Kritik an den massiven Eschenfällungen in Leipzig

Am Nonnenweg: Wo Eschen standen, wuchert jetzt Niederholz. Foto: Marko Hofmann

Am Nonnenweg: Wo Eschen standen, wuchert jetzt Niederholz. Foto: Marko Hofmann

Leipzig fehlt eindeutig eine Strategie für den schonenden  Umgang mit seinen Auwaldbeständen. Kritik an den massiven Eschenfällungen in Leipzig.

Zunehmend gerät auch der Waldbesitzer Leipzig unter Druck. Und da hilft es am Ende auch nicht, wenn Erklärungstafeln im Wald beschreiben, wie professionell der Holzeinschlag passiert. Denn daran, dass Leipzigs Waldumbau tatsächlich professionell passiert, zweifelt der Verein, der sich besonders um die Rettung des Auenwaldes bemüht: der NuKla e.V. Neues Streitthema: die Eschenfällungen. Die sorgten schon 2016 für heftige Diskussionen. Erst wurde großflächig an der Hans-Driesch-Straße gefällt, dann kündigte Leipzigs Amt für Stadtgrün und Gewässer massive Fällungen im Stötteritzer Wäldchen und in der Nonne an.

Die Fällungen waren so massiv, dass viele Leipziger nur den Kopf schüttelten. Musste das sein? Waren die Gründe, die Leipzigs Förster für die Fällungen der hohen und auenwaldtypischen Bäume vorbrachten, stichhaltig?

Der NuKLA e.V. bezweifelt das. Denn nicht nur Leipzig hat mit dem Auftauchen des aus Asien stammenden Falschen Weißen Stängelbecherchens zu kämpfen, einem parasitären Pilz, der sich augenscheinlich mit dem Temperaturanstieg zunehmend in Europa ausbreitet. Eschen, die von ihm befallen sind und sich gegen dessen Ausbreitung im Gewebe nicht wehren können, sterben ab, Äste werden zu abstürzendem Gefahrgut. Deswegen, so begründete es der Leipziger Stadtforst, müssten die Bäume, die einen Befall aufzeigen, auch großflächig gefällt werden, um die Gefahr für die Spaziergänger zu beseitigen.

Gefällte Eschen an der Hans-Driesch-Straße. Foto: Jan Kaefer

Gefällte Eschen an der Hans-Driesch-Straße. Foto: Jan Kaefer

Aber so resolut gehen nicht alle Behörden vor. Manche holen sich auch verschiedene wissenschaftliche Stimmen ein. Denn oft genug gibt es völlig unterschiedliche Erfahrungen und Einschätzungen. Über die Waldnutzung im Leipziger (Stadt-)Auenwald dachte man auch im Leipziger Rathaus einmal anders. Erinnert sei an die 1992 erschienene Publikation „Der Leipziger Auwald“, in der man auch die wichtige Rolle der Esche als typischer Auwaldbaum betonte. Sie steht dort – anders als etwa der Ahorn – eben nicht als schnellwüchsiger Lückenfüller, sondern gehört seit Jahrhunderten zu den typischen Auwaldbäumen.

Die Frage ist nur: Wie gehen die Leipziger Eschen mit dem Parasiten aus Asien um?

Müssen sie alle in diesem Ausmaß gefällt werden?

Nein, sagt NuKla, und verweist auf ein Untersuchungsprojekt, in dem das Landratsamt Mittelsachen – angeregt durch den Staatsbetrieb Sachsenforst – ein Eschenrevier in der Gemarkung Reichenbach genauer darauf hin untersuchen lässt, wie die Eschen mit dem neuen Parasiten fertig werden. Das Falsche Weiße Stengelbecherchen ist seit 2005 in Sachsen nachweisbar. Und seit 2011 versucht der Staatsbetrieb Sachsenforst herauszufinden, wie sich der Parasit auf ausgewählte Eschenbestände auswirkt.

Denn forstwirtschaftliche Maßnahmen – wie flächenmäßige Fällungen – beseitigen ja den Parasiten nicht wirklich, sie verringern bestenfalls die Gefahr abstürzender Äste und umstürzender Bäume. Und möglicherweise sind sie sogar schädlich, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch Bäume entfernt, die eine Resistenz gegen den Parasiten ausgebildet haben.

Das ist übrigens dasselbe Problem, das die Medizin hat: Jahrzehntelang hat man auf immer stärkere Antibiotika gesetzt, um gegen Bakterien und Viren vorzugehen, als könnte man sie einfach gründlich aus der Welt putzen. Und dann waren Ärzte und Forscher sehr heftig überrascht, dass die bekämpften Schädlinge auf einmal Resistenzen ausbildeten, und zwar sehr schnell und sehr gründlich.

Eigentlich etwas, was jedes Kind im Biologieunterricht gelernt haben sollte: wie schnell sich gerade Mikroben und andere Kleinstlebewesen an neue, aggressive Umgebungen anpassen können. Leben ist eben nichts einmal Fertiggebautes, sondern befindet sich ständig in Interaktion, passt sich an, entwickelt neue Eigenschaften.

Nur da, wo menschliche Chemiekeulen zu stark sind – wie in der industrialisierten Landwirtschaft – werden ganze Ökosysteme zerstört. Dumm nur, dass es auch dort in der Insekten- und „Unkraut“-Welt besonders widerstandsfähige Arten gibt, die ebenfalls neue Resistenzen ausbilden. Ergebnis sind dann Insektenplagen, die sich auch mit der vielfachen Dosis von Glyphosat nicht mehr vernichten lassen. Oder ein widerstandsfähiges Kraut wie der Ackerfuchsschwanz, der nun die weltweiten Weizenernten gefährdet.

Jahrzehntelang hat gerade die Landwirtschaft auf den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden und eine immer gründlichere Bereinigung der Felder gesetzt und dabei alles beseitigt, was Ökosysteme eigentlich stärkt und stabilisiert.

Aber das Denken herrscht augenscheinlich auch in Teilen der Forstwirtschaft. Deswegen sind auch die Auskünfte zur Auenwaldpflege eher karg auf den Seiten der Stadt, umfangreicher wird man über „forstwirtschaftliche Maßnahmen“ unterrichtet. Und das zeigt schon, wie die Gewichte verteilt sind: Forstwirtschaft dominiert, in weiten Teilen wird der Leipziger Stadtwald als reiner Forstwald benutzt.

Hätte man also mit den befallenen Eschen in der Nonne auch anders umgehen können?

Ja, betont Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKla e.V., mit Verweis auf ein Projekt des Naturschutzverbandes Sachsen (NaSa e.V.) im Erzgebirge, wo man auf einem Versuchsfeld die Veränderung durch das Eschentriebsterben dokumentiert.

„Auf einer Referenzfläche unseres Vereins (NaSa e.V.) wird seit Jahren das Eschentriebsterben an einer Erstaufforstungsfläche aus dem Jahre 2003 von der Forstbehörde dokumentiert/ausgewertet“, stellt Wolfgang Stoiber fest. „Es gibt also belastbares Material, wie der Verlauf des Befalls ist: 50 % sind resistent, 40 % befallen, erholen sich aber wieder, 10 % sterben ab und bilden wichtige vertikale Totholzlebensräume.“

Und dann sagt er etwas, was im Leipziger Umgang mit den städtischen Wäldern kaum vorkommt. Irgendwie will man alles selber machen und selber aufräumen – ganz in der alten biblischen Hybris: „Macht euch die Erde untertan.“

Die Geduld, vorsichtiger mit dem Wald und seinen Selbstheilungskräften umzugehen, hat man nicht.

Wolfgang Stoiber: „Wie aus diesen Befunden ersichtlich ist, handelt es sich beim ‚Eschentriebsterben‘ um ein ganz normales Stück Evolution. Das Problem ist nicht so sehr der Pilz, sondern der Mensch, der sich aufgeregt auf ein einzelnes Symptom stürzt, gar mit wissenschaftlichem Eifer, und sich zu Katastrophenaussagen hinreißen lässt – statt die Natur ihre Arbeit machen zu lassen, wozu sie, wie man sieht, durchaus in der Lage ist.“

Im Ergebnis wurde auch in der Nonne ein jahrzehntealter Eschenbestand dezimiert und tatsächlich Freiraum für schnellwachsende Pflanzen wie den Ahorn und Brombeer geschaffen. Die wachsen so schnell, dass die 2016 erzeugten Löcher schnell wieder zugewachsen sind.

Augenscheinlich fehlt in Leipzigs Verwaltung wirklich eine durchdachte und vor allem waldschonende Strategie für den sensiblen Bereich des Auenwaldes.

Ralf Julke, Leipziger Internetzeitung

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.