Die Auswertung einer Bürgerumfrage mit seltsamen Einzelfragen: Wie hätten Sie Ihren Auwald gern?

 Auch bei Querfeldein-Tramplern beliebt: Auwald im Frühjahr. Foto: Ralf Julke


Auch bei Querfeldein-Tramplern beliebt: Auwald im Frühjahr. Foto: Ralf Julke

Ein Artikel der Leipziger Internet Zeitung von Ralf Julke: Einmal mehr bedankt sich NuKLA für diese klare Differenzierung.

Frage 44 in der Leipziger Bürgerumfrage 2015 ist zumindest verzwickt. Solche Fragen stellt man normalerweise Bürgern, die tief im Thema stecken. Und Teile der Fragen hätten nach der speziellen “Umfrage zum Leipziger Neuseenland 2014” eigentlich nicht wieder auftauchen dürfen, weil die damaligen Ergebnisse eindeutig waren. Aber es gibt Dezernate im Leipziger Rathaus, die finden eindeutige Aussagen störend, weil sich damit ihre eigene Politik nicht immer vereinbaren lässt. Aber wie holt man sich doch noch so eine Art Zustimmung?

Indem man ein Fragepaket formuliert, das die ganze Sache möglichst verwässert. Und genau das trifft auf Frage 44 zu.

„Früher sind Auen durch natürliche Prozesse immer wieder überschwemmt worden und trocken gefallen (ausgetrocknet). Durch die Eingriffe des Menschen hat sich die Auenlandschaft in den letzten Jahrhunderten gewandelt. Welche Aspekte sind aus Ihrer Sicht für die zukünftige Entwicklung besonders wichtig?“

Schon die beiden einleitenden Sätze sind irreführend. Auen sind nicht nur „früher“ überschwemmt worden und wieder trocken gefallen, das werden sie auch heute noch. Denn Auen sind nichts anderes als Biotope in Flusstälern. Überschwemmungen gehören auch heute noch zu ihrem natürlichen Lebenszyklus.

Den wichtigsten Eingriff, warum Auen trocken gefallen sind, nennt die Frage aber nicht einmal: die Deiche, die große Teile der Auen von ihren Flüssen abgeschnitten haben. Wer in Biologie nicht aufgepasst hat, wird nicht unbedingt darauf kommen, dass sich vor allem das hinter „Eingriffe des Menschen“ verbirgt – nebst der Anlage künstlicher Wehre, Kanäle, Becken und Schleusen.

Wenn die Fragen nicht schon im Herbst versandt worden wären, könnte man glatt das Gefühl bekommen, bei dieser Frage habe der eifrige Glühwein-Genuss auf dem Weihnachtsmarkt mitgeholfen.

Auch die „letzten Jahrhunderte“ für die Eingriffe des Menschen werden nicht eingegrenzt. Sind damit die letzten zwei Jahrhunderte gemeint, die vor allem durch Flussregulierungen geprägt waren? Oder die acht Jahrhunderte davor, in denen die Auenlandschaft erst entstand, weil Tonnen von wertvollen Böden durch die Kultivierung der Felder am Oberlauf in die Flüsse gespült wurden und sich als Auenlehm an den Flüssen im Tiefland absetzten?

Gnädige Geographie- oder Biologielehrer hätten bei solch unkonkreten Fragestellungen früher alle Haare verloren, wohl wissend, dass hier ein paar völlig verkopfte Lehrbuchautoren den Schülern Fragen vorsetzen, die sie selbst nicht begriffen haben.

Denn um welche Art Auenlandschaft geht es jetzt? Die vor den menschlichen Einflüssen irgendwann vor 1.500 Jahren? Die, die bis ins 19. Jahrhundert dann durch menschliche Bewirtschaftung (Viehhaltung, Lehmabbau, Holzgewinnung, Fischerei usw.) entstand? Oder die durch die ganzen Sperrwerke des 20. Jahrhunderts verbaute?

Der Sinn des Kuddelmuddels ist unübersehbar: Die Befragten sollen durcheinander kommen.

Und die Angebote zu dem, was dann für die „künftige Entwicklung besonders wichtig“ ist, gehen komplett durcheinander. Und jeder kann ankreuzen, was er will: Weiterer Ausbau für Motorboote steht genauso drin wie Rückbau von Deichen oder das Verbot wassertouristischer Nutzung auf bestimmten Flussläufen. Aber auf welchen? Das steht nicht da. Es geht wild durcheinander, als würde sich alles mit allem vertragen. Was es aber nicht tut.

Nicht einmal gesetzlich. Denn ein „weiterer Ausbau der Nutzbarkeit der Gewässer für motorisierte Boote“ ist mit allen möglichen Naturschutzgesetzen im Leipziger Auwald verboten. Schlicht verboten. Dieses Angebot unter der Überschrift „Auenlandschaft“ zu machen, grenzt schon an Verantwortungslosigkeit.

Und es lenkt vom eigentlichen Thema ab, das heute im Leipziger Auwald steht. Das kommt in einigen der angebotenen Punkte auch vor, auch wenn sie sich mit dem ganzen Unfug zu Motorbooten und Wassertourismus (ist im SPA-Gebiet Leipziger Auwald ebenfalls verboten) vermengen.

So ein Durcheinander darf ein Günter Jauch anbieten, um seine Millionen-Kandidaten zu verwirren. Aber in einer Bürgerumfrage, die am Ende kompetente Ergebnisse bringen soll, haben sie nichts zu suchen.

Andere Punkte schon. Und um die geht es ja aktuell. Gerade im Zusammenhang mit dem Projekt „Lebendige Luppe“ und der Burgaue haben wir oft genug dazu geschrieben. Diese Punkte gehören jetzt tatsächlich auf die Tagesordnung, wenn es um den Leipziger Auwald geht:

Nr. 3 „intakte Natur bewahren“ Nr. 4 „teilweise Flutung von trocken gefallenen Gebieten“ (Genau das wird jetzt im Projekt „Lebendige Luppe“ versucht.) Nr. 5 „Rückbau von Deichen und kanalisierten Flüssen“ Nr. 13 „Flutungsgebiete für ökologischen Hochwasserschutz schaffen“

Eher überflüssig, weil im SPA-Gebiet Leipziger Auenwald längst schon gesetzliche Pflicht, sind diese Punkte:

Nr. 7 „Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen schaffen“ Nr. 9 „Verbot der wassertouristischen Nutzung auf bestimmten Flussläufen“ Nr. 12 „Artenvielfalt erhöhen“

All das darf man nicht mit irgendeiner Art (wasser-)touristischer Nutzung vermengen. Aber es wird hier wieder gemacht. Und gleichzeitig wird den Befragten noch suggeriert, dass auch die Freizeitnutzung Verhandlungsmasse ist. Das sind diese Punkte:

Nr. 1 „Nutzung als Freizeit- und Erholungsgebiet“ Nr. 2 gleich mal das Gegenteil: „Einschränkung als Freizeit- und Erholungsgebiet“ Nr. 6 „Ausbau des Wander- und Radwegenetzes“

Kein Mensch hat vor, all diese Dinge einzuschränken. Denn auch wenn die Elsteraue komplett unter Naturschutz gestellt ist, heißt das nicht, dass Menschen nicht drin wandern, reiten oder radeln dürfen. Dazu ist das (ausgewiesene) Wegenetz ja da.

Schlichtes Fazit bei dieser Frage: Hier hat sich ein Sachbearbeiter so richtig Mühe gegeben, einen Fragekomplex zu formulieren, der die Befragten völlig in die Irre (oder in den Wald) führt und der deshalb wohl genau das bringt, was der Anstifter der Frage bezweckt hat: Antworten, die alles Mögliche beweisen. Und die im schlimmsten Fall Munition sind für eine Auwald-Politik, die ihren Namen nicht verdient hat.

Es ist nicht die einzige Frage im Fragebogen, die an Unklarheit kaum zu übertreffen ist. Statt wirklich klare und eindeutige Fragen zu stellen, die einer statistischen Erhebung Genüge tun, versuchen einige Leipziger Dezernate immer wieder, über die Bürgerumfrage ihre eigene Politik salonfähig zu machen. 2014 zuletzt erlebt mit der „Charta Leipziger Neuseenland“.

 

 

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