Der Leipziger Auwald im Klimastress

Leipziger Auwald im Sommer 2020

Leipziger Auwald (Burgaue) im Sommer 2020. Foto: J. Hansmann

“Ein Biodiversitätshotspot an der Belastungsgrenze – Naturschutz und Klimawandel im Leipziger Auwald” (Link) von C. Wirth et al. (erschienen in Biologie in unserer Zeit 1/2021, S. 55 ff.)

Anmerkungen von Bernd Gerken*, Johannes Hansmann**, Axel Schmoll*** und Stefan Michel****

In der Ausgabe 1/2021 der Zeitschrift „Biologie in unserer Zeit“ ist ein sehr interessanter Fachartikel über den Leipziger Auwald erschienen. Allerdings fehlen einige relevante Informationen zum Thema, ohne die das Bild der Lage im Leipziger Auwald nicht vollständig ist. Auch wollen wir gern durch das Korrigieren von Falschinformationen dazu beitragen, dass diese in Zukunft nicht noch weiter verbreitet werden – es möge der Qualität zukünftiger Artikel über den Leipziger Auwald dienlich sein.

Direkt zu Beginn des Artikels (Seite 55 der Zeitschrift) konstatieren die Autor/-innen: “Eine Waldfläche entsprechend derjenigen des Saarlands ist der Trockenheit und Hitze der beiden Jahre 2018 und 2019 zum Opfer gefallen”.
Es ist unstrittig, dass Dürren und Klimakrise zu starkem Stress in vielen Waldökosystemen führen. Es stellt sich jedoch die Frage, warum nicht der eindeutig größte Verursacher dieser Schäden benannt wird, nämlich die vorherrschende intensive Forstwirtschaft. Zum Opfer gefallen sind weniger „Waldflächen“ als vielmehr naturferne, labile Nadelholzforste bzw. –plantagen sowie in geringerem Umfang auch durch intensive Forstmaßnahmen der Vergangenheit gestörte Wälder.

Eine Kritik an der Forstwirtschaft findet man im gesamten Artikel nicht. Dabei ist hinlänglich bekannt, wie empfindlich Nadelholzforsten auf Sturmwurf reagieren und dass sie durch Borkenkäfer großflächig geschädigt werden können. Die Ansprüche der Fichte an ihren Standort sind bekannt, und folglich haben Waldbesitzende und Forstwirtschaft die Nicht-Eignung ignoriert oder hingenommen, begleitet von der Hoffnung „das wird schon gut gehen“. Auch andere waldbauliche Sünden der Vergangenheit wurden durch die Dürre oftmals schonungslos offengelegt, und in der Tat leiden auch intensiv beforstete Laubwälder besonders unter der Dürre.

So wird auf S. 60 (Linke Spalte etwa Mitte) von „Fichtenwäldern des Tieflandes“ gesprochen, die laut Thünen-Institut betroffen seien (das Thünen-Institut ist dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL unterstellt). Jedoch ist die Bezeichnung falsch, denn es gibt, bis auf extrem seltene Ausnahmen wie die Lausitzer Tieflandsfichte, unter den Klimabedingungen in Mitteleuropa keine (natürlichen) Tiefland-Fichtenwälder, sondern ausschließlich standortfremde Fichtenforste. Auch die Buche sei besonders betroffen. Eine genauere Analyse hinsichtlich der Betroffenheit der Buche erfolgt jedoch nicht. Von der Dürre betroffen sind v.a. Buchenbestände, die durch Schirmschlagverfahren destabilisiert wurden (siehe z.B. diverse Publikationen von Norbert Panek; den Autor/-innen Wirth et al. sei die Lektüre dieser Schriften empfohlen). Das Ignorieren der Forstwirtschaft als wesentlichstem Faktor für Wald- bzw. Forstschäden ist umso bemerkenswerter, als dass es sich bei dem Artikel nicht um eine Publikation aus einer forstlichen Fakultät handelt, sondern aus einer biologischen Fakultät, sogar mit dem Schwerpunkt „funktionelle Biodiversität“.

Carl Gustav Carus - Frühlingslandschaft im Rosenthal bei Leipzig

Carl Gustav Carus – Frühlingslandschaft im Rosenthal bei Leipzig. Das Gemälde stammt von 1814. Carl Gustav Carus, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Autor/-innen konstatieren (S. 55, Spalte rechts ab Mitte): „Der Hartholzauenwald ist natürlicherweise von der Stieleiche (Quercus robur), den drei Ulmenarten und der gewöhnlichen Esche geprägt.“
Dem kann gefolgt werden und dies entspricht auch der gängigen pflanzensoziologischen Lehrmeinung (z.B. Ellenberg, H, 2010), auch wenn aufgrund historischer Dokumente durchaus vermutet werden kann, dass unter einer natürlichen Flussdynamik auf dem Gebiet des heutigen Leipziger Auwaldes die Weichholzaue mit Weiden- und Pappelarten dort bis ins 19. Jahrhundert hinein entlang der Flüsse ebenso gebietsspezifisch war. Vor allem die Weide wurde sogar jahrhundertelang waldbaulich gefördert (Weidenheger). Allerdings sind diese Bereiche der Weichholzaue durch die umfangreichen Flussregulierungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts weitestgehend verschwunden. Bis ins 19. Jahrhundert wurden v.a. Baumweiden auch waldbaulich genutzt!

Nordwestliche Ansicht von Leipzig

Nordwestliche Ansicht von Leipzig, Saxonia Museum für saechsische Vaterlandskunde. Band 2. Dresden: Pietzsch und Comp. Der Stich stammt von 1836. Wie auf vielen anderen Stadtansichten ist auf dieser eine Wiesenmahd (Bildmitte) abgebildet. Auch innerhalb des Auwaldes wurde Gras gemäht, die sogenannte “Gräserei” war jahrhundertelang sogar eine der Hauptnutzungen im Leipziger Auwald neben der allgegenwärtigen Waldweide. Eduard Sommer, Public domain, via Wikimedia Commons

Auf S. 56 (rechte Spalte, oben) wird dann formuliert: „Die Struktur und der Baumartenreichtum geht auch auf die historische Waldnutzung zurück, die Bewirtschaftung als sogenannter Mittelwald…“. Diese Nutzungsform habe „den natürlichen Baumartenreichtum bewahrt“ und die „wichtigen starken Stieleichen mit ausladenden und totholzreichen Kronen hervorgebracht.“
Dass der Leipziger Auwald anthropogen geprägt wurde, wie alle Wälder in Deutschland, ist unzweifelhaft. Eine Mittelwaldnutzung im Sinne einer „geordneten“ Forstwirtschaft erfolgte nachweisbar jedoch nur im Zeitraum von ca. 1820 – 1870, also 50 Jahre, was lediglich ca. 10% der Lebensspanne einer einzelnen Eiche entspricht. Zwar gab es schon im 17. und 18. Jahrhundert Reformversuche, eine geordnete Mittelwaldwirtschaft einzuführen, diese aber wurden aufgrund von Kriegen (v.a. 30-jähriger und 7-jähriger Krieg) jeweils nur ansatzweise und für begrenzte Zeitabschnitte umgesetzt. Somit war diese kurze Mittelwaldzeit keinesfalls besonders prägend, und zudem wirkte sie auch nur in einigen Bereichen. Das Nutzungsmosaik wird in früheren Bereichen sehr heterogen gewesen sein und war bis ins 19. Jahrhundert durch v.a. landwirtschaftliche Nutzungen geprägt (Gräserei, Waldweide etc.). Das Mosaik vor allem auch der Standorte, die Menschen in unterschiedlicher Weise nutzen oder nicht nutzen konnten (aufgrund der Flussdynamik), garantiert allein schon die Tatsache, dass die Leipziger Aue damals eine lebendige Auenlandschaft war. Die Dynamik der einstigen Weiße Elster- und Luppe-Läufe können wir heute noch an den Gerinneformen studieren. Häufig überflutete Bereiche wurden kaum bzw. nur sehr extensiv genutzt. Hierzu gibt es in historischen Quellen zahlreiche Belege. Forstreformer des 19. Jahrhunderts forderten aus ebendiesen Gründen sogar die Trockenlegung des Leipziger Auwaldes, um in entsprechenden Gebieten waldbaulich besser arbeiten zu können.

Eine der charakteristischsten Hude-Eichen in der Burgaue. Foto: J. Hansmann

Wer ehrlich danach sucht, der kann heute im Leipziger Auwald kaum bis gar keine typischen Mittelwaldstrukturen mehr finden. So wird z.B. die Burgaue von Eichen geprägt, die von der Baumarchitektur für einen Hochwald typisch sind, stellenweise sind Hude-Eichen sowie Mischformen zu finden. Mehrstämmige Eschen, Hainbuchen, Feldahorne, wie sie in einem durchgewachsenen Mittelwald zu finden sein müssten, sind gar nicht vorhanden. Ausgerechnet in diesem Gebiet hat man seit 2008 die sogenannte Mittelwaldumwandlung im Zuge einer völlig verfehlten Planung begonnen. Die Fortsetzung dieser Maßnahme am definitiv falschen Ort wurde dank des OVG-Urteils Bautzen vom 16. Juni 2020 jedoch gestoppt. Die Behauptung, dass die Mittelwaldnutzung den natürlichen Baumartenreichtum bewahrt haben soll, ist in sich widersprüchlich (wie soll, zudem derart pauschal-selbstverständlich formuliert, eine Nutzung den natürlichen Artenreichtum bewahren?) und zudem rein spekulativ und inkonsistent (zur Zeit der damaligen Mittelwaldnutzung war noch eine Überflutungsaue vorhanden, zudem waren die bäuerlichen Nutzungen mit Viehweide vor dem 19. Jahrhundert weitaus prägender als die reine Holznutzung).

Wie würde der Leipziger Auwald heute aussehen, wenn er nicht anthropogen überprägt worden wäre? Wir wissen es nicht! Wir wissen aber schon, dass nicht genutzte Wälder, Urwälder, eine besonders hohe Lebensraum- und Artenvielfalt aufweisen (Biodiversität). Es ist also eher zu vermuten, dass auch der Leipziger Auwald ohne bisherige Nutzung biodiverser wäre als dies jetzt der Fall ist. Insbesondere ist davon auszugehen, dass urwaldtypische, stenöke Arten (die i.d.R. auch besonders stark gefährdet sind) in stärkerem Maße vertreten wären. Bei der Bewertung eines Waldbestandes bzgl. seiner Biodiversität geht es überdies nicht nur um die reine numerische Anzahl an Arten auf einer bestimmten Fläche (Definition https://www.greenpeace.de/biodiversitaet ). Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Autor/-innen, die sich in ihrer Fakultät schwerpunktmäßig mit funktioneller Biodiversität beschäftigen, in einem Artikel über Naturschutz und Klimawandel den Begriff Biodiversität nicht derart eindimensional interpretieren würden.

Nur als Randnotiz sei erwähnt, dass es sich bei der Harth nicht um einen „südlichen Ausläufer des Leipziger Auwalds“ handelt, wie fälschlicherweise zu Abb. 1 b) angegeben. Dies Gebiet war und ist kein Auwald (historisches Foto Mittelwald), sondern war (heute ist es ein Teil der Tagebaufolgelandschaft) ein geschlossenes Waldgebiet auf einer sandigen Erhebung zwischen den Auen von Weißer Elster und Pleiße. Dies ist in zahlreichen Quellen nachzulesen und hat sogar Eingang in den Wikipedia-Artikel über die Neue Harth gefunden (https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Harth).

Carl Gustav Carus - Überschwemmung Im Leipziger Rosental

Carl Gustav Carus – Überschwemmung Im Leipziger Rosental. Das Bild ist nicht datiert, Carus lebte aber von 1789-1869 und hat in seiner Lebenszeit offensichtlich noch weitläufige Überflutungen erlebt. Carl Gustav Carus, Public domain, via Wikimedia Commons

Auf S. 57 wird die Entwässerung der Leipziger Aue durch Siedlungsbau, Bau der Neuen Luppe usw. erläutert. Es wird erläutert, dass heute am Waldboden und den unteren Baumschichten der Berg- und Spitzahorn (und Ulmenarten) dominieren. Dass die Entwässerung die Ahornentwicklung antreibt, ist unzweifelhaft. Es wird in dem Artikel jedoch nicht erläutert, dass der Ahorn insbesondere dort stark zunimmt, wo intensive Forstwirtschaft betrieben wird, z.B. im Ratsholz (z.B. Altdurchforstung 2014 im Wolfswinkel, Altdurchforstungen südlich Paußnitzlache und zwischen Weißer Brücke und Floßgrabenmündung) oder ganz extrem in den bereits realisierten sogenannten Mittelwaldumwandlungsflächen im NSG Burgaue. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, genügt auch ein Blick in die Auen am südlichen Oberrhein, denn dort kam es unter ähnlichen Bedingungen ebenfalls zu einer „Verahornung“. Mit der Ausbreitung des Bergahorns kam es gerade dort am stärksten zur Ruderalisierung der Auenvegetation, wo flächenhaft forstlich eingegriffen und sog. Waldumbau betrieben wurde. Dass der Ahornaufwuchs in seit längerem nicht mehr genutzten Waldbereichen, so in der Prozessschutzfläche in der Nordwestaue nördlich Böhlitz-Ehrenberg oder in Teilbereichen der Burgaue, wo keine Mittelwaldumwandlung erfolgt ist, deutlich geringer ist und auch keine Ausbreitung seines Vorkommens zu beobachten ist, wird im Beitrag von Wirth et al. nicht erwähnt. Die Autor/-innen sollten jedoch um diesen Tatbestand wissen. Interessanterweise sind auch laut der Analyse von Satellitendaten durch das Kompetenzzentrum für Wald und Forstwirtschaft von Sachsenforst in der Prozessschutzzone der Burgaue keine Trockenschäden zu finden, im räumlichen Zusammenhang zu den Mittelwaldflächen und sogenannten „Femellöcher“ aber durchaus.

Trockenschäden in der Burgaue

Trockenschäden (in pink) in der Burgaue. Die rote Kontur bezeichnet die experimentellen Mittelwaldflächen, welche im Gegensatz zum umliegenden Wald stark dürregeschädigt sind. Bis auf die zwei kleinen Flächen unten links befinden sich alle anderen Dürreschäden in diesem Ausschnitt auf “Femellöchern”. Quelle: Geoportal Sachsen. © Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen, www.geosn.sachsen.de

Im Übrigen ist die Aussage auf S. 57 (rechte Spalte, Mitte) „Wer wissen möchte, wie der Wald der Zukunft aussieht, muss sich die Verjüngung am Waldboden und in den unteren Baumschichten anschauen“ und die sich offensichtlich auf den aktuellen Zustand bezieht, so nicht korrekt. Es müsste zumindest definiert werden, welcher Zukunftshorizont gemeint ist (50 Jahre, 100 Jahre, vollständiger Waldzyklus?). Allein aus der Zusammensetzung der Verjüngung die zukünftige Zusammensetzung eines Altbestandes (wann?) ableiten zu wollen, ist kaum möglich. Im Laufe der Waldentwicklung passiert so viel an innerartlicher und zwischenartlicher Konkurrenz, dass Arten, die jetzt dominieren, im Alter seltener werden könnten, und Arten, die jetzt in der Minderheit sind oder noch ganz fehlen, in 100 oder mehr Jahren eine wichtige Rolle spielen könnten. Der jetzige Zeitpunkt bedeutet vor allem, dass seit ca. 100 Jahren nahezu keine natürliche Überflutung mehr erfolgt ist. Eine Revitalisierung der Aue ist jedoch geplant und unabdingbar, damit man auch in der Zukunft überhaupt noch von einem Auwald wird sprechen können.

Wie die Klimakrise die Entwicklung unserer Wälder verändern wird, ist nur schwer seriös vorhersagbar. Der Auwald ist momentan in einem Umbruch. Neben der Esche leidet der Ahorn, was in dem Artikel auch geschildert wird. Somit bleiben das zukünftige Ausmaß der „Verahornung“ – tatsächlich ein Begriff von „Forstleuten“ und eigentlich nicht von Biolog/-innen – und das Szenario eines zukünftigen artenarmen Ahornwaldes ist daher Spekulation. Absolut wichtig hingegen ist es derzeit, die Altbäume möglichst lange zu erhalten und nicht durch Freistellen im Interesse einer gewünschten und überwiegend gepflanzten Verjüngung zu schwächen.

Was die Autor/-innen unter einem „normalen“ Auwald verstehen, dessen Waldboden „eher licht und sonnenfleckig“ ist, wird nicht weiter erläutert. Verstehen sie darunter einen sich natürlich entwickelnden Auwald unter einem dynamischen Überflutungsregime? Dieser böte dann ja vermutlich auch Potenzial für eine natürliche Eichenverjüngung (licht und sonnenfleckiger Waldboden, wobei streng genommen ein Waldboden nicht licht sein kann, sondern nur die Strauch- und Baumschicht darüber einen Lichtzutritt gewähren kann). Wodurch sollte die Licht- und Sonnenfleckigkeit zustande kommen, wenn wir davon ausgehen, dass auch ein Auwald einem Zyklus des Werdens und Vergehens seiner beteiligten Arten unterliegt? Konkret bedeutet dieses Werden und Vergehen, dass sich im Auwald mosaikartig über die Aue verteilt nahezu alle Altersstadien werden finden lassen, also sowohl früheste Jungwuchsphasen als auch Zerfallsphasen, in denen die Bäume, ihrem natürlichen Alterszyklus folgend, sterben, umstürzen, verrotten und der nächsten Auwaldgeneration den Nährboden bieten werden: Ein Auwald braucht keine Bewirtschaftung – was er braucht, ist das dynamische Wirken der Flüsse!

 Die Nonnenmühle in Leipzig von Norden mit den beiden Wasserkünsten (links). Aquarell von Ernst Heyn um 1890.

Die Nonnenmühle in Leipzig von Norden mit den beiden Wasserkünsten (links). Aquarell von Ernst Heyn um 1890. Im Bild ist weiterhin eine der zahllosen Pferdeschwemmen zu sehen, welche es an vielen Leipziger Fließgewässern gab. Ernst Heyn (1841–1894), Public domain, via Wikimedia Commons

Die Autor/innen vergessen, dass ihre Vorstellung von der Licht- und Sonnenfleckigkeit eines Auenwaldes (die also nur in einem bestimmten Altersstadium so auftreten kann) nicht nur die natürliche oder naturnahe Abflussdynamik eines Flusssystems braucht (weil es andernfalls kein Auwald mehr sein kann), sondern dass zur Verwirklichung dieser Vorstellung ein vollständiges Auenökosystem erforderlich ist. Ein Ökosystem ist dann vollständig, wenn alle potenziell an seinem Werden und Vergehen beteiligten Lebensformen und Arten beteiligt sein dürfen.

In allen Lebensräumen Europas zählen zu den natürlichen Gliedern der Tiergemeinschaft große Weidetiere. Deren Vorkommen und Individuenzahl regelt sich in die Bestandsdynamik auch eines Auenwaldes von Natur aus ein, wie man dies mindestens fragmentarisch noch in Restauen Europas, jedoch weltweit in noch ungestörten Auen beobachten kann. In welchem Ausmaß große Weidetiere – in Ergänzung zur bestandsprägenden Dynamik des Abflussgangs der Auen – zur Struktur der Wälder beitragen ist für Europa ungeklärt. Nur wenige Versuche werden dazu derzeit betrieben (u.a. in Westfalen, wobei zumindest diese Projekte und deren Untersuchungsgebiete wenigstens z.T. den Autor/-innen bekannt sind oder sein sollten). Licht- und Sonnenfleckigkeit allein kann die Auendynamik mit ihren vielfältigen Auswirkungen durch Substratumlagerungen und zahllose weitere aktivierte Prozesse im Boden als auch die Auswirkungen auf das Waldklima keinesfalls ersetzen.

Eichennaturverüngung im Offenland

Eichennaturverüngung im Offenland. Foto: J. Hansmann

Auf Seite 58 (rechte Spalte) wird auf den Managementplan verwiesen, der „eine Erhöhung des Eichenanteils anmahnt“. Dazu ist zunächst festzustellen, dass Managementpläne behördenverbindliche Fachpläne sind – die Schutzziele werden in den Schutzgebietsverordnungen (in Sachsen für FFH-Gebiete sog. Grundschutzverordnungen) definiert -, die fortzuschreiben sind, insbesondere wenn sich die ökologischen Bedingungen ändern. Daher wäre es in einem Fachartikel eigentlich eher angebracht, über die Inhalte des Managementplans zu diskutieren und Aussagen ggfs. in Frage zu stellen, als diesen quasi als gottgegeben hinzunehmen. Bei der Erarbeitung der Managementpläne in Sachsen haben die Forstverwaltungen zudem in starkem Maße mitgeschrieben und zweifelsfrei biozönologische Auffassungen daraus entfernt! Der Managementplan für den Leipziger Auwald bedarf dringend einer Neubearbeitung. Im Sinne der FFH- und Naturschutzgesetzgebung ist er vorrangig auf Ziele des Lebensraum- und Artenschutzes auszurichten statt auf Belange einer auf Wirtschaft eingestellten Forstwirtschaft. Derartige Neubearbeitungen in einem zehn- bis fünfzehnjahrigen Turnus sollten zur Selbstverständlichkeit werden!

Durch die Dürren der letzten Jahre hat sich das Kronendach des Leipziger Auwaldes „von selbst“ stark aufgelichtet. Viele Waldökologen empfehlen deshalb immer eindringlicher, auf einen möglichst geschlossenen Wald zu fokussieren und ein künstliches Aufreißen der Baumbestände unbedingt zu vermeiden. Denn das Aufreißen von Kronendächern bedeutet eine deutliche Erhöhung der Vulnerabilität durch den Klimawandel! Ein lebender Auwald könnte derartige Auflichtungen infolge periodischer Überflutung und Auffüllung der obersten Grundwasserniveaus leichter verkraften als ein von Hochfluten abgeschnittener und somit standortökologisch gestörter Auwald. Die Autor/-innen des Artikels kommen indes auf einen solchen Gedanken offensichtlich nicht.

Femelloch Nonne

Ausgetrockneter Kahlschlag (“Femelloch”) mit sich aus Stockausschlag verjüngender Robinie im Leipziger Auwald im Sommer 2020. Foto: J. Hansmann

Auf S. 58 – 59 wird die Praxis der Eichenverjüngung im Leipziger Auwald beschrieben. Die Aussage, dass dies in „kleinen Lichtungen (ca. 40 x 40 m), sogenannten Femeln“ erfolgt, ist bereits falsch. Zunächst muss festgehalten werden, dass die sog. Femelungen keine Femel darstellen sondern (Klein)Kahlschläge. Femelungen sind forstbegrifflich wohl definiert sehr kleinflächige und behutsame Auflichtungen, bei denen niemals ein Offenlandklima erzeugt wird. Die Größen von 40 x 40 m (= 0,16 ha) stellen im Auwald die absolute Ausnahme dar. Sachsenforst erzeugt Kleinkahlschläge i.d.R. mit einer Größe von 0,5 ha (also 3 x so groß, manchmal auch direkt aneinander grenzend wie z.B. im Kanitzsch am Zschampert), so dass letztlich der Effekt eines Großkahlschlags entsteht. Stadtforsten hat im Waldgebiet Nonne sogar einen Kahlschlag von 0,9 ha Größe angelegt.

Abgängige Eiche im Rosental

Abgängige Eiche im Rosental an einem “Femelloch”. Sehr viele Starkeichen scheinen die plötzliche Freistellung nicht zu verkraften und sterben ab oder fallen Stürmen zum Opfer. Foto: J. Hansmann

Dass „Starkeichen und Bioptopbäume ausgespart“ würden, ist nachgewiesenermaßen ebenso falsch (z.B. Kleinkahlschlag Sachsenforst am Kanitzsch oder Kleinkahlschlag Stadtforsten an der Friesenstraße). Innerhalb der Holzstapel können wir regelmäßig Höhlenbäume, tlw. Mulmkörper mit Kotpillen des Eremiten usw. nachweisen. Es wird auch nicht erwähnt, dass die verbleibenden Bäume – und auch die Bäume in der Nähe dieser Kahlschläge – durch die starke Bodenbearbeitung und die plötzliche Freistellung nur noch eine sehr schlechte Zukunftsperspektive haben und vermutlich kurz- bis mittelfristig absterben werden und an manchen Stellen bereits schon größtenteils abgestorben sind. Für jeden Waldbesucher erkennbar und verständlich zeigen die freigestellten Bäume Anfälligkeit gegenüber Sturm, und weil ihnen das seit ihrer Keimung vertraute, schützende Waldbinnenklima fehlt, bilden sie Wasserreiser aus, was die Kräfte des Baums in den unteren Stammbereichen hält und somit die unterversorgten Kronen sich von selbst auslichtet und solche Bäume absehbar von der Krone herab absterben.

Amerikanische Schwarznuß im FFH-Gebiet "Leipziger Auensystem"

Amerikanische Schwarznuß im FFH-Gebiet “Leipziger Auensystem”. Foto: J. Hansmann

Die durch die falsch verstandenen resp. falsch bezeichneten Femelungen entstandenen Freiflächen werden i.d.R. mit Baumschulware dicht aufgeforstet (auch wenn das „Saatgut für die Jungeichen …  vor Ort gesammelt“ wird, scheint die Aufzucht in Baumschulen stattzufinden).

Nicht von den Autor/-innen erwähnt wird auch, dass Sachsenforst in einigen Kleinkahlschlägen sogar flächig mit fremdländischen Baumarten wie Roteiche, Elsbeere, Esskastanie und Schwarznuss aufforstet: Für eine forstlich-ertragsorientierte Zielsetzung bei der Bestandsverjüngung wird Jahr für Jahr nach europäischem Recht geschützter Hartholzauwald mit gutem Erhaltungszustand gerodet! Die Autor/-innen konnten das übersehen?

Die Empfehlungen des Bundesamtes für Naturschutz BfN, auf die sich im Artikel bezogen wird, sind im Übrigen deutlich differenzierter formuliert, und sie widersprechen der Praxis im Leipziger Auwald, auch wenn sie aus Naturschutzsicht immer noch deutlich zu forstwirtschaftsorientiert sind: „Auf folgende, sich negativ auf die biologische Vielfalt auswirkende forstliche Maßnahmen sollte verzichtet werden: Kahlschläge > 0,1 ha und großflächige Schirmschläge“ https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/natura2000/Dokumente/91F0_Hartholzauwaelder.pdf.

Auf S. 59 wird das Konfliktfeld Prozessschutz versus Artenschutz thematisiert, womit die Autor/-innen wohl die forstliche Nutzung meinen. Eine Argumentationslinie einer Gruppe der Vertreter/-innen des Prozessschutzes sei: „Die erste ignoriert die oben genannten Befunde und behauptet, dass sich die Stieleiche im Leipziger Auwald sehr wohl verjüngt, dies aber von offizieller Seite unterschlagen wird“.
Eine Quelle hierfür wird nicht benannt. Statt dessen wird ein Zitat von Peter Wohlleben gebracht, der von den Autor/-innen anscheinend dieser Gruppe zugeordnet wird (da das Zitat vor der Argumentationslinie der zweiten Gruppe verwendet wird). Abgesehen davon, dass dieses Zitat aus seinem Zusammenhang gerissen wurde, wird völlig unterschlagen, dass Peter Wohlleben vor allen anderen Maßnahmen eine Redynamisierung der Aue (wie auch die Autor/-innen des Artikels) fordert. Er kennt den aktuellen Zustand des Leipziger Auwaldes (starke Auflichtung „von selbst“) und die einschlägige Literatur über die Ökologie der Stieleiche offensichtlich besser, als die Autor/-innen des Artikels. Denn beschäftigt man sich mit der einschlägigen Literatur zu Lichtökologie, z.B. von K.-F. Weber (Zur Bewirtschaftung der Eiche, 2014), Dr. C. Böhm (Zum Management von Eichenwäldern, 2018) oder Untersuchungen zur Schattentoleranz von Baumarten von Clemens et al. (2008), kommt man zum Ergebnis, dass auch sehr kleinflächige Auflichtungen, wie man sie aktuell natürlicher Weise überall im Leipziger Auwald finden kann, für eine natürliche Verjüngung der Eiche ausreichen. In vielen Waldbereichen, z.B. in der Burgaue, findet man derzeit tatsächlich eine üppige Eichenverjüngung am Waldboden. Diese könnte man naturschonend fördern, auch durch echte Femel geringsten Ausmaßes, um den Lichtzutritt über Jahre behutsam dem Wachstum der Jungbäume anpassen zu können, statt „Löcher in den Wald zu hacken“ (womit die Kahlschläge gemeint sind).

Übrigens ist Kenner/-innen der Eichenverjüngung stets bewusst, dass Eiche/n u.U. jahrzehntelang keine Verjüngung ihrer Art aufstreben lassen, wozu die Ursachen häufig unbekannt sind. Dies mag u.a. an der Wurzelkonkurrenz liegen, denn warum sollte sich ein vitaler Stieleichenbestand mit einer Lebensaussicht auf weitere zwei- bis dreihundert Jahre natürlich verjüngen?

Es sei hier auch darauf hingewiesen, dass für die Wertigkeit einer auentypischen Waldlebensgemeinschaft weniger die Quantität als vielmehr die Qualität der betreffenden Eichen entscheidend ist. Die Tatsache, dass nach Eichelmasten (wie z.B. 2018-19 und 2019/20) sehr häufig nahezu alle gekeimten Eichen nach wenigen Jahren sterben, wird auch andernorts von Unkundigen als Warnsignal missverstanden, dass sich die Eiche nicht mehr verjünge. Wenn man aber fortwährend in ein Waldökosystem eingreift, sobald sich Eichen einmal nicht nach Willen der Menschen verjüngen, wird man nie wissen, ob sie sich nicht doch von selbst verjüngen würden, sobald die Gelegenheit käme. Eichen existieren schon seit dem Tertiär. Zwar gab es damals schon die Hominoiden Proconsul und Australopithecus, wir sind aber recht sicher, dass diese damals noch keine Forstwirtschaft betrieben haben. Daher besteht durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass sich wie dazumal Eichen auch im Leipziger Auwald natürlicher Weise verjüngen werden, sobald die passenden Bedingungen herrschen und die Zeit dafür reif sein wird.

Wir möchten zudem anmerken, dass sich v.a. in den Halboffen- und Offenlandbereichen des FFH-Gebietes „Leipziger Auensystem“ sowie auch an den Waldrändern des Leipziger Auwaldes durchaus schon Eichen aus Naturverjüngung etabliert haben, aber offenbar, da „nur“ am Waldrand oder auch nicht im Wald wachsend, in keiner Weise beachtet werden, was uns sehr wundert.

Ausgetrocknetes Femelloch

Ausgetrocknetes Femelloch im FFH-Gebiet “Leipziger Auensystem” Sommer 2019. Hier wächst stellenweise gar nichts mehr. Foto: J. Hansmann

Die zweite Argumentationslinie „appelliert“ laut Wirth et al. „an unsere Geduld und stellt die Hypothese auf, dass Stieleichen sehr langlebig sind…“. Die Autor/-innen sehen erfolgreiche Eichennaturverjüngung tatsächlich auch als möglich an, insbesondere wenn die Aue wieder dynamisiert sein wird. Sie warnen aber dann sofort vor Risiken. Worin diese bestünden, bleibt indes unklar. Dass die Alteichen irgendwann absterben werden, ist nicht zu ändern. Das Risiko frühzeitiger Abgänge wird jedoch deutlich erhöht, wenn das Waldökosystem durch starke forstliche Eingriffe destabilisiert, das kühlende Waldbinnenklima geschwächt wird. Von den Autor/-innen auch nicht thematisiert wird das Risiko, dass die gepflanzten  jungen Eichenkulturen im entstandenen steppenartigen Klima der Kahlschläge – v.a. angesichts der Klimakrise – womöglich gar nicht überleben könnten. Solche Ausfälle sind im Leipziger Auwald bereits an der Tagesordnung.
Die Risikoanalyse der Autor/-innen ist somit inkonsistent und nicht nachvollziehbar.

Die Autor/-innen betonen auf S. 59 (rechte Spalte) dass es „wichtig zu verstehen ist, dass es sich hier nicht um einen Konflikt zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz handelt“. Damit liegen die Autor/-innen zwar z.T. richtig, da auch innerhalb des Naturschutzes häufig Diskussionen bzgl. statischer versus dynamischer Naturschutz stattfinden (z.B. wird von Vertreter/innen des statischen Naturschutzes häufig die eigene „Lieblings“- Artengruppe in den Fokus genommen). Sie verkennen jedoch, dass die meisten Naturschutzvereinigungen, so die Bundesverbände des NABU und des BUND oder Greenpeace, auf systemische Ansätze und die selbstregulatorischen Potenziale von Waldökosystemen setzen und diese in Positionspapieren auch eindeutig einfordern. Allerdings gibt es auch noch jene, wie der Regionalverband des NABU Leipzig oder der Ökolöwe Leipzig, die, abweichend von der Politik ihrer Landes- und Bundesverbände (NABU), nahezu 100%ig die hiesige Forstwirtschaft unterstützen und nicht hinterfragen.

Die Ausführungen von Wirth et al. lassen vermuten, dass sich die Autor/-innen des Artikels ebenfalls eher dem statischen Naturschutz bzw. reduktionistischen Ansätzen bei der Betrachtung von Wäldern verpflichtet fühlen.

Przewalski-Pferde in von ihnen gestalteter, fast schon savannenartiger Landschaft bei Koethen 2019

Konik-Pferde in von ihnen gestalteter Landschaft bei Koethen 2019. Foto: J. Hansmann

Die Bemerkung in der „Randnotiz“ auf S. 59 (rechte Spalte), dass „eingreifender Naturschutz per Sense oder Schafherde – zum Beispiel beim Erhalt von Trockenrasen – Akzeptanz in der Bevölkerung genießt, nicht jedoch der Naturschutz per Motorsäge, die von manchen als Symbol der Naturzerstörung wahrgenommen wird“ muss als absurd oder gar als bewusste Irreführung bezeichnet werden. Die Pflege eines Trockenrasens, eines kulturbedingten Biotoptyps, der i.d.R. als kulturelles Objekt gepflegt werden muss (auch wenn es vereinzelt natürliche Trockenrasen gibt, z.B. auf nährstoffarmen Steilhängen), kann überhaupt nicht mit Wäldern als einer natürlicherweise die Erdoberfläche bedeckenden Vegetationsform verglichen werden! Gerade am Beispiel von Auenwäldern in Deutschland und Österreich konnte gezeigt werden, dass diese in einer anthropogen unbeeinflussten Form ihre höchste ökologische Wertigkeit entfalten – in diesen Fällen als dem Urwald nahe.

Zu einem Auwald, auch einem Urwald, gehören von Natur aus auch Weidetiere, daher ist der Ansatz, auf Beweidung hinzuweisen, vielleicht gar nicht falsch, nur zieht man hieraus seltsame Resultate. Frei lebende Weidetiere wurden zwar schon recht frühzeitig durch Nutztiere in unseren Breiten abgelöst, dennoch dürften diese Nutztiere lediglich die Position der freilebenden Weidetiere besetzt haben. Waldweide hat es auch im Leipziger Auwald durchaus gegeben, was man anhand von Beschwerden in historischen Texten findet – immer dann, wenn die Waldweide zu intensiv betrieben wurde. Wenn ein Naturschutz per Weidetiere eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung genießt und Waldweide im Leipziger Auwald belegbar ein Teil aus dem vielfältigen historischen Nutzungsmosaik war, fragen wir uns: warum soll es nun eine rein forstliche Mittelwaldwirtschaft per Motorsäge richten, warum untersucht man nicht die anderen Servituten ob ihrer Einflüsse auf die Auenlebensgemeinschaft, warum forscht und experimentiert man nicht mehr in Bezug auf bspw. Weidetiere? Weidetiere gibt es schon seit Urzeiten – sowohl unter den Reptilien des Erdmittelalters als auch unter den Säugetieren im Tertiär und Quartär – Es kann kein Zweifel bestehn, dass sie u.a. mechanisch (durch Fegen und Verbiss) als auch durch ihre Wirkung auf den Nährstoffhaushalt (Dung, große verwesende Tierkörper) auf Struktur und Dynamik der einstigen Urwaldlandschaft eingewirkt haben. Motorsägen hingegen gibt es erst seit 1927. Es gibt daher keinen Grund, verächtlich auf das Wirken von Herbivoren herabzusehen oder ihre Wirkung auf Ökosysteme abzustreiten, denn trivialerweise existieren sie schon länger in Ko-Existenz und zweifellos in Koevolution mit Wäldern sehr vielfältiger Strukturmöglichkeiten als Motorsägen oder Harvester. Im Sinne der CO2-Bilanz des Auwaldes auf Stadt- und Landesflächen könnten Weidetiere sowohl Haus- (Robustrinder) als auch Wildtiere (freilebende Rehe und Hirsche, vielleicht der Wisent) die bessere, weil natürlichere Wahl der Pflegemethode sein als Motorsägen.

Auffällig zieht sich durch den gesamten Artikel, dass die Autor/-innen immerzu von Bäumen bzw. Baumarten sprechen anstatt von komplexen Waldökosystemen, die bekanntermaßen weit mehr sind als die Summe der Bäume. Dazu verweisen wir wieder auf das Potenzial der auentypischen und ökosystemaren Dynamik, sobald man dem System mit großen Weidetieren ein naturnahe-vollständiges Arteninventar hinzufügen würde. Was man beispielsweise mit dem Projekt „Wilde Weiden Taubergießen“ an der oberrheinischen Aue im Ortenaukreis auf den Weg brachte, nämlich eben diese Sukzession der Auenvegetation mit einer naturnahen Tiergemeinschaft wieder in Gang zu setzen, das wird im Auwald Leipzig noch immer nicht genutzt.

Der Eschenscheckenfalter: vom Aussterben bedroht und auf Eschen angewiesen. Foto: J. Hansmann

Auf S. 60 (Spalte rechts) werden das Eschentriebsterben und der Befall durch den Eschenbastkäfer im Leipziger Auwald thematisiert. Der Eschenbastkäfer ist eine rein sekundär angreifende Borkenkäferart, die einer gesunden Esche nichts anhaben kann, sondern an ihr problemlos sein Eigenleben führt. Von einem „hydrologisch begünstigten Standort“ kann angesichts der Entwässerung der Aue insbesondere seit 100 Jahren natürlich nicht (mehr) die Rede sein. Insofern sind auch die Eschen, die teilweise mit Alter 120 bis über 170 Jahren noch unter Auenbedingungen gekeimt sind und ihr Jugendwachstum erlebt haben, verständlicherweise einer solchen Art gegenüber weniger widerständig und  selbstverständlich auch einem neu auftretenden Schadpilz zunächst „schutzlos“ ausgesetzt. Aber sollte in einem solchen Artikel dann nicht gefordert werden, den vorhandenen Eschenbestand konsequent zu schonen, v.a. durch ein Einschlagsmoratorium, um das Waldbinnenklima zu erhalten (anstelle von Kleinkahlschlägen, sog. Sanitärhieben und Mittelwaldumwandlung) und weitere Schädigungen des Waldbodens zu vermeiden? Nur indem jene alten Eschen wo immer möglich erhalten bleiben, kann die Natur den Vorgang der Selbstimmunisierung gegen Schaderreger durchführen.

Auf S. 62 (rechte Spalte) wird ein Schreckensszenario eröffnet, bei dem durch den Komplettausfall der Esche und des beginnenden Ausfalls des Bergahorns sich das Kronendach bis zu 60 Prozent öffnen könnte. Es entstünde eine „Parklandschaft“. Ein solches Szenario mag allenfalls für eine Forstwirtschaft, die reichlich Wertholzeichen und -eschen aus einem Hochwald werben will, ein Schrecken sein! Eine Parklandschaft als künstlich gestaltete Landschaft ist allerdings etwas grundsätzlich anderes als ein Wald, der sich aus sich selbst heraus umgestaltet, umgestalten darf. Ein solcher sich selbst über Eigendynamik infolge eines weitestgehend vollständigen Arteninventars umgestaltender Wald enthält z.B. extrem viel Totholz (im völligen Gegensatz zu einem Park) und bietet Raum und Zeit für einen Neuaufbau eines an die Bedingungen angepassten Waldökosystems.

Abgängige Bäume

Abgängige Bergahorne im FFH-Gebiet “Leipziger Auensystem” 2020. Foto: J. Hansmann

Der Spruch „Jede Krise bietet auch eine Chance“ ist zwar gewissermaßen eine Binsenweisheit, sollte aber hinsichtlich der Zukunft des Leipziger Auwaldes tatsächlich auch gesehen und gelebt werden, insbesondere da die Chancen auf ein groß angelegtes Revitalisierungsprojekt der Aue zur Dynamisierung des Wasserhaushalts derzeit recht gut stehen. Aus diesem Negativszenario als „novel ecosystem“ einen zukünftigen „untypischen Dominanzbestand aus Ahornarten“ abzuleiten, ist spekulativ und angesichts der Komplexität von sich selbst regulierenden Waldökosystemen nicht angebracht. Die Natur des Leipziger Auwaldes zeigt überdies, dass auch der Bergahorn an Grenzen stößt, wie sich durch die unerwartete, meist letal verlaufende Rußrindenkrankheit in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Ein sich selbst gestaltender Auwald in einer wieder funktionierenden Überflutungsaue stellt aus Naturschutzsicht und in Hinsicht eines komplex gedachten Biodiversitätsbegriffs mitnichten ein Schreckensszenario dar, sondern ein überaus spannendes und zukunftszugewandtes Szenario, das den höchstmöglichen Natürlichkeitsgrad dieses Ökosystems wieder erreichen könnte – und für das Leipzig europaweit berühmt werden könnte!

Auf S. 63 entwickeln die Autor/-innen dann kurz ein optimistisches Szenario, bei dem die Esche im System bleibt und sich die Eiche als trockenheitsresistent erweist. Außerdem würde ein zeitnahes Überflutungsregime wiederhergestellt. Einer solchen Forderung nach Wiederherstellung / Redynamisierung des Überflutungsregimes kann natürlich gefolgt werden. Bereits das AULA-Projekt 2030, im Jahr 2012 durch NuKLA und den Regionalverband des NABU Leipzig initiiert (der RV des NABU ist jedoch mittlerweile ausgestiegen), verfolgte genau diesen Ansatz! Eine solche Redynamisierung ist ohnehin Voraussetzung dafür, dass der Begriff Auensystem oder Auwald überhaupt noch verwendet werden kann. Es darf den Autor/-innen bewusst sein, dass der Auwald derzeit kein Auwald ist resp. sein kann. Der Auwald Leipzig ist derzeit lediglich ein ehemaliger Auwald, der noch einige auwaldtypische Strukturen aufweist. Dahingehend kann den Autor/-innen also völlig gefolgt werden.

Dieser ehemalige Auwald hat tatsächlich beste Chancen, durch eine umfassende Standortrevitalisierung wieder zu einem lebenden Auwald zu werden. Dazu bedarf es der nun mit 150 bis 250 Jahren kaum die Hälfte ihrer natürlichen Lebenswertung erreicht habenden „Altbäume“, denn sie sind noch unter Auenbedingungen mit wechselnden Grundwasserständen und periodischen Überflutungen aufgewachsen. Wer an deren Stelle Kahlschlag betreibt und gepflanzte Jungeichen auf den Weg schickt, weiß, dass diese stellenweise durch einen revitalisierten Standort gefährdet sein werden und keinen Auwald aufbauen können. Auwald kann sich natürlicherweise nur an einem Auwaldstandort verjüngen und erhalten. Daher hat die Revitalisierung des gesamten Auensystems höchste Priorität – auf forstwirtschaftliche Experimente sollte v.a. in Zeiten des Klimawandels verzichtet werden.

Prof. Dr. Bernd Gerken*: Aueninstitut für Lebendige Flüsse, c/o NuKLA e.V., Otto-Adam-Straße 14, 04157 Leipzig
Johannes Hansmann**: Aueninstitut für Lebendige Flüsse, c/o NuKLA e.V., Otto-Adam-Straße 14, 04157 Leipzig
Axel Schmoll***: Dipl.-Biologe aus Leipzig
Stefan Michel****, Dipl.-Biologe aus Kannawurf

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