Stürme als Chancen für den Naturschutz – Forderung nach biotopverbessernden Maßnahmen für Eisvogel & Co. am Floßgraben

Liebe Leser! Zwei Ereignisse haben uns dazu veranlasst, eine Stellungnahme, verbunden mit einer Forderung an die zuständigen Behörden der Stadt Leipzig, zu senden. Zu einem erschienen vor einigen Tagen diverse Zeitungsberichte über neue Erkenntnisse aus dem Leipziger Eisvogelmonitoring, welche wir mit großer Besorgnis gelesen haben.

Toter Eisvogel im Floßgraben am 14.03.18

Während beispielsweise die LVZ am 15.03.18 titelte “Eisvogel pfeift auf den Bootsverkehr”, überwog bei der L-IZ am 16.03.18 eher die Sorge “Eisige Winter setzen dem Leipziger Eisvogel heftig zu”. Laut einer Pressemeldung des Dezernats Ordnung, Umwelt, Sport am 15.03.18 besteht in deren Augen aber kein Grund zur Sorge “Monitoring am Floßgraben: Eisvogel-Population auch 2017 stabil”. Die Bildzeitung dagegen titelte am 15.03.18 “Winter war zu kalt. Jeder zweite Eisvogel erfroren!”

Wir sehen die Erkenntnisse des Eisvogelmonitorings ebenfalls als eher besorgniserregend an denn als positiv, aber nicht nur wegen der Wintereinbußen, sondern weil wir nach einiger Überlegung zur Überzeugung gelangt sind, dass u.U. nicht allein nur kalte Winter Schuld sein könnten an den Bestandseinbrüchen von 2016 auf 2017. Vor allem sind wir besorgt, dass sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen könnte.

Zudem sehen wir die aktuelle Situation am Floßgraben in Folge zweier Stürme im letzten Herbst und gerade ausklingendem Winter als große Chance für biotopverbessernde Bedingungen für Eisvogel, aber auch Libellen, Jungfische und weitere Wasserlebewesen: ganz einfach, in dem man den entstandenen Windbruch im Floßgraben belässt! Dies kostet nichts, im Gegenteil, man spart sogar noch das Geld für die Beräumung, und kann dennoch etwas Gutes für Flora und Fauna erwirken.

Windbruch im Floßgraben im März 2018

Zur Kenntnisnahme für die geneigten Leser unser Schreiben an die Stadt Leipzig:

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An die Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig
Frau Dr. Jirausch, Herrn Axel Schmoll

An das Amt für Umweltschutz der Stadt Leipzig
Frau Angelika Freifrau von Fritsch

 

Stellungnahme zur Situation und künftiger Pflege des Floßgrabens

Hier: Einfluss durch Sturmwurf Friederike sowie Entwicklung der Eisvogelbestände am Floßgraben im Hinblick auf Bootsverkehr

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

bezugnehmend auf den jüngsten Artikel “Überraschende Erkenntnis: Eisvogel pfeift auf den Bootsverkehr” in der LVZ vom 16. März 2018 sowie die Auswirkungen des jüngsten Sturmereignisses “Friederike” erwidern wir wie folgt.
Bezgl. der “Überraschenden Erkenntnis” geben wir zu bedenken, dass diese Aussage als Titelzeile von den Erfahrungen langjähriger Erhebungen an Eisvögeln nicht gestützt wird, die beispielsweise seit den 70er von Mitgliedern der Fachschaft für Ornithologie in Freiburg/Brsg. am Oberrhein sowie Nebenflüssen aus dem Schwarzwald, der ABU Soest in Westfalen an der Lippe sowie einer Arbeitsgruppe an der Alme, Sauer und Altenau in Ostwestfalen (Ulrich Eichelmann, Atteln) getätigt wurden. Wir halten die Aussagen bzgl. des Schutzes der Eisvögel im Leipziger Auwaldsystem für nicht zielführend, sondern beschönigend.

Der Eisvogel wird im LVZ-Beitrag als “Singvogel mit viel Freizeit” bezeichnet: Das kann so gewiss nicht formuliert werden. Frau Dr. Bunzel-Drüke hat in ihrem Vortrag anlässlich des 1. Internationalen Auensymposiums in Leipzig 2017 ausdrücklich erklärt, dass Eisvögel, wenn sie in der Brutsaison “Zeit haben”, mehrere Partner und Gelege haben können. Das bedeutet: die vermeintliche “Freizeit” wird häufig ausgenutzt, um mit jedem verfügbaren Partner so viele Nachkommen wie möglich zu zeugen (bspw. durch Schachtelbruten). Dieses Verhalten macht auch Sinn, da der Eisvogel durch viele Nachkommen den Verlusten natürlicher Hochwasser und kalter Winter entgegen wirken muss. Diese Vögel brauchen so viele Kinder wie möglich, da sie ja immer damit rechnen müssen, dass die Population in einem der kommenden Winter fast komplett zusammen bricht. Laut Heyder 1962 gab es z.B. nach dem hartem Winter 1954/55 gar keine Eisvögel in Sachsen mehr. Wir werden uns diesbezüglich noch weitergehend kundig machen.

Wir weisen auch darauf hin, dass Frau Dr. Bunzel-Drüke in ihrem Vortrag explizit darauf hingewiesen hat, dass häufig besetzte Brutplätze besonders geschützt und das Störungen v.a. zwischen Mitte April und Ende Juli vermieden werden sollten. Sie hat in ihrem Vortrag zudem mehrfach erklärt, dass Brutplätze, welche häufig besetzt werden, sehr wertvoll sind für den Gesamtbestand, weil der Bruterfolg dort doppelt so hoch ist wie bei anderen, weniger häufig besetzten Brutplätzen.

Sie hat zudem ausführlich erklärt, dass die Bruten gerade in der Zeit des Huderns besonders empfindlich sind gegenüber längeren Störungen (v.a. durch Paddler, Angler etc.), da die Elterntiere, wenn beispielsweise Wasserwanderer längere Zeit vor der Höhle verweilen, diese Höhlen nicht anfliegen aufgrund ihrer hohen Fluchtdistanz. Auch wenn in dieser Zeit Eisvögel gesehen werden, geschieht dies nur, da die Altvögel verzweifelt in der Nähe der Höhle auf und ab fliegen und warten, dass die Paddler verschwinden. In dieser Zeit kühlen die Jungen aus; je nach Witterung und Verweildauer der Menschen vor der Höhle schneller oder langsamer. Bisher hatten wir offenbar Glück, dass es durch Störungen zumindest laut Gutachten keine direkten Einbußen gab, aber es ist nachvollziehbar, dass die Jungvögel geschwächt und unter Stress groß gezogen wurden und deswegen die Mortalität im ersten Winter zusätzlich erhöht sein könnte.

Der Gutachter Kipping vermittelt offenbar die Auffassung, der Bootsverkehr würde die Eisvögel nicht beeinträchtigen. An anderer Stelle des Berichts wird – in krassem Widerspruch dazu – mitgeteilt, dass die Sperrzeiten weiterhin wichtig wären, besonders zu Feiertagen und Wochenenden. Also beeinträchtigt der Bootsverkehr die Eisvögel doch bei zu hohem Verkehrsaufkommen, nur wird es nicht ausgesprochen.

In der Legende zum Bild heißt es “der Eisvogel (macht) sein Fütterungsverhalten nicht von der Anzahl der Boote im Floßgraben abhängig.” Ergänzend heißt es “An manchen Tagen mit Bootsverkehr gab es sogar mehr Fütterungen als an störungsarmen Tagen”. Wenn vermehrt Fütterungstätigkeit bei Bootsverkehr dokumentiert wird, kann das eher bedeuten, dass die Vögel unter Stress durch die Boote zu vermehrter Fütterung angeregt werden, wobei die Effektivität der Fütterung herabsetzt sein kann. Dass Boote definitiv Stress erzeugen, die Vögel zu teilweise weiten Flügen abseits ihrer Höhlen oder Jagdgründe veranlassen, davon kann sich jede/r Paddler/in überzeugen. Diese Widersprüche aufzulösen gelang aber offensichtlich nicht durch das im Artikel beschrieben intensivierte Monitoring.

Gutachter, Stadt Leipzig wie auch der LVZ-Artikel teilen mit, dass der Bootsverkehr offenbar nicht der Eisvogelpopulation schadet. Gleichzeitig sagt die Leiterin des Umweltamtes, dass die Datenmenge zu klein sei, um endgültige Schlüsse aus den Zahlen zu ziehen. Ergo ist die Aussage, der Bootsverkehr würde der Eisvogelpopulation nicht schaden, nur eine Vermutung seitens Gutachter und Stadt Leipzig. Könnte es eine Vermutung sein, die ins Bild passt, denn es besteht seitens der Stadtverwaltung Interesse daran, Bootsverkehr auf die Leipziger Gewässer zu ziehen (siehe WTNK, Hafenausbau, Leipzig-Boot, Störstellenbeseitigung, etc.)?

Es ist zudem absolut fragwürdig, wie man titeln kann, die Population wäre nicht beeinflusst worden und es ginge dem Eisvogel gut, wenn man gleich darauf in diesem Artikel vermerkt, die Population sei von 2016 zu 2017 um die Hälfte zurückgegangen.
Bezüglich der Population des Eisvogels in Leipzig lesen wir “Nach dem Rekordjahr 2016 mit 20 erfolgreichen Brutpaaren (die bis zu dreimal pro Saison sechs bis sieben Küken aufziehen)…“ Ist diese Aussage nicht als durch Beobachtung im Gebiet begründet, sondern aus der Literatur übernommen? „…haben sich die Eisvogel-Bestände in Leipzig im vergangenen Jahr halbiert. Grund dafür seien strenge Fröste im Januar 2017 gewesen, sagte Kipping. Solche Schwankungen seien aber nichts Ungewöhnliches. Etwa 70 Prozent der Jungtiere überlebten den ersten Winter nicht. Die gute Nachricht: Am Floßgraben ließen sich 2017 zwar nur zwei Brutpaare nieder, sie konnten jedoch fünfmal Nachwuchs aufziehen. 2016 waren es bei vier Brutpaaren nur ebenso viele Jungtiere.”
Der Zusammenbruch der Population um die Hälfte wird mit dem kalten Winter begründet. Der Winter 2017 war aber nicht besonders kalt. Im 10-Jahres-Vergleich zählte der Winter 2016 zu 2017 sogar zu den wärmeren Wintern. Im laufenden Winter 2017/18, mit einer ausgeprägten Kälteeinbruch im aktuellen Vorfrühling, dürften wir mit einem noch stärkeren Rückgang rechnen.

Möglicherweise haben wir 2018 nur noch ein Brutpaar? Dieses ist zumindest zu befürchten. Viele der einjährigen Eisvögel der vergangenen Brutsaison könnten nicht über den Winter gekommen sein. Uns liegt derzeit ein Totfund vor, der nach dem ersten starken Frost gesichtet wurde (Anlage). Bezogen auf Sachsen lohnt es, sich für jedes Paar einzusetzen, denn der gesamt-sächsische Bestand ist so stark nicht. Laut SMUL gibt es in Sachsen ca. 500 bis 700 Brutpaare. Für ein Bundesland ist das nicht viel.

Das Szenario für 2019 könnte noch düsterer werden, wenn noch eine Kälteperiode bis Sommer 2019 hinzu kommt – dann könnte es am Floßgraben gar keinen Eisvögel mehr geben.

Wir empfehlen daher dringend, jede Möglichkeit zu nutzen, die Habitatbedingungen für die Eisvögel zu verbessern. Normalerweise wird ab Mitte März schon mit dem Bau bzw. der Renovierung der Bruthöhle begonnen. In diesem Frühling kann absehbar erst jetzt, Ende März, angefangen werden. Vorher ist der Boden noch gefroren, was auch ungünstig ist. In dieser Brutsaison erfährt der Eisvogel also sehr wahrscheinlich eine Verkürzung des Brutzeitraums.

Der Eisvogel ist eine Art des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie der EU. Er wird auch auf der roten Liste als in Sachsen “gefährdet” geführt. Er ist schutzbedürftig wie der gesamte Leipziger Auwald und seine Gewässer.

Sturmwurf durch Friederike
Blicken wir über den speziellen Bewohner Eisvogel auf die Landschaft am Floßgraben, so will der jüngste Sturmwurf durch Friederike beachtet werden.

Der Sturm Friederike hat sich über dem Floßgraben ausgetobt. Unter anderem ist eine mächtige Eiche ins Wasser gestürzt, und zahlreiche einzelne Bäume liegen über dem Floßgraben: Der Floßgraben hat durch dieses Ereignis den Optimalzustand eines beruhigten Wald-Gewässers für den Eisvogel und die gesamte Fauna und Flora erhalten. Doch ist diese Situation durch Einwirken Interessierter und vermutlich auch des Forst bereits gemildert: es wurde eine gewisse Durchgängigkeit für Boote wiederhergestellt.

Empfehlung des Umgangs mit dem Sturmwurfholz
Der Floßgraben ist kein Bestandteil des Gewässernetzes im Dienste des Hochwasserschutzes, für den man die natürlicher Weise im Sturm umgefallenen Bäume am und im Floßgraben womöglich entfernen müsste. Es ist daher nicht erforderlich, den Floßgraben nach diesem Naturereignis zu beräumen. Die Stämme könnten also liegen und der naturnahe Zustand eines optimalen Lebensraumes erhalten bleiben. Wir empfehlen deshalb herzlich, sowohl die alte Eiche als auch die Sturmwurf-Bäume der natürlichen Sukzession zu überlassen. Wir haben gesehen, dass inzwischen teilweise beräumt wurde – weitergehend sollte nichts geschehen!

Eine weitere Begründung dafür, die Sturmwurf-Bäume zu belassen, ergibt sich aus der Schutzbedürftigkeit der ufernahen Böden und Lebensgemeinschaft: Eine Entfernung der Bäume erfordert technisches Gerät, mit dem die Uferzone beträchtlich belastet würde. Selbst bei mittlerem Frost würden durch die zum Einsatz kommenden Fahrzeuge starke Schäden in der Lebensgemeinschaft des Auenbodens und der Kraut- und Strauchvegetation entstehen. Darauf sollte im Interesse des Naturschutzes und auch des ungestörten Waldbildes verzichtet werden.
Resumée

Belassung des Sturmwurfholzes soweit als möglich im Floßgraben: Dies dient sowohl einer naturnahen Entwicklung der Flora und Fauna im Übergangsgebiet Wasser-Land, und es dient direkt der Verkehrsberuhigung im Gewässer – die Eisvogelpopulation benötigt definitiv eine Schonphase. Auch andere bedrohte Arten wie bspw. Libellen dürften von den neuen Ansitzmöglichkeiten profitieren.

Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der vergangenen Monitoring-Maßnahme sehen wir eine Fortführung der Untersuchung wie in 2017 als nicht erforderlich an.

Hingegen ist genauer als bisher auf die Überwachung der Sperrzeiten zu achten. Die Bürgerinnen und Bürger sind entsprechend zu informieren, und sie werden die Aufforderung zur Schonung befolgen, wenn diese konsequent überprüft wird.

Wir stehen zu weiterem fachlichen Austausch zur Verfügung
und sehen Ihrer Antwort gerne entgegen.

Mit freundlichen Grüßen,

Johannes Hansmann, Prof. Dr. Bernd Gerken
Sächsisches Aueninstitut für Mitteldeutschland, NuKLA e.V.

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