Eine Stadt, in der nichts ist, wie es scheint

Foto: J. Hansmann

Wie Till Eulenspiegel den Leipziger Kürschnern eine Katze anstatt eines Hasen verkaufte oder Eine Stadt, in der nichts ist, wie es scheint. Von Johannes Hansmann. Es gibt diese schöne alte Sage, in der Till Eulenspiegel einst nach Leipzig kam und den Leipziger Kürschnern einen Streich spielte. Während einer gemeinsam durchzechten Nacht hörte er sie sagen, dass ihnen der Sinn nach Wildbret stände. Da ging Eulenspiegel zu seiner Herberge, lieh sich die fette Katze des Wirts und nähte sie in ein Hasenfell ein. Weiterhin verkleidete sich Eulenspiegel als Bauer und marschierte so samt des vermeintlichen dicken Hasen zum Rathaus und wartete, bis einer der Kürschner kam. Für vier Silbergroschen und sechs Pfennige verkaufte Till dem Leipziger, dem der Zahn schon tropfte, den fetten Hasen in einem Sack. Beseelt von der Vorstellung von einem schönen Hasenbraten eilte der Kürschner zum Haus des

Zunftmeisters, wo man sich, so berichtet die Sage, schon wieder bei einer fröhlichen

Foto: J. Hansmann

und lauten Zusammenkunft eingefunden hatte. Zum Zeitvertreib beschloss man, den Hasen in einem eingezäunten Garten laufen zu lassen, um mit Jagdhunden auf Hasenjagd zu gehen. Nur lief der vermeintliche Hase nicht davon, sondern sprang auf einen Baum und rief laut „Miau!“. Als die Kürschner dies vernahmen, sollen sie gerufen haben: „Kommt, kommt! Lauft schnell, ihr lieben, guten Zunftgenossen! Der uns mit der Katze geäfft hat: schlagt ihn tot!“

Doch Eulenspiegel hatte sich bereits schon wieder umgezogen, sodass er unbekannt entkommen konnte.

Aber vielleicht ist er ja wieder gekommen, hat viele Kinder, die so sind wie er war – und einige von ihnen kamen nach Leipzig? Dort sollte es doch genug Possenspiel zu sehen und zu betreiben geben?

Es mag sein, dass es so ist.

Aktuell gibt es viele schöne Pläne zum Umbau des Leipziger Auwaldes, und mit vielen schönen, aber leider einseitigen und nicht wirklich umfassenden Studien wird dieser Umbau auch wissenschaftlich untermauert. Nur kranken die Argumentation wie auch die Studien an so manchen Widersprüchen und auch Unvollständigkeiten. Mögen diese aus Absicht so entstanden sein? Oder sind sie vielleicht auch mehr Ergebnis von Systemfehlern in Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft? Wir mögen dies nicht zu beantworten.

Man kann sagen: es wird seit Jahren geforscht und konzeptioniert, aber so viele Aspekte und ganze Gebiete der Aue wurden eben auch nicht erforscht und nicht beachtet.

Man plant einen forstwirtschaftlichen Umbau, der Naturschutz und (Forst-)Wirtschaft vereinen will, zum Besten aller. Nur, dummerweise, wurde bei diesem das absolut Wesentliche an einem Auwald nicht berücksichtigt: die natürliche und freie Flussdynamik.

Es gibt sie nun schon fast über 100 Jahre nicht mehr, und trotz so zahlloser Lippenbekenntnisse ist eine Revitalisierung der Leipziger Fließgewässer, wo nur irgend möglich, nicht einmal ansatzweise und im besten Sinne wirklich in Sicht. Nur die Lebendige Luppe (so hoffen wir) ist am Entstehen, jedoch sei diesem Projekt auch zu wünschen, dass es die vielen Chancen ergreifen kann, die vorhanden sind. Ohne diese Chancen würde es eher wieder viel zu klein werden. Deshalb würden wir dem Projekt sogar wünschen, dass es noch weitaus größer werden darf, als es aktuell geplant ist.

Jedoch, ob es das jemals werden darf? – Und wer eigentlich hätte das Sagen? Aber das Sagen könnte gar nicht so wichtig sein, als – das Verständnis dazu?

Nun lassen die (forstwirtschaftlichen) Planungen im weitaus größeren Teil des Auwaldes darauf schließen, dass dabei eine jegliche Flussdynamik und größere, wieder belebte – und keinesfalls „vernässte“, wie so oft zu hören –  Areale für die nächsten 100 bis 200 Jahre nicht mal als Möglichkeit angenommen werden. Immerhin, wir hörten auch, in anderen Zusammenhängen, es gelänge die Wiederbelebung der Leipziger Auen nicht vor 60 Jahren – aber alle drei Zahlenräume sind zu groß, als dass sie uns Menschen wirklich verständlich werden. Wir überschauen gerade mal eine Legislaturperiode und kennen selten unsere Uromas und Uropas! Für den Leipziger Auwald sind solche Zeiträume jedenfalls groß – zu groß ohne Notwendigkeit – denn wer sich einmal ans Nahle-Auslassbauwerk begibt, der mag es getrost fragen: „warum gibt es dich noch?“ – Und das Bauwerk wird keinen plausible Antwort darauf wissen, als die, dass wenige Menschen meinen, es müsse dort stehen. – Und „plausibel“ ist DAS nicht.

Eigentlich kann man bei all´ dem kompliziert Gemachten einem Förster hierbei auch keinen Vorwurf machen. Er ist der Planer, der mit den Gegebenheiten rechnet, die vorhanden sind und danach seine Planungen ausrichtet. Wie soll er auch mit aktuell noch nicht Existentem rechnen – ganz egal, ob es das vor 50, 100 oder 200 Jahren einfach von Natur aus gegeben hat? Wie soll er also „wieder“ mit lebendigen, d.h. von fließendem Wasser erfüllten alten oder neuen Fließen rechnen, mit überbordendem und sich ständig änderndem Wasser sogar, das als Hochflut wie um 1900 auf anliegender Postkarte aus der „Seenstadt Leipzig“ in Wort und Bild für alle Zeiten dokumentiert? Wie unvorstellbar kann einem Förster vom Lande, oder einem, der nur Nicht-Auen bewirtschaftete, ein Wald sein, der ganz natürlich von Hochwasser durchströmt wäre – selbst wenn es „plötzlich“ sein Wald wieder so erlebte? Er kennt ihn wie er momentan ist – seit Jahren und immer noch im Trockenen liegend – und wohl wissend, dass es seitens der Stadt nicht mal Überlegungen gibt, ihn zu neuem Leben als Auenwald zu erwecken… Wie sollte er es verstehen, da er doch jährlich wiederkehrende Lippenbekenntnisse vermittelt bekommt, denen zufolge die Stadt die Wiederbelebung will – und sogar an herausragender Stelle im Internet davon berichtet … . Übrigens vermutet ihr, liebe Leserin und lieber Leser, nun sehr zu recht, dass Eulenspiegels darauf nächstens mal genauer eingehen. Das Possenspiel lockt doch allerorten in Leipzigs Dschungel der Verlautbarungen, Absichtserklärungen und Schleiergesellschaften.

Ja, wir sprachen vom Schicksal des Försters, der nicht recht weiß, was denn mit seinem Wald ist und geschehen soll, wo er doch immerhin berechtigt und richtig weiß, dass er JETZT passend Eichen und Hainbuchen pflanzt, denn die brauchen keine Aue – und er bewirtschaftet ja keine! Also passen die Eichen, Hainbuchen und es passen auch die vielen Winterlinden … – Er pflanzt das alles auf Femellöcher, die keine Löcher, sondern ihrer ökologischen Wirkung nach kleine Kahlschläge sind. Seine Vorgänger mögen darum gewusst haben, oder es sogar erlebt haben, dass Hochwasser und Niedrigwasser dazu gehören. Für ihn ist der Wald normal … keine Aue, folglich ohne Hoch- und Niedrigwasser.

Jedoch, denn jede Medaille hat ja zwei Seiten, es könnte jener Förster, der kraft Amtes Planer wie Durchführungs-Bestimmender ist, auch fordern „Macht meine Waldungen wieder zu echten, lebenden Auen! Erst dann will ich diesen großen Wald mit bedeutender Tradition pflegen und – erst dann kann ich ihn seiner natürlichen Bestimmung nach auch nutzen!“ Er müsste dann nicht mehr erzählen, er wolle die Aue entwickeln, er könnte direkt dazu beitragen.

Wenn man genauer in die Aue schaut, bemerkt man, dass es sehr große Areale gibt, die mit alten Flüssen, Senken, Wasserläufen und Lachen förmlich durchsetzt sind. Und es gibt sogar alte Bäume, denen die Menschen ihre besondere Geschichte ansehen können: Es sind hier und da alte Stieleichen, Eschen und Schwarzerlen, ja sogar Pappeln, denen man ansieht, dass sie natürlich in weitläufigen Auen keimten und ein-zwei Jahrhunderte schon wachsen durften!

Alle diese Gebiete und ihre ehrwürdigen alten Bäume, so sagen manche, und es argwöhnt vielleicht sogar der Förster auch, wären prinzipiell bei einer richtigen Revitalisierung der Aue nicht mehr forstlich nutzbar bzw. nur eingeschränkt. Wer so argwöhnt übersieht die jahrhundertelange Nutzung der Auen zu keineswegs nur der Holz“wirtschaft“, sondern zu weitaus mehr. Zu diesem „mehr“ zählt heute ein Angstfaktor, das „Hochwasser“, das zu einer mächtigen Gefahr geriet. Staatliche Ämter stimmten damals zu, den Aue ihre Hochwasser zu nehmen, diese auf Kanäle zu begrenzen und – auf diese Weise wurden die Gewässer erst gefährlich! Auch in Leipzig ist die Weiße Elster nun technisch bedingt so gefährlich, dass z.B. am Palmengartenwehr ein warnendes Schild steht. Es gibt viele solche Schilder sogar überall in Europa, wo die Menschen vor den gefährlich gewordenen Flüssen gewarnt werden müssen.

Was geriet denn da so schief und falsch? Flüsse sind ihrer Natur nach gar nicht gefährlich, sondern wären Städte wie Köln, Frankfurt am Main und Leipzig erst gar nicht an ihren Ufern entstanden! – Flüsse waren also die Freunde der Menschen, die ihnen fruchtbares Land vor die Haustüre servierten und mit reicher Spende an Fisch, Wild und Holz (!) dienten. Leonardo da Vinci beschrieb schon vor 500 Jahren den Weg, wie Menschen mit Flüssen umgehen sollten, um sich ihre Freundschaft zu erhalten:

„Weil der Fluß umso schneller wird und den Damm umso mehr zernagt und zerstört, je gerader er ist, deshalb ist es nötig, solche Flüsse entweder stark zu verbreitern oder sie durch viele Windungen zu schicken oder sie in viele Zweige zu teilen.“

Leonardo da Vinci, 1452 – 1519

Auch in Leipzig entstand also aus einem Auenwald ein eher normaler Wald. Aber so ganz normal war er nicht und ist es bis heute nicht. Es gibt eben diese alten Bäume und die Flußschlingen überall im Wald. Und deshalb hören wir es tönen, Leipzig schätze seinen Auwald und wolle ihn schützen und erhalten. Und wenn nun zur Zeit keine Auen-Lebensbedingungen mehr erfüllt seien, so kam als Kompromiss die Idee mit der Mittelwaldwirtschaft auf. Diese einst überall in Europa betriebene Waldnutzungsform hielt sich in den schwerer bewirtschaftbaren Auen, z.B. am Oberrhein, länger als in Wäldern, die abseits der Flüsse nicht den Wechsel von Hoch- und Niederigwasserzeiten erfahren mussten. Und deshalb sagt man jetzt in Leipzig, dass in vielen Auen die Mittelwaldwirtschaft der Ursprung der Artenvielfalt im Leipziger Auwald gewesen sei. Und so solle es nun wieder werden! Dabei ist in allen noch halbwegs funktionierenden Auen quasi vom Nordpol bis zum Südpol einzig und allein die Wasserdynamik der Garant für Artenvielfalt. Soweit zu hören und zu lesen, ist die Kernzone im Biosphärenreservat Mittlere Elbe seit dem Wegzug eines der Verfasser aus dieser schönen Region noch vielmehr ein Hort der Artenvielfalt geworden – ganz ohne Forstwirtschaft, allein durch noch halbwegs funktionierende Flussdynamik. Das lässt sich sehr schön an der Eiche beschreiben. Die Stieleiche als typische Baumart der Auen wird in Europa von einer sehr artenreichen Lebensgemeinschaft begleitet, und das gilt, wo und in welcher Mischung sie auch immer auftritt – doch die höchste Artenvielfalt erreichen die Eichenbestände eben wirklich dort, wo die Wasserstände auentypisch schwanken!

Wenn man nun diesen Lebensraum „Leipziger Auwald“ von der Pflanzenzusammensetzung und Bewirtschaftungsform so weiter ausrichtet, dass dort Bäume gesetzt werden, welche eher auf trockenen Standorten stehen, zwar in Auen auch vorhanden sind, aber dort nur am Rand oder höher gelegenen Arealen, aber nicht mehr von Hochwassern erreicht werden können, dann ist es auch logisch, dass diese neue Lebensgemeinschaft, welche man dort mit hohem technischen und z.T. sogar mit wissenschaftlichem Aufwand wohlmeinend installiert, ohne Wasserdynamik keine Aue und auch kein Auwald mehr sein wird.

Sicher macht man dies nicht, weil man den Leipzigern einen Streich spielen will. Man macht es, weil man nicht mehr weiter weiß. Man meint, es wäre eine gute Kompromisslösung und bietet sie an „Seht, wir tun etwas für den Naturschutz!“ Man agiert aus einer eigentümlichen Bedingtheit aus einem System heraus, dessen Mängel und Begrenztheiten man akzeptiert hat. Obwohl das Wasser draußen vorm Wald vorbeifließt – und bis heute wird manchmal gewarnt, wenn es in den zu engen Kanälen mal höher steigt – dann kann man den Bürgern die Gefahr des Flusses sogar zeigen, zu der er der engen Kanäle wegen erst gemacht wurde.

Auch der Kompromiss mit dem Mittelwald oder den Femellöchern, die man durch herausschlagen alter Eichen und Eschen und wegschneiden der jungen Ulmen erzeugt, um Eichen künstlich zu vermehren …, all´ dies macht aus der Katze immer noch keinen Hasen und aus einem gepflanzten Eichen-Hainbuchen-Forst mit Linden entsteht auch kein Auwald.

Tragisch an allem ist auch, dass in diesem FFH-Gebiet bedrohte und streng geschützte FFH-Arten weder untersucht wurden (obwohl doch angeblich alles so genau erforscht ist!) noch auf diese Tiere wirklich Rücksicht genommen wird bei den forstlichen Maßnahmen. Es ist doch die Aufgabe eines FFH-Gebiets, eben diesen FFH-Arten dort Raum zu geben und ihnen eben nicht ihre Heimat zu nehmen. Nicht zu vergessen, dass wir es hierbei auch mit Arten zu tun haben, die immer seltener werden… es sollte doch alles getan werden, um sie ihren Bedürfnissen entsprechend eher noch zu fördern.

Und so müssen wir zugucken, wie der Auwald Leipzig mit jeder „Hiebssaison“ in naher und weiter Zukunft immer weniger Auenwald sein wird. Genauso wenig, wie das Gohliser Schlösschen kein Schlösschen ist, im Rosental keine Rosen wachsen, der Fockeberg kein Berg ist, sondern eine Müllhalde – und die Pauliner Kirche ist keine Kirche.

So gesehen passt es ja auch, wenn der Auwald kein Auenwald mehr ist. Tragisch aber nur, das man sich dabei so viele Chancen verbaut. Die Weichen werden schon seit Jahren so geplant und nun weiter in diese Richtung gestellt, und man will offenbar nicht mal mehr darüber nachdenken, dass wir hier im Leipziger Auwald ganz andere Möglichkeiten hätten. Sogar die Brücken dürfen weiterhin so flach über die kanalisierten Gewässer führen, dass sich nicht nur die Fahrradfahrenden und Fußgänger drunter durch-ducken müssen (wir Menschen machen doch viel mit, oder?!), sondern auch weniger Platz für eine irgendwann dann doch mal erfolgende Wiederbelebung der Weißen Elster und der Luppes und ihrer alten Auenwälder erfolgen  w i r d . Die Zufahrtswege zu den Baustellen werden in diesen Tagen bereits frei gemacht mit Motorsäge und Bagger.

Vor allem wird es fatal sein, einen trocken liegenden Auwald, also letztlich ein komplexes, wenn auch ruhendes System, derart massiv umzubauen ohne seine Wasserdynamik und ohne ihn selbst im Ganzen erforscht und begriffen zu haben. Man sagt, man wüsste alles, es sei so viel geforscht worden, und die forstliche Arbeit sei also wissenschaftlich abgesegnet. Aber, wenn eines sicher ist, dann, dass wir Menschen eigentlich sehr vieles nicht wissen. Und das wissen z.B. gerade WissenschaftlerInnen ganz genau! Vielleicht können wir vieles (derzeit) auch (noch) nicht wissen, da wir wahrscheinlich auch für vieles noch gar nicht die Mittel oder den Blickwinkel haben, um manches zu erkennen. Sokrates wusste schon: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Oder um es mit Schillers Worten zu sagen:

Astronomen seid ihr und kennet viele Gestirne,

Aber der Horizont decket manch Sternbild euch zu.

Katzen sind sehr schöne Tiere. Vom Prinzip her ist nichts gegen eine Katze zu sagen. Aber das macht dennoch keinen Hasen aus ihr.

Johannes Hansmann, in Zusammenarbeit mit Bernd Gerken.

 

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