Zur öffentlichen Diskussion um den Leipziger Auwald

Femelschlag im Waldgebiet Die Nonne. Foto: Ralf Julke

Bezugnehmend auf:

Die Bemerkungen zur Femelwirtschaft und Mittelwaldumwandlung im Leipziger Auwald als praktizierte Methoden zur Eichenverjüngung von Prof. Dr. Pierre Ibisch und Dipl. Forst-Ing. Karl-Friedrich Weber vom 04.12.19

Die schriftliche Stellungnahme des Dipl.-Biologen Stefan Michel zur Begründung des Forstwirtschaftsplans durch den umweltpolitischen Sprecher Michael Neuhaus vom 04.12.19

Den Artikel „Streit um Baumfällungen im Leipziger Auwald geht weiter“ am 05.12.19 in der LVZ

Sehr geehrte Stadträte und Stadträtinnen der Stadt Leipzig,

in Anbetracht der öffentlichen Diskussion bitten wir Sie darum, den Forstwirtschaftsplan 2019 abzulehnen.

Warum?

Es bestehen eindeutig fachliche Differenzen bei Wissenschaftlern und Naturschützern. Dieses sollte ordentlich in einem der fachlich schwierigen Sache angemessenen Diskurs und ohne zeitliche Anspannung geklärt werden. Auch wenn einige Wissenschaftler der festen Überzeugung sind, mit den geplanten forstwirtschaftlichen Methoden würde man das Beste für einen deutschlandweit, vielleicht weltweit einzigartigen Auenwald tun, bedeutet dies nicht, dass dem so ist. Nicht nur wir, Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann, haben sehr starke, fachliche Bedenken. Auch andere Wissenschaftler und Naturschützer sehen den Forstwirtschaftsplan äußerst kritisch. Wir könnten es nicht mit unserem Gewissen vereinbaren, wenn wir Sie nun nicht nochmals bäten, diesen Plan abzulehnen.

Im Artikel „Streit um Baumfällungen im Leipziger Auwald geht weiter“ am 05.12.19 wird der Eindruck erweckt, es hätten sich nur Prof. Dr. Pierre Ibisch und Dipl. Forst. Ing. Karl-Friedrich Weber zu Wort gemeldet, und da diese Fachkollegen als Externe keinen tieferen Einblick in die Standortbedingungen hätten, wäre ihre Kritik nicht zutreffend. Aber auch Herr Michel als langjähriger Kenner des Leipziger Auwaldes (seit den 1990er Jahren!) kritisiert diese Pläne. Dass Prof. Dr. Bernd Gerken, der den Leipziger Auwald ebenfalls schon einige Jahre mehrfach jährlich intensiv besucht, die forstwirtschaftlichen Maßnahmen in eben diesem Auwald kritisch sieht, wie sie in dieser Weise stattfanden und stattfinden sollen, wurde schon mehrfach dargelegt. Sie finden hierzu Vorträge und Filme, und es bestand und besteht Gelegenheit auf Exkursionen im Auwald die Position kennen zu lernen.

Auch Johannes Hansmann als langjähriger ehrenamtlicher Naturschützer kann nicht empfehlen, diesen Forstwirtschaftsplan so zu bestätigen, wie er für die kommende Saison vorgelegt wurde. Erhebungen zu bedrohten Arten im vergangenen Sommer zeigen, dass die Datenlage zu streng geschützten FFH-Arten leider mangelhaft ist. Hansmann konnte zeigen, dass frühere Erhebungen entweder nicht mehr aktuell oder unvollständig sind, doch so benutzt bzw. dargestellt werden, als wäre die Artendokumentation ausreichend. So gibt es neu entdeckte Lebens- und Reproduktionsstätten bspw. des Eremiten auch in den Bereichen, in denen man intensiv im Rahmen sogenannter Sanitärmaßnahmen eingreifen will. Herr Hansmann war nur entlang offizieller Wege und Straßen unterwegs, er hat im Naturschutzgebiet nicht die Wege verlassen, da er aber schon allein dort, in dem deshalb sehr schmalen Gebietsausschnitt, mehrere neue Reproduktionsstätten gefunden hat, ist zu vermuten, dass auch abseits der Wege noch viele unbekannte sogenannte Brutbäume existieren. Auch die Datenlage zur Verbreitung der Mopsfledermaus, speziell betreffs der Lage der Quartierverbünde der Wochenstubengemeinschaften, ist unzureichend. Daher kann Schaden an Brutbäumen, Quartierverbünden von Wochenstubengemeinschaften und damit auch der Tod dieser streng geschützten Arten nicht ausgeschlossen werden. Der Schutz darf sich aber derzeit keineswegs  nur auf aktive Habitatbäume beschränken, es müssen auch Habitatbaum-Anwärter bereits vorausschauend erhalten bleiben! Es besteht aufgrund der mangelnden Datenlage die Gefahr, dass wichtige Habitatbaum-Anwärter für diese FFH-Arten in direkter Nähe der aktuell besiedelten Brutbäume und Quartierverbünden der Wochenstubengemeinschaften für die Zukunft in zu geringer Zahl zu Verfügung stehen. Das bedeutet eine zukünftige Entwertung des FFH-Gebietes für diese FFH-Arten. Die so genannten “FFH-Arten” sind als Schirmarten definiert, die stellvertretend für schwerer erkennbare oder auffindbare Arten kartiert werden, d.h. “Schirmarten” stehen für eine spezifische Artengemeinschaft: Für Schirmarten nicht ausreichend vorzusorgen zieht auch eine Entwertung des Lebensraums und der Erhaltungschancen für die spezifische Artengemeinschaft mit weiteren, auch für den Auwald gebietstypische Arten, nach sich.

Wir fassen diesen Text für Sie kurz zusammen. Bitte stimmen Sie dem FWP nicht zu, da

 

  1. es zahlreiche begründete fachliche Bedenken gibt
  2. es sich bei den geplanten forstlichen Maßnahmen um intensive Maßnahmen handelt
  3. sich dringend die Zeit genommen werden sollte, um den fachlichen Diskurs in der notwendigen Intensität konstruktiv weiter zu führen bevor man solch intensiven Maßnahmen durchführt
  4. wir Zeit brauchen, um die Datenlage betreffs der Lebens- und Reproduktionsstätten zu verbessern, bevor darüber entschieden werden kann, ob und in welchem Umfang forstliche Maßnahmen wo durchgeführt werden können, um allen Schutzzielen des Auensystem Leipziger Auwald zu genügen.
  5. es auch andere Möglichkeiten gibt, die Baumart Stieleiche im FFH-Gebiet, so man es wollte, zu fördern, als dafür weitere so genannte Femellöcher oder Mittelwaldflächen zu schlagen und Baumschulpflanzungen zu begründen. Vielmehr wird dringend empfohlen, weniger invasiven Möglichkeiten zu prüfen und
  6. vorrangig auch bei forstlichen Maßnahmen den seit Jahrzehnten gestörten Wasserhaushalt des Auengebiets zu berücksichtigen!

Mit Punkt 6 weisen wir ausdrücklich daraufhin, dass die für den Erhalt und die Regeneration des seit 1930 nur noch potenziellen – d.h. seither in Umstellung befindlichen – Auwaldes erforderliche Primärmaßnahme die Revitalisierung des Auenstandorts ist. Mit forstlichen Maßnahmen allein kann kein Auenwald wieder hergestellt werden. Ein Auenwald kann nur regeneriert werden und erst dann als solcher ggfs. weiter bewirtschaftet resp. gepflegt werden, wenn die Standortbedingungen soweit als möglich wieder hergestellt werden konnten. Wir sind davon überzeugt, dass dies mindestens für weite Teile der Nordwestaue und sogar für weitere Gebiete südlich des Gewässerknotens möglich ist – doch seit Jahren sind dafür erforderliche Untersuchungen überfällig. Laut Selbst-Beschreibung des Projekts Lebendige Luppe kann dieses das erforderliche Umfassende nicht leisten.

Zum o.g. Artikel in der LVZ.

Dieser Artikel vom 24.11.2019 schenkt den zahlreichen Kritikpunkten am FWP keinerlei Beachtung. Stattdessen lesen wir nur von angeblichen Ungereimtheiten und angeblich falschen Zahlen, aber worin konkret diese bestehen und ob sie wirklich falsch sind, darüber schweigt sich der Artikel aus. Unseres Wissens sind die von uns genannten Zahlen richtig, folgen aus den uns bekannt gewordenen Aufstellungen des Forstamts etc. Eine Beteiligung an der Forschung durch Prof. Dr. Pierre Ibisch, Dipl. Forst. Ing. Karl-Friedrich Weber, Herrn Michel und auch uns macht nur Sinn, bevor derart invasiv in den Auwald eingegriffen wird. Wenn im Auwald jedoch nur ansatzweise die Hiebsmengen in dem Umfang entnommen werden, wie es laut FWP geplant, können bereits beträchtliche Schäden verursacht worden sein.

Es ist sehr bedauerlich und durchaus befremdlich, dass anscheinend weder von Prof. Wirth noch von der Stadt auf die berechtigte Kritik zahlreicher Fachleute aus Leipzig und außerhalb Leipzigs eingegangen wird. Auch ist es schade und zudem unverständlich, dass man sich auf dem FSC-Siegel ausruht. Dieses ist bekanntlich weltweit umstritten, weil sogar noch echte Urwälder in anderen Ländern gerodet und als FSC-Holz verkauft werden konnten und offenbar auch absehbar weiter verkauft werden.

Wir empfinden es als außerordentlich befremdlich, dass in diesem Artikel offiziell Unwahrheiten über den Verein NuKLA e.V. verbreitet werden, die andernorts bereits als Fake-Meldung entlarvt wurden. Dies kann im Internet beim Verein mimikama nachgelesen werden. Mimikama bezeichnet sich als Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, und diese Quelle sollte ernst genommen werden. Man kann sich freilich bei gutem Willen auch direkt in Leipzig selbst über den Fake-Charakter der Darstellungen über NuKLA kundig machen. Wir können bestätigen, dass keine Jugendlichen angestellt wurden. Sie wurden auch nicht für die Teilnahme an einer Demo bezahlt. Es wurde unseres Wissens nach Teilnehmern an einem Kunstprojekt, welches auch zeitlich vor der eigentlichen Demonstration stattfand, lediglich eine Aufwandsentschädigung gewährt. So ist es übereinstimmend in der Gegendarstellung des Vereins NuKLA e.V. ebenso nachzulesen wie in der Fake-Meldung des Vereins zur Aufklärung über Internetmissbrauch – mimikama.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum im genannten Artikel nicht auf unsere und fachliche Kritikpunkte externer Kollegen eingegangen wird, und warum man statt dessen Unwahrheiten verbreitet.

Es bedarf dringend weiterer fachlicher Diskussion, dazu braucht es Zeit für Besinnung, Überblick und Einblick, die allen zu gewähren ist, die über die Maßnahmen der kommenden Jahre entscheiden bzw. diese fachlich im Rahmen einer FFH-angemessenen Gebietsbehandlung begleiten werden.

Bis diese fachliche Diskussion mindestens erkennbar aussichtsreich aufgenommen wurde, bezeichnen wir den FWP als fachlich indiskutabel und abzulehnen.

Wir stehen Ihnen Dienstag bis Freitag nächster Woche gern für Rückfragen zur Verfügung – und ebenso auf Anfrage in den kommenden Monaten.

Mit freundlichen Grüßen,

hochachtungsvoll

Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann

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