Ostern in Leipzig früher und heute

Frühling in der Burgaue

Frühling in der Burgaue. Foto: J. Hansmann

Dieses Jahr zu Ostern gibt es ja nicht viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Durch Corona wie auch dem doch frischem Wetter sind dem Unternehmensdrang Grenzen gesetzt. Zeit, um in die Vergangenheit zu schweifen: Was machte man eigentlich früher in Leipzig zu Ostern? Hier gab es einst den Brauch des Osterwasser-Schöpfens. So berichtet Lippold, dass diese Tradition noch im 19. Jahrhundert ausgeübt wurde: „Denn schon von Kindheit an war es der früheren weiblichen Jugend gar wohl bekannt – wenigstens glaubten Unzählige steif und fest daran –, daß geheimnisvolle Mächte dem unter tiefem Schweigen mit eigener Hand um die Mitternachtsstunde im Fluß geschöpften Wasser die Macht verliehen hätten, Gesicht und Körper derjenigen, welche sich mit diesem Wasser wüschen, eine vorher nie geahnte Schönheit zu verleihen.“1

Wie funktioniert das nun mit dem Osterwasser-Schöpfen, diesem Beauty-Trend, welcher anscheinend seit heidnischen Zeiten, also jahrhundertelang, wenn nicht noch länger (wer weiß das schon!) ausgeübt wurde?2

Die junge, unverheiratete Frau tat folgendes:

In der Osternacht (also von Karsamstag auf Ostersonntag), um die Mitternachtsstunde, musste sie an einen Fluss gehen (also Pleiße, Elster oder Parthe) und dort schweigend Wasser schöpfen und schweigend nach Hause bringen.

Das klingt einfach, war aber etwas schwierig, da Leipzig damals wirklich nur aus der Innenstadt und den umgebenden Vorstädten bestand, und hier lagen die Ufer von Pleiße, Pleißenmühlgraben, Elstermühlgraben und Parthe zumindest im 19. Jahrhundert schon größtenteils an unzugänglichem Privatgelände. Und wer wollte schon um Mitternacht so weit allein in den Auwald durchs Dunkle gehen – als junge, unverheiratete Frau. Daher, so beschreibt Lippold, waren die beiden Pferdeschwemmen an Nonnenmühle und Thomasmühle sehr begehrt bei Osterwasser-Schöpferinnen.

Aber auch dies wäre ja einfach zu bewerkstelligen, doch laut Lippold warteten in der Osternacht schon zahlreiche männliche Scherzkekse in der Dunkelheit, um die wassertragenden Frauen bei der Rückkehr zum Reden zu bringen, womit der Zauber des Osterwassers perdü war.

Da heute das Brauchtum um das Osterwasser weitestgehend vergessen ist, könnte es jemandem, der oder die dies nun mal ausprobieren möchte, durchaus schweigend gelingen – wer würde ihn oder sie schon stören? Allerdings können wir dies aufgrund der schlechten Wasserqualität der Leipziger Fließgewässer derzeit nicht empfehlen3 – es ist immer noch zu hoffen, dass die Politik eines Tages zur Einsicht kommen wird, dass man Flüsse und Bäche besser behandelt und dass es nicht nur wegen des Osterwassers eine Notwendigkeit ist, diese zu revitalisieren! Derzeit sieht es nicht danach aus, dass man mutig diese Mißstände angehen wollen würde, viel eher sieht es so aus, als würde man solche Probleme noch länger auf die lange Bank schieben.4

Ein Männchen des Edelkrebses, ausgewachsen

Ein Männchen des Edelkrebses, ausgewachsen. Foto: Dragon187 at the German-language Wikipedia, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Wenn Ostern spät in einem Jahr fiel, konnte man früher durchaus auch noch eine heute als traditionell benannte Leipziger Speise an den Osterfeiertagen essen: das Leipziger Allerlei. Heute kennen es die meisten nur als lieblose Tiefkühlgemüse-Mischung, aber in der Ursprungsvariante, wie sie heute nur noch selten in Restaurants angeboten wird, ist sie weitaus raffinierter. So besteht das Leipziger Allerlei eigentlich aus Frühjahrsgemüse (junge Erbsen, Möhren, Spargel usw.), Morcheln, Flusskrebsschwänzen und Grießklößchen.

Immer wieder taucht auf Internetseiten die Behauptung auf, das Leipziger Allerlei wäre zuallererst bei der berühmten Leipziger Köchin und Kochbuchautorin Susanna Eger (1640-1713) niedergeschrieben worden. Aber wenn man das Buch durchliest5, findet man dort – kein Leipziger Allerlei! Allerdings beschreibt sie durchaus ähnliche Gerichte, und Flusskrebse wie auch Morcheln waren anscheinend gängige Kochzutaten. Wann nun aus den Vorgängergerichten der Susanna Eger das klassische Leipziger Allerlei wurde oder ob es nur vielleicht nicht in ihrem Buch Eingang gefunden hat, ist nicht mehr klar nachvollziehbar. Es gibt folgende Sage: früher kam der Steuereintreiber ins Haus, wenn man die Steuer nicht termingerecht gezahlt hatte. In den napoleonischen Kriegen soll der Brauch aufgekommen sein, nur noch Gemüsegerichte zu kochen – maximal mit Flusskrebsen, die es damals noch zahlreich gab – wenn es in Aussicht stand, dass der Steuereintreiber drohte. Dann würde der ja sehen, dass man nichts hatte, nicht mal mehr Geld für Fleisch!6

Ob es so war? Es gibt auch noch die ganz unspektakuläre Vermutung, dass das Leipziger Allerlei einfach so ein Zwischengericht war in einem Menü.

Das Naundörfchen in Leipzig mit der Hanreybrücke über den Pleißemühlgraben

Das Naundörfchen in Leipzig mit der Hanreybrücke über den Pleißemühlgraben 1886. Quelle: Richard Merz, Public domain, via Wikimedia Commons

Auf jeden Fall gab es Flusskrebse, Morcheln, Frösche, Schnecken und viele Fische in Leipzig, aus denen schon Susanna Eger Gerichte zubereitete. Bei den Fröschen und Schnecken ist nicht ganz klar, ob das traditionell oder eine Übernahme aus der französischen Küche war, welche damals schon ausgesprochen en vogue war. Überhaupt gab es in Leipzig viel Fisch, es gab sogar eine Fischerei-Innung und einen eigenen Stadtteil für die Fischer (das Naundörfchen)7. Wenn man über einen Leipziger Friedhof geht, kann man teilweise sogar noch Grabsteine von Fischerfamilien finden.

Zu den Flusskrebsen erzählte einst eine Stadtführerin, es wäre ganz leicht gewesen, diese zu fangen. Nach dem Frühjahrshochwasser verblieben die zahlreichen Senken und Altwässer wassergefüllt zurück, und es soll ein Leichtes gewesen sein, daraus die Flusskrebse, die zahlreich dort wimmelten, herauszufischen.

Heute ist der Flusskrebs vom Aussterben bedroht und steht in Deutschland auf der Roten Liste. Die schlechte Wasserqualität, eingeschleppte Krankheiten und amerikanischer Krebsarten bedrohen ihn noch heute.8

 Käppchen-Morchel, Morchella gigas zwischen Bärlauch

Käppchen-Morchel, Morchella gigas zwischen Bärlauch. Foto: Lebrac, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Auch um die Morcheln ist es schlecht bestellt. Wir erinnern uns an eine Exkursion im Jahre 2018, bei welcher an einen ausgewiesenen Pilzexperten die Frage gestellt wurde, dass es doch auch Morcheln geben müsse im Leipziger Auwald, aber es herrschte nur betretenes Schweigen. Dabei schreibt Prof. Dr. Gerd K. Müller noch 1995 in „Die Leipziger Auen“9: „Die Käppchen-Morchel (Morchella gigas) ist ein typischer Frühjahrspilz des Auwaldes.“ Wo ist sie hin? Auch sie steht unter Naturschutz. Wie und wo Pilze wachsen, ist, wie so oft, kompliziert. Morcheln brauchen vor allem Feuchtigkeit, und diese vor allem im Frühjahr, am besten, soweit wir das verstanden haben, muss es im April warm und feucht sein. Je nach Art braucht auch der Boden einen bestimmten PH-Wert. Leider aber scheint auch der Frühling 2021 ebenso wie schon in den vielen Vorjahren wieder sehr trocken zu werden, zu trocken – und eine Revitalisierung der Aue liegt weiterhin in der Ferne. Es ist auch vorstellbar, dass durch die anhaltende und dauerhafte landesweite Eutrophierung gerade im Dunstkreis einer Großstadt eine Rolle spielt bei den Pilzen (siehe PH-Wert des Bodens), aber natürlich sind das alles nur Vermutungen. Vielleicht gibt es ja irgendwann Forscher, die hierzu Forschungen anstellen werden. Wir sind gespannt! Wenn Sie jedenfalls mal eine Morchel sehen, lassen Sie sie stehen, unseres Wissens nach stehen alle Morchelarten unter Naturschutz – die Zeiten der Susanna Eger sind schon lange vorbei10. Die Taten unserer Vorfahren wie auch unsere heutigen Taten und Versäumnisse sind Ursache dafür, dass unsere Welt schon lange nicht mehr so reich ist wie einst – und das weltweite Artensterben wird wahrscheinlich noch lange weiter gehen. Wenn Sie heute noch einen hübschen Schmetterling sehen, genießen Sie es – es könnte das letzte Mal sein! Wenn man nach den Mengen an Pestiziden geht, die in den vergangenen Wochen ringsum Leipzig flächendeckend auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht worden sind, ist es geradezu ein Wunder, dass überhaupt noch irgendetwas lebt.

Dennoch ist Ostern ja das Fest der Auferstehung, ein Fest der Hoffnung – also lassen Sie uns hoffen, dass es in diesem Frühjahr ergiebige Regenfälle geben wird und unsere werten Politiker sich doch noch plötzlich Richtung Auenrevitalisierung bewegen, anstatt weiter zu versuchen, ohne Flussdynamik mithilfe von Motorsägen am Auwald herumzudoktern (und das auch noch nach einer Dürre und in Aussicht weiterer Dürren!). Vielleicht fahren die Menschen auch demnächst freiwillig weniger Auto, denn Abgase aus dem Straßenverkehr tragen bei zur Eutrophierung unserer gesamten Lebenswelt.

Wir hoffen zudem, dass Landwirtschaft und Politik einen Weg finden, ohne extremen Gifteinsatz Lebensmittel zu produzieren, die man auch essen kann, ohne sich zu ekeln. Frisch ausgebrachtes Pestizid riecht sehr unangenehm, wer den Geruch kennt, isst freiwillig keine „Nahrungs“mittel mehr, bei denen sehr wahrscheinlich solche krebserregenden Mittelchen zum Einsatz kamen.

Ostern ist ein christliches Fest, aber im Buddhismus gibt es das Konzept des Karma, wonach jede Handlung eine Folge hat, auch wenn wir oft nicht sehen, was diese Folgen sein werden, wann sie eintreffen werden und was sie selbst nun wieder bewirken werden. Nun – etwas hoffen und wünschen sind auch Handlungen, also geben wir unsere Hoffnungen und Wünsche in die Welt, zusätzlich zu unseren derzeitigen zahlreichen Vorarbeiten zu zukünftigen realen Handlungen, über die wir Sie, werte LeserInnen dieser Seiten, in Zukunft natürlich auch weiter informieren werden. Wir vertrauen nicht nur auf Hoffnungen – wir helfen mit Taten nach – möge alles zu einem großen Ganzen zusammenkommen.

Bleiben Sie also gespannt und haben Sie noch ein schönes Osterfest,

Ihr NuKLA e.V. und Ihr Aueninstitut für Lebendige Flüsse


1 Adolf Lippold „Von Nachtwächtern, Trödeljuden und Harfenmädchen“, S. 188, Leipzig, 2004

9 Prof. Dr. Gerd K. Müller “Die Leipziger Auen – Bestandsaufnahme und Vorschläge für die Gebietsentwicklung”, Hrsg. Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung (SMU), Dresden 1995

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