Wilhelm Bodes Neues Buch – Alfred Möllers Dauerwaldidee

Niemand hat sich in den letzten 5 Jahrzehnten wohl intensiver mit der Idee des Dauerwaldes befasst als Wilhelm Bode. So führte er 1987 erstmals in einem Bundesland, dem Saarland, die kahlschlagfreie Dauerwaldwirtschaft flächendeckend ein. In vielen seiner vorangegangenen Bücher wie “Waldwende” (1994, zusammen mit Martin von Hohnhorst), “Hirsche” (2018) oder “Tannen” (2020) zeigt sich seine innige Beziehung zu dieser naturgemäßen und systemisch orientierten Waldbewirtschaftung. Die Schriften des Forstwissenschaftlers Alfred Möller aus den Jahren 1920 – 1922 waren für die damalige Zeit revolutionär, versuchte er doch die Forstwirtschaft von ihrem Paradigma der naturfernen Altersklassenwirtschaft zu befreien, in dem er stringent einen waldökologischen, ganzheitlichen Ansatz verfolgte.

Dass diese Schriften nach nunmehr ziemlich genau 100 Jahren immer noch revolutionär anmuten, “verdanken” sie der nach wie vor dominierenden forstlichen Praxis, die Grundsätze einer solchen Betrachtungsweise und darauf aufbauenden naturgemäßen Waldbehandlung mehr oder weniger systematisch negiert. Daher widmet Wilhelm Bode sein neues Buch “Alfred Möllers Dauerwaldidee” auch all denjenigen Forstbeamten, die sich dem “Holzackerbau des Altersklassenwaldes” verweigerten und dafür von ihren forstlichen Vorgesetzten bestraft wurden.

“Reden wir also Tacheles”, so dann folgerichtig das erste Kapitel, in dem schonungslos die Systemfrage im Wald gestellt wird, die politische Paralyse durch den forstlichen Lobbyismus analysiert und der Frage nachgegangen wird, warum nahezu unverändert weiterhin der “Ideologie der naturfernen Kunstbewaldung” gefrönt wird, und das mit immer mehr und schwererem Maschineneinsatz.

Auch von den klassischen Forstfakultäten ist nicht viel zu erwarten. Statt endlich die Waldwende einzufordern versuchen sich bekannte Forstprofessoren lieber in Aktionen, wie das erfolgreiche Buch des Försters und Bestsellerautors Peter Wohlleben “Das geheime Leben der Bäume” per Petition zu verreißen, da es nach Auffassung des Clusters Forst & Holz zu forstwirtschaftskritisch ist *. Nur logisch ist daher die Forderung Bodes nach eigenen Studiengängen für Waldökosystemwirtschaft, wie sie für den ökologischen Landbau längst selbstverständlich sind **.

Etwa die Hälfte des Buches machen die vollständigen Reprints der Originalschriften Alfred Möllers aus den Jahren 1920 bis 1922 aus. Berührungsängste, in diesen 100jährigen Schriften gewissermaßen in die Seele der Dauerwaldidee einzutauchen, sind unbegründet. Mögen sich bei “Nicht-Waldexperten” einige Sätze der Originalschriften auch nicht bis ins letzte Detail hinein erschließen – z.B. bei den forstökomischen Ausführungen, die mit entsprechenden Fachbegriffen gespickt sind -, so haben die Leser/-innen nach der Lektüre womöglich doch viel mehr über Waldökologie und systemisches Denken gelernt als nach mehreren Semestern an einer klassischen Forstakademie.

Gerhard Hofmann, Orazio Ciancio und Wilhelm Bode selbst transponieren die Originalschriften Möllers in mehreren Kapiteln zudem in die Neuzeit des 21. Jahrhunderts, erläutern die grundsätzlichen Prinzipien und machen die ökosystemzentrierte Dauerwaldidee damit noch leichter verständlich und anschaulicher. Sehr spannend auch zu lesen, wie Möllers Schriften in den Kontext der Historie des deutschen Waldbaus der letzten 300 Jahre einzuordnen sind, so in die ab ca. 1810 aufkommende „Fichtenmanie“, die Etablierung der schlagweisen Wirtschaftsform in Nadelholzmonokulturen für eine maximale Holzproduktion. Nach Möllers plötzlichem Tod im Jahre 1922, der zwar bei einem eigentlich harmlosen Routineeingriff eintrat, womöglich jedoch auch durch eine Diffamierungskampagne sondergleichen zumindest mitverursacht wurde, d.h. auch kurz nach der Veröffentlichung seiner Schrift „Der Dauerwald – Sein Sinn und seine Bedeutung“, brachen heftige und leidenschaftliche Diskussionen zwischen Befürwortern und Bekämpfern dieser Idee aus; Kontroversen, die auch an die aktuellen hitzigen Debatten über die Zukunft unseres Waldes in den Zeiten des menschgemachten Klimawandels erinnern, z.B. zwischen Wissenschaftlern der Studiengänge Waldbau oder Ökosystemmanagement aus Freiburg und Eberswalde.

Die Dauerwaldidee Möllers ist gleichermaßen hochkomplex wie faszinierend einfach. Der Wald wird als ein Beziehungs- und Wirkungsgefüge gesehen, in dem jedes mit jedem auf alles einwirkt. Wichtige Begriffe sind z.B. „Stetigkeit des Waldwesens“, „Kontinuum aus Raum und Zeit“, Mehrgenerationenhaus“ oder „Waldorganismus“. Dauerwald ist auch ein wunderbares Beispiel dafür, dass Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen können, ja müssen, wenn es um die Erzeugung nachwachsender Naturprodukte geht. Somit ist der Dauerwaldbetrieb fast sogar in erster Linie ein ökonomisches Konzept. Und hier zeigt sich wieder, wie aktuell die auch damals geführte Diskussion weiterhin ist, getriggert durch die Auswirkungen des Klimawandels mit Dürren und Hitzeperioden, in denen naturferne Nadelholzplantagen flächig absterben.

Auch andere Waldökologen kommen in dem Buch zu Wort. Norbert Panek analysiert den ökologischen Zustand der deutschen Wälder im Modus einer Holzfabrik. Das Ergebnis ist trotz der Versuche des Ministeriums von Julia Klöckner, Daten der Bundeswaldinventuren schönzurechnen, ernüchternd. Von Naturnähe ist keine Spur auszumachen, der ökologisch relevante Totoholzvorrat sinkt entgegen offizieller Verlautbarungen weiter und auch die Zukunft muss angesichts der durch die Holzlobby dominierten „Eckpunkte der Waldstrategie 2050“ als eher düster prognostiziert werden ***.

Das Autorenteam Bernd Gerken, Johannes Hansmann und Michael Kleff zeigt am Beispiel des Leipziger Auwaldes anschaulich, wie Einzelaspekte des Naturschutzes, in diesem Falle v.a. die Stieleiche als wichtige Baumart des Hartholzauwaldes, dafür herhalten müssen, um Intensivforstwirtschaft mit Schirmschlägen und Kahlhieben per harter Technik zu rechtfertigen. Und dies mit Unterstützung fast aller in Leipzig agierender Naturschutzverbände und auch der biologischen Fakultät, die im Auwald zahlreiche Forschungsprojekte ausführt. Forstlicher Aktionismus trifft auf reduktionistische und utilitaristische Vorstellungen von Wald. „Leipzig ist überall“.

Die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Kurzfristdenken im Wald bzw. Forst haben sich insbesondere durch den menschgemachten Klimawandel dramatisch verschlechtert, jedoch offenbar noch nicht genug, um die Überlegenheit waldökologischer, ganzheitlicher Ansätze wie dem des Dauerwaldprinzips allgemein zu akzeptieren. Möge dieses Buch einen kleinen Beitrag hierfür leisten.

Mein Fazit ist eine uneingeschränkte Kaufempfehlung. Natürlich in erster Linie für diejenigen, die sich mit der Thematik Waldökologie bereits etwas intensiver beschäftigt haben, aber durchaus auch für alle Menschen, denen der Schutz unserer Wälder am Herz gelegen ist. Daher kann man es auch sehr gut als vertiefendes und lehrreiches “Aufbaustudium” in Ergänzung zu den populärwissenschaftlichen Büchern Wohllebens wie “Das geheime Leben der Bäume” und “Der lange Atem der Bäume” (Neuerscheinung) betrachten.

Eine Rezension von Dipl.-Biol. Axel Schmoll, Leipzig

Erscheinungsdatum vorr. 12. August 2021, Kaufpreis 24,- € im Verlag:

https://www.matthes-seitz-berlin.de/vormerken/die-dauerwaldidee.html

https://www.centreforeconics.org/news-and-events/press-release-downloads/zum-wissenschaftlichen-umgang-mit-waldbezogenen-b%C3%BCchern-petitionen-und-gutachten-in-deutschland/

https://www.jmwiarda.de/2021/04/01/die-wahre-geschichte-der-%C3%B6kologischen-waldbewirtschaftung/

https://naturwald-akademie.org/forschung/positionen/kommentar-zur-waldstrategie-2050/

 

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