Moderne Zeiten – Ein frohes neues Jahr!

In der Burgaue im Januar 2021. Foto: J. Hansmann

Ein Beitrag aus dem Aueninstitut für Lebendige Flüsse

Nun hat 2022 begonnen. Vieles ist passiert auf dem Erdenrund im vergangenem Jahr: Millionäre und Schauspieler machten Ausflüge ins Weltall.1 2 3 Weltraumtourismus soll ein neuer zukunftsträchtiger Geschäftszweig  werden.4 Forscher züchteten programmierbare und sich selbst replizierende Frogbots5 und menschliche Miniaturgehirne, die miteinander Pingpong spielen.6 Chinesische Wissenschaftler lassen künstliche Sonnen mit Temperaturen bis zu von 70 Millionen Grad Celsius entstehen.7 Die Entwicklung und auch Nutzung von KI schreitet voran, in China arbeitet man aktuell bspw. an einem KI-Tool namens „System 206“, welches selbst Straftaten (von Glücksspiel bis hin zu politischem Widerspruch) erkennen und auch anklagen soll.8 Man könnte meinen, mit Wissenschaft und Technik könne man alles auf der Welt regeln. Undenkbares und schier Fantastisches rückt immer mehr in greifbare Nähe, aber haben wir das Undenkbare und Fantastische im Griff? Oder – hat es uns im Griff?

Auch wenn die Menschheit im Anthropozän schier Unglaubliches schafft, schafft sie vieles andere auch gar nicht, bspw. den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu reduzieren oder das Artensterben aufzuhalten oder wenigstens abzumildern. Der Philosoph Hans Jonas schrieb einst:

“Zwar drückt das Gebot, unseren Nachkommen kein verödetes Erbteil zu hinterlassen, diese Erweiterung des ethischen Blickfeldes immer noch im Sinne einer menschlichen Pflicht gegenüber Menschen aus – als Einschärfung einer interhumanen Solidarität des Überlebens und des Nutzens, der Neugier, des Genießens und Erstaunens. Denn verarmtes außermenschliches Leben, verarmte Natur, bedeutet auch ein verarmtes menschliches Leben. Aber recht verstanden reicht die Einbeziehung der Existenz der Fülle als solcher in das menschliche Gute und damit der Einschluß ihrer Erhaltung in des Menschen Pflicht über den nutzenorientierten und jeden anthropozentrischen Blickpunkt hinaus. Die erweiterte Sicht verbündet das menschliche Gute mit der Sache des Lebens im ganzen, anstatt jenes diesem feindlich gegenüberzustellen, und gewährt dem außermenschlichen Leben sein eigenes Recht. Seine Anerkennung bedeutet, daß jede willkürliche und unnötige Auslöschung von Arten an sich schon zum Verbrechen wird, ganz abgesehen von den gleichlautenden Ratschlägen des verständigen Selbstinteresses; und es wird zur transzendentalen Pflicht des Menschen, die am wenigsten wiederherstellbare, unersetzbarste aller ‘Ressourcen’ zu schützen – den unglaublich reichen Genpool, der von Äonen der Evolution hinterlegt worden ist.”9

Er schrieb dies 1985, trotzdem sterben nach wie vor Arten mit zunehmender Geschwindigkeit aus, trotzdem vernichtet der Mensch nach wie vor genetische Vielfalt zuhauf.10 Selbst vor unserer Haustür wird es immer stiller, so ist die Anzahl von Vögeln in der EU seit 1980 um 600 Millionen Tiere zurückgegangen.11 In unseren Kulturlandschaften ist mancherorts Rachel Carsons stummer Frühling fast schon Realität.12

Es ist den Menschen eigentlich bewusst, dass wir auf funktionierende Ökosysteme und auch auf biologische Vielfalt zum Überleben angewiesen sind.13 Und dennoch fällt es uns Menschen unglaublich schwer, etwas zu ändern. Vieles von dem, was wir tun, sind letztlich oft auch nur symbolische Tätigkeiten, um uns selbst zu beruhigen und uns ein gutes Gewissen zu verschaffen. Manches ist sogar in Wirklichkeit auch nur ein Business, welches den guten Willen von Menschen nur ausnutzt. Anderes von dem, was wir aktiv machen, ist wahrscheinlich auch zu wenig. Oft kann man dies den einzelnen beteiligten Menschen nicht einmal zum Vorwurf machen – unsere Systeme, unsere eigenen Bedingtheiten und die daraus entstandenen Zwänge und Umstände lassen ihnen vielmals gar keine anderen Optionen!

Agrarsteppe im Süden Leipzigs im Sommer 2020. Foto: J. Hansmann

Vielleicht sind es unsere Lebensweise, unsere Systeme und Strukturen, die die zugrunde liegenden Probleme sind. Vielleicht müssten wir diese grundlegend ändern. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und zugegeben ist unsere moderne Lebensweise sehr angenehm – wer möchte denn auf was verzichten? Allein schon die Forderung nach grundlegenden Änderungen mag da schon für manchen wie eine Drohung klingen. Also versucht Mensch sich an Zwischenwegen und sucht, seinen etablierten Systemen und gelernten Mustern entsprechend, mithilfe von Wissenschaft und Technik neue Lösungen, hat hierbei aber oft Scheren im Kopf, bekommt auch oft Richtungen vorgewiesen. Es ist ja zudem schwer, einmal eingeschlagene Wege zu verlassen oder gegen tradierte Routinen zu arbeiten. Nur ob der Mensch irgendwann den Stein der Weisen finden oder das Perpetuum Mobile erfinden wird? Oder wird der Mensch vielleicht eher die Box der Pandora öffnen? Vielleicht hat er sie schon geöffnet? Fluch und Segen liegen zudem oft nah beieinander und auch etwas, was zunächst scheinbar Gutes bewirken kann, kann ebenso in anderer Hinsicht langfristig sehr Schlechtes bewirken. Zudem ist unsere menschliche Sicht auf die Welt in der Regel zu kurz und wir sind stets zu ungeduldig, um überhaupt die Auswirkungen unserer Taten für die Zukunft überhaupt erahnen zu können. Ob etwas eine gute Idee war, ob etwas richtig oder falsch war, werden wir vermutlich allzu oft erst rückwirkend erkennen können (im schlimmsten Fall, wenn es zu spät ist). So drängt sich beim Betrachten des Tempos unserer technologischen Entwicklungen der Gedanke auf, dass Behutsamkeit und Langsamkeit hilfreich sein könnten, um sich im allgegenwärtigem Eifer nicht zu vergallopieren und nachher wieder nur bei neuen Problemen zu landen, welche man mit einer vermeintlichen Lösung versehentlich erst neu geschaffen hat.

Harvester Oberholz

Hightech im Wald: Harvester im Oberholz bei Leipzig 2021. Foto: J. Hansmann

Auch im Wald halten mit rasendem Tempo moderne Technologien Einzug. Wir wissen noch längst nicht alles über unsere Umwelt und Natur, und neue Technologien werden uns dabei helfen, vieles irgendwann besser zu verstehen. Gleichzeitig haben wir den Drang, mit Wissenschaft und Technik einzugreifen – aus den unterschiedlichsten Motiven. Da wir aber eben vieles noch nicht begreifen können, besteht beim Eingreifen stets die Gefahr, dass wir durch das Eingreifen auch etwas zerstören, was wir nur noch nicht erfassen können – vor allem, da viele Abläufe in der Natur zeitlich ganz andere Dimensionen haben, welche wir Menschen mit unseren begrenzten Lebenszeiten und als noch junge Art auf diesem Planeten nur schwer begreifen können. Viele Wege sind zudem mit Sicherheit noch ganz offen, wohin sich bspw. Evolution bewegt, wird vielleicht immer ungewiss und unplanbar sein. Zwar kann der Mensch anhand moderner Technik unglaubliche Modelle entwickeln und Prognosen abgeben, aber die Modelle gehen zwangsläufig beim Erstellen vom aktuellen Wissensstand zum Zeitpunkt der Erstellung aus, einem Wissensstand, der morgen schon wieder veraltet sein kann – und so müssen Prognosen nicht zwingend eintreffen, ja, so können sie sogar u.U. vermutlich in die Irre führen. Solche Ungewißheiten sind jedoch für Menschen, die Sicherheit wollen, planen und v.a. wirtschaften wollen, schlecht auszuhalten.

Trotzdem hallen durch unsere Wälder Schlagworte wie Assisted Migration (das Einbringen fremder Baumarten in ein anderes Gebiet in der Hoffnung, dass diese fremden Baumarten dort besser wachsen und v.a. rentabler sein werden als die heimischen Baumarten)14 und die neue Bundesregierung möchte im Wald Verjüngung durch motorisierte Saat-Drohnen fördern.15 Man nutzt Drohnen auch zur Forschung (was nachvollziehbar ist)16, aber ebenso entwickeln Firmen aktuell Drohnen zum Fällen von Bäumen.17 Vielleicht werden wir eines Tages in manchen Wäldern keine Vögel mehr, sondern nur noch surrende Drohnen haben? Vielleicht werden diese dann, damit wir uns nicht einsam fühlen im Wald, ja dann parallel zu ihren Arbeiten künstliche Vogelstimmen abspielen?

Manche Menschen denken auch darüber nach, bedrohte Arten durch gentechnische Manipulation zu retten.18 Nur ist dann das, was der Mensch dann erzeugt hat, überhaupt noch Natur? Oder ist das genmanipulierte Nashorn nicht schlicht ein Kunstprodukt – ganz zu schweigen, von den Folgen und Risiken, die wir bei solchen Handlungen schlicht nicht abschätzen können?

Der Mensch tut alles mögliche, Hauptsache, man muss nicht seine Lebensweise und seine Systeme ändern, welche einen letztlich aber erst in diesen und jenen Schlamassel geführt haben! Dabei geraten wir in ein Dilemma nach dem anderen. Prinzipiell sind wir Menschen uns ja nicht einmal darüber bewusst, was Natur eigentlich ist, und es ist davon auszugehen, dass wir viele kleine Arten nicht einmal kennen und vielleicht auch nie kennenlernen werden, weil wir sie vorher ausgerottet haben.19 Oft berücksichtigen wir es auch nicht, dass die genetische Vielfalt innerhalb der einzelnen Arten mindestens ebenso kostbar ist wie die Vielfalt von Arten. Da wir aber offenbar so Vieles auf unseren Planeten nicht einmal kennen, wie wollen wir dann wissen, welche Wechselbeziehungen es zwischen diesen ganzen Lebewesen gibt? Wie wollen wir eigentlich überhaupt abschätzen können, welche Folgen unser Tun haben wird? Es kann richtig sein, etwas zu tun, dennoch könnte mehr Kontemplation und Ruhe an passender Stelle hilfreich sein, damit wir uns die Chance bewahren, uns und unsere Welt in Zukunft besser verstehen können, bevor wir im schlimmsten Falle uns und unsere Welt vernichten.

Naturverjüngte Eichen in der Burgaue 2021. Foto: J. Hansmann

Wir dürfen gespannt sein, welche neuen Ideen und technischen Revolutionen uns 2022 erwarten werden. Übrigens gibt es eine ganz einfache Möglichkeit, Naturverjüngung in einem Wald zu fördern. Man kann zum Beispiel Eicheln sammeln und an anderer Stelle auslegen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erscheinen dann bspw. Eichelhäher und vergraben völlig kostenlos die Eicheln an passender Stelle. Sie tun dies zur Vorratshaltung, so manch Eichel graben sie später auch wieder aus. Aber so ein Eichelhäher vergisst oft, wo er eine Eichel vergraben hat, und dann keimt plötzlich irgendwo eine Eiche.20 In vielen Wäldern und auch anderswo gibt es aber auch so Naturverjüngung, mit welcher der Mensch, wenn er will, auch etwas anfangen kann. Aber nicht muss – man kann solch Naturverjüngung an manchen Stellen auch einfach wachsen lassen. Der Mensch braucht also vielleicht gar keine Saatdrohnen (die sowieso wieder nur Strom verbrauchen und somit betreffs des Klimawandels kontraproduktiv sind). Der Mensch sollte vielleicht mehr mit seinen Mitgeschöpfen kooperieren und seinen Mitgeschöpfen ohne menschliche Vorbehalte und zu viele Erwartungen mehr Freiräume zur Entfaltung lassen.

Wir wünschen unseren Vereinsmitgliedern, Unterstützern, Freunden und allen anderen Lesenden unserer Website auf jeden Fall ein frohes neues Jahr 2022 – mit wie ohne Eichelhäher, mit wie ohne Drohne oder Weltraumausflug! Die Zukunft ist immer offen und nicht nur jedes neue Jahr, selbst jeder Morgen ist eine neue Chance für einen Neubeginn. Bleiben wir gespannt auf all das, was werden wird, aber bleiben wir auch nach wie vor kritisch, wenn wir in unseren modernen Zeiten im Schweinsgalopp die nächsten futuristischen Stufen erklimmen, ohne zu wissen, wo wir da eigentlich hineingeraten sind und wohin wir uns damit hinbewegen – oder wie die Folgen sein werden.


 

Natürlich wird dies stellenweise kritisiert, weil solche Vergnügungsspritztouren für Superreiche (welche nur 1% der Weltbevölkerung ausmachen!) hunderte Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen. Aber wer will dieses 1% daran hindern? Laut der Organisation Oxfam hat dieses 1% der Superreichen bereits jetzt schon einen wesentlichen Anteil am Ausstoß von Treibhausgasen – Tendenz beunruhigend steigend, und in Zukunft noch weiter steigend, auch durch bspw. Weltraumflüge.
https://www.n-tv.de/politik/Oxfam-Superreiche-zerstoeren-das-Klima-article22908530.html
https://ieep.eu/publications/carbon-inequality-in-2030-per-capita-consumption-emissions-and-the-1-5c-goal

Hans Jonas „Technik, Medizin und Ethik. Praxis des Prinzips Verantwortung“, S. 46. Frankfurt am Main 1985

18  Georg Toepfer: „Artenschutz durch Gentechnik? Vom Dilemma zur Tragik des Naturschutzes im Anthropozän“, S. 220. Natur und Landschaft 5/2020

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