boden sollten wir Menschen so sorgsam wie möglich umgehen und sie erforschen, bevor wir sie weiter mit schweren Maschinen (im Forst Harvester und Forwarder genannt) und Kahlschlägen bzw. Femellöchern vernichten. Wer weiß, was wir Menschen schon alles für waldlebenswichtige Beziehungen, Strukturen und Systeme beschädigt oder gar zerstört haben, ohne es zu wissen?

Von schweren Forstmaschinen zerfahrener und somit auf großer Fläche verdichteter Waldboden im Kanitzsch Frühjahr 2019

Von schweren Forstmaschinen zerfahrener und somit auf großer Fläche verdichteter Waldboden im Kanitzsch Frühjahr 2019. Foto: J. Hansmann

Durch Klimawandel werden auch Waldlebensgemeinschaften existentiell herausgefordert. Aus unserer Sicht können wir die Plastizität der Natur nur bewundern! Das 1980 bis 1990 beschworene “Waldsterben” infolge Luftverschmutzung ist glücklicherweise nicht eingetreten. Die klimatische Entwicklung sollte uns zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der Forstbetriebe führen. Wir sollten den Wäldern eine größere Aufmerksamkeit schenken, als sie nur auf ihren Holzvorrat und die Wertholzproduktion hin auszunutzen. Wir sollten dazu beitragen, dass unsere Waldlebensgemeinschaften anstelle ständiger Manipulation durch Menschen zu einer Eigendynamik finden können – die Natur kann sich nach aller Kenntnis selbst auf die klima-bedingten Änderungen einstellen, besser als wir es vermögen in unserer Unkenntnis. Diese Eigendynamik sollte auch im Auwald Leipzig als einem der letzten seiner Art ermöglicht werden!

Holzacker im Kanitzsch 2019

Holzacker im Kanitzsch 2019. Hierfür wurden Starkbäume gefällt, welche Brutbäume von Eremiten und Rosenkäfern waren. Foto: J. Hansmann

In zunehmendem Maße sehen wir im Auwald Leipzig statt ansprechender Waldbilder mit erkennbarer Naturschutzfunktion reine Holzäcker. Sie werden mit geschädigten Jungpflanzen auf zu großen Femellöcher von den Stadt- und Landesforsten geschaffen, während die Schätze der Wald-Zukunft, die am Rand der Schläge sich einstellende Naturverjüngung, unbeachtet bleibt. Die Zahl des Eichenanteils wird durch solche Pflanzungen mit Tausenden von Bäumchen geschönt, und nebenan werden ältere Eichen “entnommen” – darunter einige, die als Habitatbäume auffallen und im NSG- oder FFH-Gebiet laut nationalem resp. EU-Recht zu erhalten sind. Gesetzlich geschützte Tiere kommen regelmäßig dabei ums Leben.

Das Naturschutz-bezogene Monitoring ist unzureichend. Eklatant zeigte sich die Unkenntnis der Waldlebensgemeinschaft daran, dass wir im Juni 2019 den Eremiten, einen Urwald-Käfer, in der “Nonne” wieder entdeckt haben, wo er angeblich seit ca. 100 Jahren verschollen sei. Dieser Fund müsste zur Folge haben, dass die Nonne nun gezielt systematisch untersucht wird, und sicher gestellt wird, dass künftig kein Habitatbaum des Eremiten gefällt wird. Dabei es geht keineswegs nur um diese eine Art. Die FFH-Kommission der EU hat für die Listen der zu schützenden Arten Leitorganismen ausgesucht. In unserem Fall bedeutet es, dass der Fund von Eremiten ein Indiz dafür ist, dass eine Kette von 50 bis über 200 weiteren Insektenarten mit Bindung an Eiche resp. urwaldähnlichen Situationen ebenfalls in der Nonne auftritt.

Naturferne Aufforstung mit viel Plastik im FFH-Gebiet „Leipziger Auwald“ Januar 2019

Naturferne Aufforstung mit viel Plastik im FFH-Gebiet „Leipziger Auwald“ Januar 2019. Foto: J. Hansmann

Wälder bilden weltweit die Orte der Entstehung und des Erhalts der globalen Biodiversität. Menschen wirken seit ca. 300 Jahren unter der Bezeichnung “nachhaltiger Forstwirtschaft” auf diese Ökosysteme ein. Aber die natürliche Artenvielfalt leidet darunter, denn der Begriff “nachhaltig” bezieht sich nur darauf, dass genug nachwachsendes Holz vorhanden ist, und hat mit dem Ökosystem an sich nichts zu tun. Man müsste zugeben, dass Artenvielfalt und Strukturfülle der Wälder diese Art von Forstnutzung überhaupt nicht braucht. Wenn Nachhaltigkeit in herkömmlich forstlichem Sinn angestrebt wird, genügt vollkommen der Holzacker. Und exakt diese sehen wir, wo immer die Forstwirtschaft Vorrang in der Naturnutzung genießt. Nächste Beispiele sind die allseits bekannten Nadelmonokulturen in Deutschland. Im Berchtesgadener Wald und im Harz kommt man gerade von diesen veralteten Konzepten los – allerdings in dem Freiraum, den das Siegel “Nationalpark” schafft. Leipzig hat mit dem Siegel des großen Naturschutz- und FFH-Gebiets vergleichbare Voraussetzungen.

Femelloch im Waldgebiet „Nonne“ in Leipzig 2019

Femelloch im Waldgebiet „Nonne“ in Leipzig 2019. Laut einem Artikel vom 23.07.19 in der LVZ räumt die Stadt flächige Ausfälle bei den Neuaufforstungen ein. Momentan wird das Areal von standortuntypischen Robinien überwuchert. Dies hätte nicht sein müssen. Foto: J. Hansmann

Die von den so genannt nachhaltigen Wirtschaftswäldern belegte Fläche wurde zur “Holzbodenfläche” degradiert. In diesem herzlosen Begriff verschwand sang- und klanglos die Arten- und Strukturfülle der natürlichen Wälder ebenso, wie im Begriff des Vorfluters die Vielfalt der Auenlandschaft und der Fließgewässer ertränkt wurde. Seit Beginn der “ordnungsgemäß” genannten Ausbeutung der Holzbodenfläche wird mit verengtem Blick mit stark reduzierter Artenvielfalt der Baumschichten gearbeitet. Dass die Forstwirtschaft heute unter einem beachtlichen Erwartungsdruck steht, große Mengen Wertholz zu liefern, macht die Sache nicht einfacher.

Kahlschlag in der Dübener Heide 2018

Kahlschlag in der Dübener Heide 2018. Foto: J. Hansmann

Die gesamte “Holzbodenfläche” Deutschlands mit 11,4 Millionen Hektar hat in den vergangenen rund 300 Jahren ordnungsgemäßer Forstwirtschaft nahezu vollständig natürliche Waldbestände verloren und es wurde dort verhindert, dass sich natürliche Bestände entwickeln konnten.

Wald als Lebensgemeinschaft erneuert sich ganz ohne Zutun der Menschen, und ebenso erweitert sich Wald auch, ohne dass ein Mensch Bäume züchten und pflanzen müsste. Der geneigte Leser kann dies gern, sofern er ein Stück Wiese oder Garten besitzt, ausprobieren, in dem er ab jetzt sofort aufhört, den Rasen zu mähen oder Unkraut zu zupfen. Wenn die Umweltbedingungen stimmen, wird sich mit der Zeit eine neue Waldlebensgemeinschaft einstellen. Selbst auf Brachflächen in Städten kann man dies hin und wieder gut beobachten. In Leipzig bietet dazu der Wilhelm-Leuschner-Platz ein treffliches Beispiel. Dort, inmitten der großen Stadt bietet sich ein Fleckchen Landes, das zum Nutzen der Bevölkerung eine grüne Oase werden könnte.

Kiefernmonokultur in der Dübener Heide

Kiefernmonokulturen sind besonders anfällig gegen Windbruch, Waldbrand und Insektenbefall. Dennoch wird weiter monoton mit Kiefern aufgeforstet. Zukünftige Waldbrände und Windbrüche sind absehbar. Foto: J. Hansmann

Zur Zeit wird viel über den Klimawandel geredet, über kranke Bäume und die vielen Schädlinge, die eine geschundene Natur beeinträchtigen. Man möchte oft meinen, das Ende der Welt stände bevor. Die Autoren dieses Textes sind hingegen optimistisch. Wir sind sicher, dass die Welt wie auch die Menschheit noch ein paar Jahre, Jahrzehnte und sicher auch noch mehr existieren werden, auch wenn nicht zu sagen ist, wie die Welt dann aussehen wird. Aber jeder von uns, und allen voran jene Gruppen und Verwaltungen, in deren Händen die Verfügungsberechtigung über die Holzböden und die übrigen potenziell der Natur verbliebenen Flächen (z.B. Weg- und Straßenränder, Gärten, Parks, Weiden und Äcker) liegen, kann sofort damit beginnen, der Natur mehr Raum zu gewähren.

Femelloch mit Eichen bei Klein-Liebenau

Auch flächig in Reih und Glied aufgeforstete Eichen wie hier bei Klein-Liebenau 2019 sind anfällige und unnatürliche Monokulturen, welche gerade in trockenen und heißen Jahren leiden. Und auch wenn es Eichen sind: wertvoll für die Artenvielfalt werden die Überlebenden erst in über 100 Jahren und mehr sein. Vorher standen hier wertvolle Starkbäume. Foto: J. Hansmann

Zur Zeit haben wir hierbei mehrere Themenfelder, welche in den Medien für Aufregung sorgen. Meldungen über Schadfälle sollte die Presse den Lesenden nicht platt als Katastrophe servieren! Die Katastrophe des Borkenkäferbefalls besteht nicht darin, dass dieser massen- und quadratkilometerweise Fichten- und Kiefernbestände tötet, sondern darin, dass standortfremde Bestände von Menschen wider besseres Wissen gepflanzt wurden! Man hat bewusst artenarme Monokulturen unter dem Vertrauen erweckenden Siegel “ordnungsgemäße Forstwirtschaft” gepflanzt, weil man ein reines Sortiment der Brotbäume Fichte und Waldkiefer anbieten wollte. Das Absterben dieser standortökologisch falschen “Brotbäume” lange vor sinnvoller Endnutzung wird uns jetzt als Kalamität serviert. Und das soll nun auf Staats-, resp. Bürgerkosten entschädigt werden? Damals stammten die Investitionen aus privaten und Steuergeldern, der fachliche Fehler in der Baumartenwahl und dem Strukturtyp monotoner Altersklassenwald war zu gleicher Zeit bekannt.

“Die Trockenheit führt zum Absterben von Bäumen”. Also haben wir einen Schuldigen!

Nun will Frau Klöckner dem Wald mehr Fläche geben – vom Prinzip her dennoch eine gute Idee.

Flächiger Windbruch in der Dübener Heide

Flächiger Windbruch in der Dübener Heide März 2018 infolge des Orkantiefs Friederike. Foto: J. Hansmann

Wenn unsere Gesellschaft nun jedoch Geld aufwendet, um Millionen von Bäumen neu anzupflanzen, werden die Fehler der Vergangenheit nur wiederholt, indem Monokulturen oder sehr artenarme Forsten neu begründet werden. Was dort entsteht, ist wieder kein naturnaher Wald. Es werden als Umweltmaßnahme kaschierte Holzproduktionsflächen entstehen. Artenvielfalt wird dort auf Jahrzehnte voraus bestenfalls eine nachrangige Rolle spielen. Artenvielfalt entsteht nur im Schirm vielfältiger Baumartenmischung. Diese Mischung kann sehr kostengünstig erreicht werden – geben wir der Natur ein paar Jahre!

Aufforstung mit Schwarznuss im FFH-Gebiet Leipziger Auwald

Die Antwort der Forstwirtschaft auf das sich ändernde Klima sind vielerorts flächige Aufforstungen mit standortfremden, aber rentablen Gehölzen wie hier mit der amerikanischen Schwarznuss – selbst mitten im FFH-Gebiet im Jahre 2019. Artenvielfalt ist hier nicht mehr zu erwarten, die einheimischen, bedrohten Tiere wissen mit den fremden Bäumen nichts anzufangen. Solche Flächen sind für die Natur entwertet auf lange Zeit hin. Foto: J. Hansmann

Es ist den Autoren klar, dass eine gewisse Agrarministerin, wenn sie etwas für den Umweltschutz fordert, ihre Agrarförderungsmaßnahme geschickt verkaufen will. Sie sollte aber wirklich auch ans Klima denken. Agrarkulturen fördern Wüstenklima, künstlichen Holzäcker werden ebenso nicht klimastabil sein. Da ist kein Platz für Naturschutz, was die vergleichbar hergerichteten Forstplantagen im Lande beweisen.

Es ist klüger, regional zu schauen, welche Naturverjüngung sich einstellt. Dass diese Naturverjüngung vorhanden ist, beobachten wir, seitdem wir danach in allen Teilen der Leipziger Auen danach suchen. Wir wurden darauf durch Meldungen zum Auwald aufmerksam, denen zufolge es in diesem Auensystem “seit 100 Jahren keinen natürliche Eichenverjüngung” geben soll.  Aber sie ist vorhanden, sie kann von jedermann gefunden werden! Das ist einfach eine Ente, die vermutlich aus Unkenntnis geschah.

Mehrjährige Jungeiche aus Naturverjüngung in der Elster-Luppenaue

Mehrjährige Jungeiche aus Naturverjüngung in der Elster-Luppenaue bei Schkeuditz 2019. Foto: J. Hansmann

Die Autoren finden seit Jahren, und seien diese noch so warm und trocken gewesen, in den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands, ja, Europas, überall die kräftigste Naturverjüngung in all ihren Facetten, so auch im Auwald Leipzig seit 2014 resp, 2017 bis 2019. Welche Baumart sich wo verjüngt, ist regional unterschiedlich, da die erfolgreiche Keimung der verschiedenen Baumarten standortabhängig und jahrweise sehr verschieden geschieht. Dass sie manchmal über viele Jahre ausbleibt, irritiert den kundigen Förster nicht, denn seine Klientel ist langlebig. Stieleiche erreicht ein Alter von 300 bis 500 Jahren – was bedeutet es da, wenn 10 bis 50 Jahre keine Verjüngung kommt? Nichts! Sie kommt mit natürlicher Gewissheit! Auch qualitativ hochwertige Natur-Saat braucht Zeit, und kundige Förster geben sie ihrer Waldnatur!

 

Im Mono-Forst wird nur verlangt – wie im Massenschweinestall – das Gleiche ist eine Monokultur aus Fichte oder Kiefer – sie ist nicht artgerecht.

Ein gesunder, natürlicher Mischwald aus Naturverjüngung in natürlicher Vitalität steht in den Startlöchern, um sich bei Bestand zu halten, damit es auch in 500 Jahren noch alte Eichen gibt, die jetzt keimen. Diese Vorgänge warten landes- bis bundesweit nur darauf, zugelassen zu werden. Unsere Wälder dürfen nicht mehr daran gehindert werden, gesund zu werden! Deshalb dürfen wir auch die Esche nicht daran hindern, sich Abwehrkräfte gegen den aktuellen Schädlingspilz zu erwerben.

Mehrjährige Jungeiche aus Naturverjüngung in der Parthenaue

Mehrjährige Jungeiche aus Naturverjüngung in der Parthenaue in Leipzig 2019. Foto: J. Hansmann

Naturverjüngung hat noch einen andere großen Vorteil. Sie kommt immer aus der Region – der Eichelhäher trägt die schweren Eicheln nicht weit. Regionale Herkunft bedeutet Standortvorteil, denn die Eicheln stammen von Bäumen, die den Standort “kennen”. Jede Region hat ihre eigene Baumgenetik und sie ist das Ergebnis einer Feinanpassung der Arten, die wir uns bei der Verjüngung der Wälder zunutze machen sollen – so macht es die Natur vor! Bei Wanderungen durch das Auensystem Leipzig können wir die “gesunde Uneinheitlichkeit” der Stieleichen zeigen. Wären sie alle gleich, so müssten sie zu gleicher Zeit austreiben, gleich vital sein, zu gleicher Zeit die Blätter abwerfen und zu gleicher Zeit blühen und fruchten. Es fallen verschiedene Typen auf, auch in der Verastung variieren sie. Die Unterschiede sind in einer Baumart- UND Individuen-spezifischen Genetik begründet, die eine Folge jahrhundertlanger Anpassung ist! Die Natur beugt mit diesen innerartlichen Unterschieden wandelnden Klimasituationen vor: Mal werden jene, mal andere Formen aus den verschiedenen Typen sich in den Wäldern durchsetzen. Die genetische Vielfalt an den Wuchsorten zu schützen ist also eine vornehmliche Aufgabe im Forst – im ureigenen Interesse derer, die Wald besitzen. Wenn wir lesen, dass Millionen Bäume gepflanzt werden sollen, dann darf befürchtet werden, dass große Mengen einheitlichen Saatguts eingesetzt werden und damit wird in einem Pflanzschlag auf den offenen, waldfreien, neuen Waldstandorten eine genetisch verarmte Baumgesellschaft begründet. Ein fataler Irrtum im Umgang mit der Waldnatur! Die Tendenz durch eine Kalamität in 50 oder 100 Jahren auszufallen wird mit ins Pflanzloch gegeben.

Eichelmast 2019 in der Nonne im Leipziger Auwald

Eichelmast 2019 in der Nonne im Leipziger Auwald. Foto: J. Hansmann

Die genetische Vielfalt gilt es dringend zu erhalten und zu pflegen, denn je höher die genetische Vielfalt bei unseren Bäumen ist, je höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Wälder sich aus ihrer regional gewachsenen genetischen Vielfalt heraus auf Klimaänderungen einstellen können, denn es werden zur Selektion bereits entsprechend vor-angepasste, natürliche Provenienzen im gesamten Genpool vorhanden sein. Nach diesem Modell erfolgt Auslese der Arten bereits seit den Urzeiten der ersten Wälder. Die Variabilität, die die Wälder in diesen Äonen “gelernt” haben, bietet auch unter dem anthropogenen Klimawandel die beste Voraussetzung zum Überleben der europäischen Wälder. Dass deren Artenzusammensetzung sich mit dem schwankenden Klima ändern wird ist sicher, jedoch verfügen wir nicht über genug Kenntnis, dass wir jetzt schon den Wald der Zukunft in 100 Jahren voraussehen könnten. Es wäre Hybris, Selbstüberschätzung, dies zu glauben. Daraus folgt wiederum: Lasst den Wald sein Ding machen, wirkt vorsichtig mit, aber übergebt die Lenkung der Standortwahl den Bäumen!

Eichelmast 2019 in der Burgaue

Eichelmast 2019 in der Burgaue im Leipziger Auwald. Die Zeit wird zeigen, welche der Eichen groß werden. Foto: J. Hansmann

Für geklonte Bäume mit Wunscheigenschaften nach wirtschaftlicher Verwertung oder gezüchtete Massenware aus Baumschulen, gesetzt in Massenbaumhaltungen unter unnatürlichen Bedingungen, gibt es bei künftig gutem Umgang mit Waldgemeinschaften keinen Bedarf mehr.

Selbst Stieleichen, welche bezüglich der Naturverjüngung immer wieder als problematisch angesehen werden, haben, auch wenn es seltsam erscheinen mag, vom Klima der letzten Jahre in vielen Regionen profitiert; mancherorts findet man junge Eichen mit über zwei Metern Höhe aus Naturverjüngung. Diese Bäume gilt es zu schützen, denn wenn sie bei diesem Klima wachsen, von allein und ganz natürlich, sind sie es, die die Zukunft des Waldes sein werden in Zeiten des Klimawandels. Wiederum auf den Leipziger Auwald bezogen sehen wir berechtigt in der Revitalisierung der Auensystems eine große Chance für die natürliche Wiederkehr eines höheren Anteils an Stieleiche: Auendynamik mit Hochfluten und zeitweilig niedrigen Grundwasserstand fördert die natürliche Ansiedlung der Stieleiche und ihren Aufwuchs in obere Baumschichten.

Die vorgelegten Betrachtungen können nur einen Auszug aus der Argumentation liefern. Wir sind bereit, sie im Einzelnen vertiefend und konkret an Beispielen in der Natur zu erläutern.

Gerne können Sie sich beim 3. Internationalen Auensymposium in Leipzig (9.-12.9.2019) noch weiter über dieses Thema informieren.  Sie sind herzlich eingeladen!

Prof. Dr. Bernd Gerken, Ratingen und Graz

Dipl. Des. Johannes Hansmann, Leipzig

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles, Argumente und Positionen, Auenökologiesymposium, AULA-Projekt2030, Auwald, Presse, Programm, Termine veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.