Die Noitzscher Heide – eine waldbauliche Tragödie

Noitzscher Heide November 2020. Foto: J. Hansmann

Noitzscher Heide November 2020. Foto: J. Hansmann

Ein Beitrag vom Aueninstitut für Lebendige Flüsse

Es gibt so Waldgebiete, die man eigentlich gar nicht mehr Wald nennen mag, so intensiv wurde und wird in ihnen Forstwirtschaft betrieben. Sie sind sehr monoton in Bezug auf den Baumbestand und die sonstige Pflanzenwelt, man hört nur wenige Vögel und es gibt kaum Insekten. Solche „Wälder“ sind i.d.R. Altersklassenforste, manche nennen sie auch „Holzacker“.

Wie wir in einem unserer letzten Beiträge erklärt haben, läuft das bei der „ordnungsgemäßen“ Forstwirtschaft in einem Altersklassenforst folgendermaßen ab:

  • man pflanzt auf einer frei geschlagenen Fläche, die wie ein Acker umgepflügt wurde, neue Bäume aus der Baumschule, diese pflegt man, wie man eben auch die Pflanzen auf dem Acker pflegt – mit dem Ziel, Bäume von bestimmter Art in gewünschter Form (gerade, wenige Seitenäste) zu erzeugen
  • wenn die Erntezeit gekommen ist, wird die Ackerfläche komplett beerntet (nennt man dann Kahlschlag)
  • und dann pflanzt man wieder neue Bäume aus der Baumschule…

Somit dürfte jedem klar sein, warum manche solche Forste auch „Holzacker“ nennen und wieso diese so furchtbar monoton sind. Und – nicht überraschend – sind solche Forste auch besonders anfällig bspw. jetzt im Klimawandel.

Die Noitzscher Heide ist so ein unspektakulärer Forst. Kulturhistorisch ist einiges rings um die Noitzscher Heide zu erfahren, aber über die Noitzscher Heide an sich hat weder ein Dichter ein Lied gesungen noch ist sie ein besonders attraktiver Anziehungspunkt für Naturfreunde. Sie liegt südlich der Muldenaue bei Bad Düben und erstreckt sich östlich der B2 zwischen Wellaune im Norden und Noitzsch im Süden, eingebettet in landwirtschaftliche Flächen. Westlich schließt sich die Prellheide an (ein weiteres Waldgebiet, welches ähnlich bewirtschaftet wird). Motorisierte Ausflügler sind gern in der Noitzscher Heide unterwegs, denn sie ist über die Bundesstraße gut erreichbar und man kann dort auch gut Parkplätze finden, zudem gibt es zwei Gasthöfe am Roten Haus (einem alten Fuhrmannsgasthof). Im Herbst sind hier vereinzelt Pilzsammler zu sehen. Für Radfahrer, welche auf dem die Noitzscher Heide querenden Radfernweg Berlin-Leipzig unterwegs sind, ist sie theoretisch eine willkommene Möglichkeit zur Rast, leider aber gibt es kaum Bänke oder sonst schöne Orte in diesem Forst, an welchen man länger verweilen wollen würde.

Die Noitzscher Heide liegt etwas erhöht auf einer Grundmoräne aus Sand und Kies, gebettet auf eiszeitlichen Schotter der Mulde.1 Man vermutet, dass hier von Natur aus Buchen-Eichenwald wachsen würde.2 Aktuell ist aber davon nichts zu sehen. Die Noitzscher Heide ist heute weitestgehend geprägt von Kiefernmonokulturen, es gibt nur wenige Bereiche mit Laubwald oder Laubmischwald.3

Noitzscher Heide im April 2021

Noitzscher Heide im April 2021. Foto: J. Hansmann

Nun, was ist passiert? Vielleicht werden wir diesbezüglich in Zukunft noch weitere Forschungen anstreben, aber aufgrund diverser Grabensysteme mit alten gemauerten Bauwerken gehen wir davon aus, dass man irgendwann, vielleicht im 19. Jahrhundert, begonnen hat, die möglicherweise einst feuchteren Areale der Noitzscher Heide zu drainieren (also trocken zu legen), um dort noch besser Forstwirtschaft betreiben zu können. Etwaig dort vorhandener Laubwald oder Laubmischwald wurde dann im Laufe von Jahrzehnten der „ordnungsgemäßen“ Forstwirtschaft umgebaut hin zu einer praktischen Kiefernmonokultur. Die Kiefern sind ja auch naheliegend als Baumart an einem solch sandigem Standort, und vielleicht gäbe es dort sogar von Natur aus hier und da an besonders sandigen Stellen Kiefern. Auch heute könnten in einigen Bereichen Kiefern das Waldbild prägen, dann aber als Teil einer lebendigen und abwechslungsreichen Waldlebensgemeinschaft, wie sie die Noitzscher Heide sein könnte, wenn man sie ließe.

Im Landesarchiv Sachsen-Anhalt scheint es Dokumente aus dem Gutsarchiv Schnaditz zu geben, welche für die direkt benachbarte Prellheide beweisen, dass es um 1830 dort noch Hutung gab.4 Somit können wir vermuten, dass auch die Noitzscher Heide einst ganz oder in Teilen ein Hutewald aus Eichen und Buchen gewesen sein mag, mit ein paar Kiefern und Birken an besonders sandigen Standorten und einigen feuchten Stellen am südlichen Rand, wo heute der Rieselgraben verläuft. Dort gab es vielleicht einst kleine Flächen mit Erlenbruchwald.

Kahlschlag in der Noitzscher Heide

Kahlschlag in der Noitzscher Heide im Mai 2020. Foto: J. Hansmann

Stellenweise könnte die Noitzscher Heide durch die Waldweide sehr licht gewesen sein, mit vielen blühenden Sträuchern, Kräutern und kleinen Waldwiesen mit Blumen – alles in allem kann es sich in früherer Zeit (vor der Mitte des 19. Jahrhunderts) bei der Noitzscher Heide also sogar um einen sehr artenreichen Wald gehandelt haben. In solchen Hutewäldern fanden zwar die Bauern stets ihr Brennholz, und es gab auch wahrscheinlich dicke Eichen, wenn man denn mal ein neues Bauernhaus bauen wollte, doch eine derart wachsende Wirtschaft wie in Zeiten der Industrialisierung hatte einen besonders großen Hunger auf Holz, speziell auf Bauholz (zum Heizen wurde nach und nach Kohle modern). Das System der Forstwirtschaft wie auch der holzverarbeitenden Industrie wollte auch keine alten Hute-Eichen oder Hute-Buchen (welche man oftmals sogar alt werden ließ, weil ihre Früchte Vieh wie Mensch als Nahrung dienten), und auch keine knorrigen mehrstämmigen Linden und Hainbuchen, wie sie aus Wildverbiss oder aus Stockausschlägen entstanden. Nun wollte man gerade Baumstämme ohne viele Seitenäste, praktisch anzubauen, einfach zu berechnen, einfach im Sägewerk zu verwerten. Sollte es nach dem 2. Weltkrieg in der Noitzscher Heide noch irgendwo einige Stellen mit dem alten Hutewald gegeben haben, so dürften diese Stellen sicher in den 50er Jahren zugunsten der Monokultur beseitigt worden sein.

Das Resultat sehen wir heute, und nun, im Laufe des Klimawandels nimmt das Drama seinen Lauf. Auf den Karten des Geoportals Sachsen (Analyse von Satellitendaten durch das Kompetenzzentrum für Wald und Forstwirtschaft von Sachsenforst in Bezug auf Waldschäden)5 sieht es in weiten Teilen der Noitzscher Heide nicht gut aus.

Rückegasse in der Noitzscher Heide

Frische Rückegasse in der Noitzscher Heide im April 2021. Foto: J. Hansmann

Nun können die heutigen Menschen nichts dafür, dass man irgendwann angefangen hat, diesen Wald zu einer Kiefernplantage umzubauen, sie können auch nichts dafür, dass der Boden dort sandig ist. Aber leider führt die heutige Waldbewirtschaftung durch den Staatsbetrieb Sachsenforst das einmal begonnene System der Altersklassenwirtschaft weiter. Obwohl diese Betriebsform grundlegend von natürlicher Waldentwicklung abweicht, wird sie auch heute noch auf mindestens 90% der deutschen Holzbodenfläche betrieben. Solche modernen Baumbestände sollten wir nicht Wald nennen, sondern als Forst oder Försterwald bezeichnen. Und es ist weithin bekannt, dass gegenüber einem Wald als natürliche Lebensgemeinschaft die Artenvielfalt in Forsten oder Försterwäldern geringer ist, und dass eine Reihe weiterer ökologischer Wirkungen nicht erfüllt werden kann. Zur bewusst betriebenen Verarmung der Baumschicht und Veränderung des gesamten potenziellen Wald-Ökosystem kommen die speziellen Sünden von heute hinzu, die wir durch den fast flächenhaften Einsatz von tonnenschweren Maschinen wie Harvestern und Forwardern dem Boden zumuten. Auf einer alten Karte von 1874 ist der Wald dort bereits als Nadelwald markiert, aber nur wenige Wege durchziehen die Noitzscher Heide. Auf einer weiteren Karte von 1904 ist schon ein enges Wegenetz erkennbar, welches den Forst bis heute in regelmäßige Parzellen fragmentiert, die kaum Rücksicht auf kleinräumige Standortunterschiede nehmen. Die tonnenschweren Maschinen drücken nun überdies dem armen Waldboden einen Stempel auf, welcher wahrscheinlich bis zur nächsten Eiszeit Spuren an der Waldlebensgemeinschaft hinterlassen wird.

Aufforstung mit Nadelbäumen in der Noitzscher Heide

Aufforstung mit Nadelbäumen in der Noitzscher Heide April 2021. Foto: J. Hansmann

Irgendwann ab 2019 begann die Zeit der größeren Kahlschläge der Neuzeit in der Noitzscher Heide. Eine Altersklassenwirtschaft bedeutet immer mal einen Kahlschlag, aber durch Dürre und Borkenkäfer griff man nun mit jedem Jahr invasiver ein, um das Holz vielleicht noch zu nutzen, vielleicht auch, weil man meinte, damit den Borkenkäfer in Griff zu bekommen. Dabei ist nicht einmal der Borkenkäfer das Problem, er ist nur eine Tierart, welche die Gegebenheiten zum Überleben nutzt, wie sie sich ihm anbieten und wie die Forstwirtschaft selbst sie ihm zur Verfügung stellt. Man könnte vermuten, man wolle vielleicht die Noitzscher Heide nun schnell umbauen zu einem resistenteren Laubwald? Aber da über einen längeren Zeitraum immer wieder neu mit Nadelgehölzen aufgeforstet wird, scheint auch dies nicht der Fall zu sein! Ein Waldökosystem „schnell“ umbauen zu wollen, erlaubt die Natur überdies nicht, denn solche Ökosysteme entwickeln sich über lange Zeiträume, derart langen Zeiträumen, dass wir Menschen diese Ökosysteme in unseren kurzen Lebensspannen vielleicht nicht mal wirklich begreifen können.

Harvester in der Noitzscher Heide

Harvester in der Noitzscher Heide Ende April 2021. Foto: J. Hansmann

Diese flächigen Auflichtungen durch Kahlhiebe kamen zur Unzeit, und es ist auch tragisch, da bereits vorhandener neuer Laubmischwald, welcher sich bereits unter dem Schirm der Kiefern verjüngte und sein bestes tat, bei den Kahlschlägen gleich mit vernichtet wurde. Jemand, der diesen Forst besucht, erlebt eine reine Verschwendungsorgie an Natur, Waldboden, Arbeits- und Maschinenkraft sowie von Erdöl – und das alles wird damit gerechtfertigt, man handle so (in dem Glauben), um so der Natur und dem Klimawandel irgendwie Herr werden zu können. Warum tut man dies? Weiß man es nicht besser, weiß man sich nicht besser zu helfen? Vielleicht hat man es auch mal so gelernt und vertraut auf das Gelernte? Man tut es – und soweit wir wissen, ist es der Staatsbetrieb Sachsenforst, also kein privates Unternehmen, sondern der Staat zerstört hier unter Umständen ein Waldgebiet – denn es ist unklar, ob sich die Noitzscher Heide von diesen Eingriffen in absehbarer Zeit erholen kann. Wir gehen davon aus, dass die Noitzscher Heide den dort tätigen Menschen dennoch wichtig ist – vielleicht ist dies eine Tragödie, wie Menschen wohlmeinend versuchen, hier gegen Trockenheit und Borkenkäfer zu kämpfen, aber in ihrem Kampf schlicht die falschen Mittel gewählt haben, weil man es ihnen einst so beigebracht hat? Es bleibt zu hoffen, dass wir kühle und feuchte Zeiten vor uns haben, damit diese Wunden ansatzweise heilen können, aber generelle Klimaprognosen lassen befürchten, dass es auch in Zukunft wieder extreme Dürreperioden geben wird.

Kahlschlag in der Noitscher Heide

“Besenreiner” Kahlschlag in der Noitzscher Heide Februar 2021. Foto: J. Hansmann

Die Noitzscher Heide ist ein stiller Forst, aber sie ist dies nicht nur wegen der Dürre. Während man im Leipziger Auwald zur Zeit immer Vögel hört, Singdrosseln, Buchfinken, Rotkehlchen, Zaunkönige, Spechte, Eichelhäher usw., ist es in Forsten wie der Noitzscher Heide still, totenstill. Ein Grund wird mit Sicherheit der Nahrungsmangel dort sein, ein anderer Grund werden auch mangelnde Nistgelegenheiten sein. Definitiv nicht zuträglich dürfte aber ebenso der Umstand sein, dass man in der Noitzscher Heide auch noch weit bis in den April hinein mit schwerem Gerät (Harvester, Forwarder) Holz rückt. Eine Vielzahl von Vogelarten brütet bodennah, auch in Sträuchern usw. Wenn man nun in der Noitzscher Heide zur Brutzeit bis in den April hinein flächig mit riesigen Maschinen alles plattwalzt, werden mit Sicherheit auch zahlreiche Nester mit Gelegen oder gar Jungtieren zermalmt worden sein – Rotkehlchen, Zaunkönig und Baumpieper sind z.B. Bodenbrüter, die in solchen Forsten durchaus leben könnten. Bei Bäumen, Hecken usw. ist es aus diesem Grund gemäß Bundesnaturschutzgesetz §39 verboten, diese während der Brutzeit zu zerstören:

„Es ist verboten“ … „Bäume, die außerhalb des Waldes, von Kurzumtriebsplantagen oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen…“6

Kahlschlag in der Noitzscher Heide

Kahlschlag in der Noitzscher Heide Mai 2020. Foto: J. Hansmann

Aber innerhalb eines forstwirtschaftlich genutzten Waldes darf man dies, denn die Wirtschaft darf nicht aufgehalten werden? Man wird uns hierauf antworten, das Holz müsse raus, wegen des Borkenkäfers – aber anstatt das Symptom zu bekämpfen und dabei unter Umständen den Patienten zu töten, wäre es vielleicht klüger, an die Ursachen zu gehen, woran der Patient leidet. Es gibt übrigens seit vielen Jahrzehnten schon die deutliche Aufforderung an Waldbesitzer, ihre artenarmen (Nadelholz)Bestände durch kleinräumige Eingriffe gleichsam mosaikartig zu mehr Laub(misch)wald umzubauen. Das Klima können wir nicht auf Knopfdruck ändern, aber man könnte mit sanften Methoden Laubbäume fördern, den Waldboden gesunden lassen, es zulassen, dass sich Humusschichten aufbauen – nur als Beispiel!

Harvester in der Noitscher Heide

Harvester in der Noitzscher Heide Februar 2021. Foto: J. Hansmann

Wir werden das Drama der Noitzscher Heide weiterhin beobachten. Es wird spannend werden, wie sich die nun dort neu aufgeforsteten Nadelgehölze in Zukunft verhalten werden. Viele Wissenschaftler gehen auch weiterhin von extremen Dürren aus. Es wäre daher in der Noitzscher Heide Zeit, in Sachen Waldbau grundlegend umzudenken – für den Waldstandort! Wir würden es allen Beteiligten und v.a. der Waldlebensgemeinschaft wünschen, von der wir trotz allem glauben, dass sie eines Tages wieder gesunden kann und uns alle vielleicht sogar zum Staunen bringen könnte.

 

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.