Was wird eine CO2-Uhr ändern? Leipziger Umweltsymbolismus und Fakten aus Beton

Abgestorbene Bäume am nördlichen Stadtrand Leipzigs

Abgestorbene Bäume am nördlichen Stadtrand Leipzigs 2021. Foto: J. Hansmann

Ein Beitrag aus dem Aueninstitut für Lebendige Flüsse

Der Klimawandel ist da und er ist in aller Munde. Es wird viel diskutiert, was nun getan werden sollte und inwiefern die Menschheit nun dieser Entwicklung entgegen wirken könnte. Bürger engagieren sich vor Ort in sozialen Bewegungen, um etwas zu tun. Auch in Leipzig gibt es ein Bündnis „Leipzig fürs Klima“, welches mit einer Vielzahl von Aktionen auf das Thema „Klimaschutz“ aufmerksam macht. So wurde bereits ein Klimastreik durchgeführt, es gab einen Vorlesetag fürs Klima, eine Klimabuchmesse, eine Klimamesse und vieles mehr.1

Aktuelles Projekt des Bündnisses ist eine Crowdfunding-Kampagne, bei der Geld gesammelt werden soll für eine CO2-Uhr in der Leipziger Innenstadt. Mit der Uhr soll Politik wie Gesellschaft bewusst gemacht werden, wie drängend es ist, CO2 einzusparen. Ähnliche Uhren gibt es bereits in New York, Glasgow und Berlin. Die Spendengelder sollen nach Abschluss der Aktion an die Stadt Leipzig übergeben werden, damit diese dann „die Uhr in Auftrag geben und die Installation übernehmen“ soll. Es gab auch schon „eine positive Reaktion auf eine informelle Anfrage bei der Stadt“.2

Diese erste positive Reaktion ist nachvollziehbar, denn das Beauftragen und Aufstellen einer solchen CO2-Uhr kostet die Stadt ja keinen müden Euro – es sind ja alles Spendengelder.

Pikant ist: laut Presseberichten hat Leipzig bereits jetzt seine eigenen Klimaziele, welche die Stadt für sich selbst 2014 beschlossen hat, nicht erreicht und wird wie viele andere auch 2026 sein CO2-Budget aufgebraucht haben.3 Das CO2-Budget bedeutet: wenn man mehr als diese Menge an ausgestoßenem CO2 freisetzt, wird wahrscheinlich auch die Erderhitzung um 1,5° überschritten werden ab diesem Zeitpunkt. Laut der Stiftung Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change wird dies global (Stand Juli 2021) in ca. 6 Jahren der Fall sein.4

Somit sind diese positive Reaktion und nach Realisierung auch die Uhr – wahrscheinlich reine symbolische Aktionen. Zwar soll die Uhr Politik und Gesellschaft aufmerksam machen auf das Problem, aber es ist absehbar, dass man sich hier v.a. betreffs der Politik nicht all zu viele Hoffnungen machen sollte. Es sieht nicht so aus, als würden einst gestellten Weichen (hin zu mehr CO2-Verbrauch) von der Verwaltung und Politik in den kommenden Jahren angetastet werden.

Wilhelm-Leuschner-Platz Leipzig

Hier soll nachverdichtet werden, noch stehen hier Bäume: Wilhelm-Leuschner-Platz 2021. Foto: J. Hansmann

Allerdings ist dieses rein symbolische Verhalten seitens der Stadt v.a. betreffs von Themen wie Umwelt und Naturschutz ja bereits ohnedies bekannt. So beteiligt sich Leipzig seit 2009 am bundesweiten Stadtradeln, bei welchem es neben Klimaschutz auch um die Förderung des Radverkehrs geht.5 Aber jemandem, der jeden Tag mit dem Rad unterwegs ist und um die teilweise katastrophalen Zustände betreffs des Radverkehrs weiß, erscheinen solche Aktionen auch nur wie Hohn. Gefährliche Verkehrssituationen werden seit Jahren nicht entschärft, nach wie vor werden Radwege entlang wichtiger Hauptstraßen als Abstellplatz für Baustellen missbraucht – und wenn es Umleitungen gibt, kann man diese kaum Ernst nehmen, führen sie doch ins Nichts oder in noch gefährlichere Verkehrssituationen. Manch Ampelschaltung lässt auch Fragen offen und ist förmlich lebensgefährlich für Radfahrer – seit Jahren, trotz tödlicher Radunfälle an mancher Stelle. Die Stadt Leipzig weiß auch um den hohen Schutzstatus des Leipziger Auwaldes und weiß, dass das Auensystem dringend revitalisiert werden muss, aber anstatt die grundlegenden Knackpunkte in Angriff zu nehmen, wird nach über 10 Jahren (!) erst einmal in kleine, für das Gesamt-Auensystem unbedeutende Nebengewässer investiert, welche nichts am Gesamtzustand ändern werden!6 Stattdessen treibt die Stadt weiterhin zusammen mit anderen Kommunen das WTNK voran, um den Wassertourismus zu befördern7 und baut auch die entsprechende Infrastruktur auf, um noch mehr Wassertourismus auf den teil- und zeitweise jetzt schon übernutzten Flüssen zu erzeugen.8 Die Stadt Leipzig hat schon 2019 eine Stadtklimaanalyse erstellen lassen9, aber u.a. eine der wenigen Grün-Inseln im Innenstadtbereich (Wilhelm-Leuschner-Platz) soll im Sinne der Nachverdichtung überbaut werden.10

Braunkohlekraftwerk Lippendorf

Das Braunkohle-Kraftwerk Lippendorf hat laut Wikipedia 12,4 Mio. Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2006 ausgestoßen. Foto: J. Hansmann

Es ist nachvollziehbar, dass so manch Bürger, wie man aus den Kommentaren unter einem Artikel bei der L-IZ vom 15.07.2021 zum Thema erlesen kann, die CO2-Uhr eher als willkommenes Greenwashing für die Stadt sieht. Leipzig tut ja auch alles Mögliche, um umwelt-, klima- und naturfreundlich zu erscheinen: real passiert aber stets nicht viel. Wenn man die Stadt Leipzig mehr an ihren Taten denn an ihren Worten misst – ist sie alles andere als umwelt-, klima- und naturfreundlich. Etwas sarkastisch wird dies in einem Leserbeitrag wie folgt vorgeschlagen: „Falls tatsächlich genug Geld für einen solchen Unsinn zusammengesammelt wird, habe ich auch noch eine prima Idee für den Aufhängeort: Die Fassade eines der vielen neu geplanten Bauten auf dem Leuschnerplatz, für die alle alten Bäume dort gerodet werden. Immerhin wird dieses Projekt von bestimmten Stadträt*innen ja als ökologisches Leuchtturmprojekt gepriesen.“ 11 Da Verkehr eine der Haupt-Emissionsquellen für CO2 ist, sei hinzuzufügen, dass eine Ausrichtung der Uhr auf den stark befahrenen Ring durchaus überdies einen Reiz hätte. Die größte Quelle für CO2 in Deutschland ist aber nach wie vor der Energiesektor (insbesondere bei fossilen Energieträgern, aber auch bei Energiegewinnung aus Biomasse). Es könnte also sinnvoll sein, generell Strom zu sparen – und vor allem Radverkehr, ÖPNV etc. zu fördern. Bei Elektromobilität werden auch wieder nur große Mengen an Strom verbraucht, auch wenn die Menschen sich einreden, man könnte hiermit bequem das Problem der Emissionen lösen, weil an einem E-Auto kein Auspuff ist – spätestens bei der Stromproduktion entsteht ja doch wieder CO2. Die zweitwichtigste Emissionsquelle laut Umweltbundesamt nach der Energieindustrie ist die Industrie generell.12

Baustelle im Leipziger Norden

Neue Logistikflächen für mehr Verkehr und mehr CO2 braucht das Land? Großbaustelle im Leipziger Norden 2021. Foto: J. Hansmann

Leipzig wächst – und man könnte zuerst denken, Wachstum wäre doch gut? Mehr große Unternehmen in einer Stadt bringen mehr Gewerbe-Einnahmen, mit welchen eine Kommune wieder mehr für ihre Bürger tun kann. Aktuell findet man in Gewerbegebieten des Leipziger Nordens einige Großbaustellen (Warenumschlagplätze13, aber auch bspw. das neue Produktionswerk von Beiersdorf14). Auch der Flughafen Leipzig/Halle will weiter wachsen.15 Bei all diesen Bau-Maßnahmen werden aktuell hektarweise Flächen im rasanten Tempo versiegelt und natürlich wird zusätzlich zur bereits bestehenden Wirtschaft tonnenweise zusätzliches CO2 ausgestoßen. Und es ist absehbar, dass noch mehr Flächen versiegelt werden in Zukunft und hier noch weitaus mehr CO2 ausgestoßen werden wird. Wurde eigentlich geprüft, wie sich diese massiven Flächenversiegelungen auf die Frischluftschneisen in die Stadt auswirken werden und wie sich diese Eingriffe auf die (Grund)wasserdynamik auswirken werden? Wir wissen es (noch) nicht – aber prinzipiell können diese Eingriffe auch diesbezüglich nichts Gutes bedeuten. Vor allem aber bedeuten diese massiven Eingriffe: Leipzig soll noch mehr wachsen, und so wird logischerweise in wie um die Stadt noch mehr Umwelt verschwinden – zwangsläufig, denn mehr Menschen, die in den neuen Logistikzentren usw. arbeiten werden, müssen auch irgendwo wohnen, wollen zur Arbeit fahren usw. Es ist eine Spirale ohne Ende, denn wenn eine Kommune wächst, braucht sie auch wieder mehr Einnahmen, um den Anforderungen der größeren Bevölkerung gerecht zu werden. Ist es eigentlich sinnvoll, immer mehr Wachstum anzustreben in einer Stadt, wo es jetzt schon zu Problemen kommt (Wohnraum, Verkehr etc.) durch Wachstum? Viel Wachstum kann auch bedeuten, dass die Lebensqualität sinken könnte– was wieder soziale Probleme nach sich ziehen kann.

Eutritzscher Freiladebahnhof

Eutritzscher Freiladebahnhof 2021: Hier soll ein neuer Stadtteil in Form einer Schwammstadt entstehen. Foto: J. Hansmann

Wir sind alle von der Wirtschaft abhängig – doch es ist die Frage, welche Wirtschaft wollen wir? Vielleicht wäre auch ein langsames, sozialverträgliches, umweltverträgliches Wachstum, naturverträgliches Wachstum möglich? Man darf gespannt sein, wie sich die Schwammstadt am Eutritzscher Bahnhof entwickeln wird.16 Betreffs anderer Bauprojekte wie dem Wilhelm-Leuschner-Platz, der Parkstadt Dösen usw. stehen die Zeichen eher auf übliche Betonisierung und später neu gepflanzte Alibi-Bäume (nachdem man vorher die alten, wertvollen Bäume gefällt hat, weil diese ausgerechnet Parkplätzen im Weg stehen).17 18 Auch bei der Öffnung des Elstermühlgrabens wird Natur lediglich zum „attraktiven Begleitgrün“ degradiert – laut der Visualisierungen wird hier aber wie bisher Beton und anderer karger Stein vorherrschen.19 Für die Bewohner der Stadtteile werden solche Baumaßnahmen klimatisch nichts verbessern, im Gegenteil. Somit trägt die Kommune selbst zur Betonisierung und Aufheizung innerhalb der Stadt bei. Und bezüglich der Wirtschaft werden seitens Politik und Verwaltung nicht die Weichen neu- oder umgestellt hin zu einer umweltverträglichen, sozialverträglichen Wirtschaft, sondern es geht hauptsächlich um Flugverkehr und Automobilverkehr, welche beide nun wirklich nicht CO2-neutral sind bzw. bei zukünftiger Elektromobilität die Umweltprobleme in der Zukunft lediglich verlagern und wieder andere neue, gravierende Probleme hervorrufen werden.

Sicher ist es nicht einfach für Politik und Verwaltung, über allem den Überblick und auch stets die langfristigen Folgen der Entscheidungen im Blick zu behalten. Kommunen können sich auch nicht immer aussuchen, welche Unternehmen sich in ihrem Umfeld ansiedeln wollen. Gerade in Leipzig wurden hier ja viele Weichen von der Politik schon vor Jahrzehnten gestellt und auch nie überdacht! Dennoch bleibt die Frage: ist soviel Wachstum sinnvoll und wenn Wachstum, könnte es auch anderer Wachstum sein? Vielleicht gar CO2-neutraler Wachstum? Wäre dies vielleicht sogar besser? Kann man hier überhaupt (noch) umsteuern?

Baustelle Neues Werk Beiersdorf Leipzig

Hier entsteht das neue Werk der Beiersdorf AG inklusive eines neuen europäischen Verteilzentrums – immerhin löblicherweise mit Gleisanschluss! Dennoch wird hier natürlich viel Fläche versiegelt. Foto: J. Hansmann

Auf jeden Fall ist es absehbar, dass der CO2-Verbrauch Leipzigs durch all diese großen Bauprojekte und Industrieansiedlungen inklusive des daraus resultierenden nötigen Wohnungsbaus usw. zwangsläufig weiter stark steigen wird – auf Jahre und Jahrzehnte hin! Daran wird auch die CO2-Uhr nichts ändern, die die Stadt dann, von fremden Geld finanziert, irgendwo aufhängen wird. Maximal wird sich ein Passant täuschen lassen – die Fakten aber werden derzeit in und um die Stadt in Beton gegossen und sagen etwas ganz anderes aus. Wir alle sind dem Paradigma des „Wachstums“ so stark verhaftet, dass wir uns nur schwer daraus lösen können. Wir alle leben in Systemen, in welchen die Weichen schon lange gestellt sind – und es ist schwer, diese Systeme zu ändern und die Weichen umzustellen. Ob und wie dies gelingen wird, sind große Aufgaben. Die CO2-Uhr kann da vielleicht nur oberflächlich wirken und symbolisch sein, ggf. sogar tatsächlich für Greenwashing benutzt werden. Doch als Kunst mag sie durchaus zum Denken anregen und könnte hier also eine Funktion ausüben. Mehr kann man aber nicht von ihr erwarten.

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1https://leipzigfuersklima.de/

2https://www.betterplace.org/de/projects/96866-co2-countdown-anzeige-in-leipzig

3https://www.l-iz.de/politik/engagement/2021/07/mahnender-countdown-fuer-die-innenstadt-buendnis-leipzig-fuers-klima-sammelt-spenden-fuer-eine-co2-uhr-400642#comment-21917

4https://www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html

5https://www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/unterwegs-in-leipzig/fahrrad/stadtradeln/

6https://www.leipzig.de/news/news/leipzig-revitalisiert-alte-wasserlaeufe-zschampert-burgauenbach-und-bauerngraben-sollen-neu-belebt/

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