Die Paddler pausieren – das Problem bleibt.

Und dieses Problem ist von tief greifender, sprich struktureller Natur. Es geht genau genommen nicht einmal wirklich um den Floßgraben, obschon es sich natürlich um dieses kleine und besondere Gewässer dreht. Aber eben nur vordergründig – als Aufhänger für den zu Grunde liegenden Konflikt, der sich in der schlichten Frage ausdrückt: Was ist uns unsere Natur wert? Oder ist Umweltschutz in Leipzig bloß Makulatur? Das Online-Nachschlagewerk Wikipedia zeigt deutlich, woher der Wind weht. In dem Eintrag zum Elsterfloßgraben heißt es unter anderem: „Der Elsterfloßgraben hat in erster Linie Bedeutung als technisches Denkmal. Er ist ein überregional bedeutendes Ingenieurbauwerk mit Leistungen der Vermessung, der Wasserwirtschaft, des Wasserbaus und des Transportwesens. Er stellt mit einer Gesamtlänge von ca. 93 km, wovon noch über 80 km vorhanden sind, das bedeutendste Kanalsystem des 16. Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent dar. Er steht zugleich auch mit 284 Jahren Flößerei für ein fast 300 Jahre erfolgreiches sächsisches Wirtschaftsunternehmen. Einen besonderen Rang für das Neuseenland besitzt in der Leipziger Region das dort noch existierende Stück des Floßgrabens, das offiziell „Batschke – Floßgraben“ heißt.“

Dass hier das Befahren für Mensch und Tier nicht ungefährlich ist, wird mit keiner Silbe erwähnt. Auch der Naturschutzstatus als spezielles europäisches Vogelschutzgebiet (SPA) kommt nicht zur Sprache! Das Denken ist in den Kategorien Wirtschaft und Wirtschaftsgeschichte gefangen. Von unserer aktuellen Stadtverwaltung und verantwortlichen Politik lässt sich nichts Besseres feststellen. Ausschlaggebend im Rathaus sind technische Entwicklungen, Wirtschaftsförderung sowie Fördermittelakquise. Dafür zählen einzig und allein das Wassertouristische Nutzungskonzept – sprich Kurs 1 – sowie der antiquierte Hochwasserschutz. Und beide dominieren sowohl die Tagesordnung als auch den „Lösungsansatz“.

Die Nutzung des Floßgrabens als Wasserstraße für Paddler und Motorboote steht dem gebotenen Naturschutz diametral gegenüber! Der Eisvogel ist ja nur das plakative Aushängeschild für einen bedrohten Naturraum, den es in dieser Form nur noch sehr selten in Europa gibt.

Wenn Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal äußert: „Der Floßgraben hat für den Eisvogel eine sehr hohe Bruteignung. Aus diesem Grund planen wir auch für 2015 eine Allgemeinverfügung über besondere Schutzmaßnahmen“, dann ist das nicht schlecht – aber auch nicht ausreichend. Denn parallel wird an der Verdrängung des Eisvogels, also Umsiedlung mittels künstlicher Brutröhren, gearbeitet. Zudem werden jene Verfügung und die damit verbundene Nutzungseinschränkung nicht kontrolliert. Sie steht also im Wesentlichen nur auf dem Papier. Dazu kommen Einschränkungen der Einschränkungen, also Ausnahmegenehmigungen. Man könnte sagen: Es ist formaler Umweltschutz, der der Natur wenig nutzt!

Ein zweiter, unveränderter Kritikpunkt ist der auf veraltetem Niveau betriebene, technische Hochwasserschutz. Da findet zwar im vergangenen Sommer das Fachforum „Der Auwald braucht Wasser“ im Rathaus statt. Jedoch wird zugleich der Landestalsperrenmeisterei freie Hand gelassen, die überflüssige Deiche rasiert sowie ausbaut und ebenso das Nahlewehr wider festgeschriebenen Absichten saniert.

Jeder Oberschüler lernt im Geografieunterricht, dass Deiche an einigen (wenigen) Stellen unumgänglich sind, aber dass der eigentliche Schutz vor Hochwasserfluten ausschließlich darin besteht, Überflutungsflächen zu erhalten oder zu schaffen, das heißt Deiche zurückzuversetzen. Die Versiegelung von Flächen und das schnellere Abfließen in Vorflutern sind zu reduzieren. Wasser muss langsam versickern können, sonst ist jeder Deich früher oder später zu klein, zu niedrig, zu schwach – wenn nicht in Leipzig, dann weiter flussabwärts. Aber wer sich einem Dogma unterwirft, wird zum dummen Betonkopf und betreibt lieber Propaganda oder schürt falsche Ängste, statt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Also trocknet der Auwald weiter aus, worum neue Wasserläufe in Leipzig nichts ändern.

Besonders bezeichnend erscheint mir jedoch eine Pressemitteilung der Grünen unter dem Titel „Schiffe versenken im Auwald. Schleuse Connewitz ist nicht sicher“. Darin heißt es, die Schleuse Connewitz entspreche nicht den Sicherheitsstandards. Vom Gewässer aus, mit der Einfahrt eines Bootes, seien Rettungswege nicht einsehbar, die anwesenden Mitarbeiter des Bürgerdienstes Leipzig seien keineswegs für Rettungsmaßnahmen ausgebildet. Zudem werde auch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Überwachung mit einer nicht gekennzeichneten Kamera verstoßen.

Demzufolge werde sogar die Sicherheit der Paddler aufs Spiel gesetzt! „An dieser Stelle zeigt sich abermals, dass die Stadt nicht auf die Erfordernisse einer umweltverträglichen touristischen Nutzung des Leipziger Gewässersystems eingestellt ist“, moniert Jürgen Kasek, Vorstandssprecher des Kreisverbandes. „Weder werden die Grundlagen des Umweltschutzes – wie die Diskussion um den Eisvogel gezeigt hat – noch die notwendigen Sicherheitsbestimmungen an der Schleuse eingehalten. Stattdessen wird versucht, nach den Vorstellungen des Wassertouristischen Nutzungskonzepts scheibchenweise eine touristische Nutzung umzusetzen, die so nicht funktionieren kann.“

Die an Spitzentagen bis zu 300 Bootsbewegungen an der Schleuse Connewitz, die für diese Auslastung nicht ausreichend gesichert ist, überschritten die im Wassertouristischen Nutzungskonzept festgelegte Höchstzahl der Nutzungsdichte. Die oben genannte Pressemitteilung ergänzt, dass auch die Unterhaltskosten für die Gewässer im SPA-Gebiet Floßgraben viel zu niedrig angesetzt seien und zahlreiche Beschwerden der Umweltverbände weder aufgenommen noch bearbeitet werden würden.

Was die EU-Beschwerde der Umweltverbände bringt, scheint zweitrangig. Sie ist sicher notwendig und richtig. Vor allem muss die Stadt – müssen vielleicht auch die Leipziger – umdenken. Das Wassertouristische Nutzungskonzept 2006 sollte kritisch überprüft und verändert sowie weitere Eingriffe in das Ökosystem Leipziger Auwald gestoppt werden. „Der Umweltschutz im Auwald muss endlich oberste Priorität haben“, so Kasek abschließend. Ja, aber die Natur kann sich schlecht wehren und nicht die Stimme in eigener Sache erheben. Das müssen andere gegen Politik und Verwaltung tun. Sonst dreht sich der Wind nicht.

Frank Willberg

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