Wald ist mehr als die Summe seiner Teile

Blick auf das Gelände der Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg. Michael Wolf, Penig, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Es ist Weihnachtszeit, viele Menschen haben sich schon seit Tagen auf ihr Weihnachtsfest vorbereitet. Aber an einigen Orten in Deutschland engagieren sich Menschen dessen ungeachtet weiter unverdrossen für ihre Wälder. In Brandenburg wird immer noch über den Wald bei Grünheide gestritten, von welchem weitere Bereiche für eine Autofabrik gefällt werden sollen.1 Erneut gibt es Protest, nicht nur seitens der Anwohner, auch seitens von Natur- und Umweltschutzverbänden.

Oft ist zu lesen, dass es doch um die Nadelwälder bei Grünheide nicht schade wäre – die könne man doch abholzen. Es seien letztlich doch nur recht monotone Forstkulturen. Ob das nun auf allen betreffenden Flächen so ist, wäre zu prüfen. Aber selbst wenn sich dort „nur“ montone Forstkulturen befänden, würden diese dennoch immer noch besser für die dortige Trinkwasserschutzzone sein, welche sich dort laut Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) befindet.2 Und nach wie vor scheint es auch klar zu sein, dass diese Autofabrik dauerhaft sehr viel Wasser verbrauchen wird, und die Frage, wo dieses Wasser herkommen soll, scheint zumindest laut Medienberichten noch lange nicht geklärt zu sein.3 Zudem scheint auch der Wald bei Grünheide Heimat seltener und streng geschützter Tiere zu sein, Zauneidechsen (geschützt nach FFH-Richtlinie Anhang IV, streng geschützt nach Bundesnaturschutzgesetz, Art auf der Vorwarnliste der Roten Liste Deutschland) und Schlingnattern (geschützt nach FFH-Richtlinie Anhang IV, streng geschützt nach Bundesnaturschutzgesetz, Art auf der Roten Liste Deutschlands).4

Also auch wenn dieser Wald, oder Forst, oder Monokultur (oder alles drei?) bei Grünheide vielleicht keine besonders alten Bäume aufweist und für viele Menschen stellenweise nicht spektakulär aussieht, scheint er mehr als nur die Summe seiner Teile zu sein. Aber weder diesen Wald, die Zauneidechsen noch die Schlingnattern wird es im kommenden Jahr 2021 noch geben – wirtschaftliche Interessen sind offensichtlich wichtiger.

Urbaner junger Wald mitten in Leipzig, Alter ca. 20 Jahre. Foto: J. Hansmann

Wald ist immer auch das Versprechen eines Neubeginns. Auch junger Wald hat seinen Wert und seine Daseinsberechtigung. Wald kann viel bedeuten – und vielleicht ist es die Vielfalt seiner (natürlichen) Gesichter, die Wald liebenswert wie auch oft schwer greifbar machen. Wald bedeutet auch immer Hoffnung. Selbst wenn lichte Pionierwälder auf Schuttflächen, ehemaligen Tagebauflächen oder einst verwüsteten mondartigen Truppenübungsplätzen keinen monetären Wert für die Wirtschaft haben, können sie durchaus dennoch Lebensraum so manch bedrohter Art sein und durchaus auch einen ökologischen Zweck im Haushalt der Natur erfüllen. Selbst einst von Menschenhand mehr oder weniger aufgeforstete Wälder können, wenn die Entwicklung im Laufe der Zeit dementsprechend verlief, nach Jahrhunderten sehr imposante Wälder mit zahlreichen bedrohten Arten werden. Viele alte Wälder, vor denen wir heute mit Ehrfurcht stehen und die wir manchmal aus Urwald bezeichnen, waren vielleicht einst von Bauern gepflanzte und definitiv später genutzte Hutewälder.5 Und sogar einstige Monokulturen können sich durch Sukzession in äußerst interessante (Vorstufen von) Wälder verwandeln. Teile des Nationalparks Bayerischer Wald beweisen dies.6

Dennoch: alte Wälder sind letztendlich weitaus seltener als junge Wälder und alte Bäume bieten einer weitaus größeren Anzahl an Arten eine Heimat als junge Bäumchen.7 Alte Wälder haben auch schon ohne den Klimawandel große Probleme, leiden unter Isolation und stets fehlen fast europaweit komplette Teile des Gesamt-Netzwerkes, die aber für das Ökosystem Wald relevant wären. In der Regel erhalten Wälder in Deutschland auch fast nie die Chance, alt zu werden. Alte Wälder sind so selten, dass wir Menschen vieles heute schlicht noch nicht wissen (können). So wissen wir vielleicht nicht einmal, wie alt Bäume wirklich werden können, wie alt ein Wald werden kann und wie ein Wald ganz ohne menschliches Zutun bei Vorhandensein aller Bestandteile des Ökosystems aussehen würde nach vielen Jahrhunderten. Vieles können wir nur erahnen und vermuten.

Wenn durch die Trockenheit der vergangenen zwei Jahre nun manch alter Baum gestorben ist oder es noch tun wird, ist das tragisch. Gerade deswegen sollte man nun alles tun, alte Bäume, alte Baumbestände und alte Wälder zu schützen – und zwar nicht als einzelne kleine Objekte, sondern als Lebewesen in einer vernetzten Umwelt, deren Umfeld eine wesentliche Rolle spielt für die Gesundheit und das Altwerden der Alten. Es ist bspw. zu hoffen, dass die Heiligen Hallen in Mecklenburg-Vorpommern nicht noch mehr Schaden nehmen durch die unbotmäßige Auflichtung in ihrem Umfeld.8

Ökologisch sinnvoll: liegendes Totholz in der Burgaue im Dezember 2020. Foto: J. Hansmann

Aber wenn nun mancherorts ein alter Baum sterben wird, oder gar ein ganzer Bestand, ist dies nicht zu ändern – aber dennoch sollten wir auch in und auf die Zukunft schauen, die all zu oft schon als Naturverjüngung in den Startlöchern steht. Wenn es weiterhin für alte Bäume, alte Baumgruppen und alte Wälder Menschen gibt, die sie schützen und wir Menschen es vor allem auch anderen Bäumen und Wäldern, die jetzt gerade erst im besten Alter stehen, heute ermöglichen, dass diese in Zukunft alt werden können, wird es auch in den Zeiten, die da kommen werden, noch und wieder alte Bäume und Wälder geben. Wie diese dann aussehen, wie viele es sein werden und welche das sein werden, wissen wir nicht: Sicher wird sich die Welt bis in die ferne Zukunft noch mehrfach wandeln, aber tut sie dies nicht schon immer?

Wo ein alter Baum aber sterben wird, ist das Trauern angemessen, doch dürfen wir nicht vergessen: als Lebewesen, eingebettet in eine Lebensgemeinschaft, war er ein Teil, die Lebensgemeinschaft aber als Ganzes ist mehr als die Summe ihrer Teile – und das Ganze gilt es zu schützen – vor allem auch die Zukunft, die unter dem Schirm des Alten bereits Knospen trägt.

Wir wünschen Ihnen allen noch einen letzten schönen Weihnachtsabend und einen guten Rutsch,

Ihr Aueninstitut für Lebendige Flüsse

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