Wegesicherung und Rechtsauffassungen

Eschenmassaker am Reitweg in Leutsch

Anmerkungen zur Fällung von 639 Bäumen im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ und zur Frage, ob Rechtsauffassungen eines Amtes die Öffentlichkeit zu interessieren haben:

In der jüngsten Antwort des Amtes für Stadtgrün und Gewässer auf eine Anfrage von NuKLA e.V. zu den „Wegesicherungsmaßnahmen“ im Leipziger Auwald tritt einiges zu Tage. Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung und eine artenschutzrechtliche Prüfung zur Fällung von 639 Bäumen: Nicht notwendig. Die Rechtsauffassung des Amtes hat die Öffentlichkeit nicht zu interessieren. Ökologische Begleitung: Brauchen wir nicht, macht die für die Fällungen beauftragte Firma (oder auch nicht). Besteht an Waldwegen die Verpflichtung für Wegesicherung?: Wir deklarieren einfach alles als atypische Gefahren im Wald.

Vielleicht erinnern sich manche Lesende unserer Website noch an unsere Beiträge vom 17. Februar 2022 und 15. April 2022 zu den „Wegesicherungsmaßnahmen“ im Leipziger Auwald.https://www.nukla.de/2022/04/auch-zu-ostern-will-nukla-e-v-es-genauer-wissen/

Gefällte alte Eschen nahe Campingplatz am Auensee

Ausgangspunkt war ein LVZ-Artikel vom 16. Februar 2022 gewesen, in dem u.a. zu lesen war: „Damit nur gefällt wird, was für das Gesamt-Biotop im Schlosspark auch verträglich ist, wurde ein Sachverständigenbüro für Artenschutz engagiert.“

In einer offenen Anfrage gemäß Umweltinformationsgesetz (UIG) hatten wir am 16. Februar 2022 dem Amt für Stadtgrün und Gewässer einige Fragen gestellt.

Am 31. März 2022 – nach der Überstellung eines Klageschreibens wegen Untätigkeit auf eine Anfrage nach SächsUIG – erhielten wir endlich eine Antwort-Mail vom Amtsleiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, in welcher unsere Fragen jedoch nur teilweise beantwortet wurden, weshalb wir am 14. April 2022 eine weitere Offene Anfrage gestellt haben. In dieser Anfrage haben wir Informationen über die weiteren Fällungen außerhalb der Burgaue und des Schlossparks Lützschena im FFH-Gebiet „Leipziger Auwald“, die Art der „ökologischen Begleitung“, die fehlende FFH-Verträglichkeitsprüfung und artenschutzrechtliche Prüfung abgefragt. Außerdem haben wir darauf hingewiesen, dass gemäß einschlägiger Rechtsprechung an Waldwegen keine Verkehrssicherungspflicht besteht und gefragt, welche rechtliche Auffassung das Amt für Stadtgrün und Gewässer hierzu hat.

Gefällter alter Bergahorn im Schlosspark Lützschena

Auf diese Anfrage haben wir am 16. Mai 2022 vom Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer ein Antwortschreiben erhalten, welches uns in vielen Punkte doch sehr verwundert und zudem sehr deutlich macht, welche immensen Eingriffe durch die „Wegesicherungsmaßnahmen“ tatsächlich erfolgt sind.

Insgesamt waren durch die „Wegesicherungsmaßnahmen“ 639 Bäume betroffen, davon 57 Eichen und 327 Eschen, beides typische Arten der Leipziger Hartholzaue. Von diesen Bäumen hatten 21 Bäume einen Stammdurchmesser von mehr als einem Meter, 55 Bäume zwischen 80 und 100 cm und 127 Bäume zwischen 60 und 80 cm.

Die übermittelte tabellarische Gesamtschau der insgesamt im FFH-Gebiet erfolgten “Verkehrssicherungsmaßnahmen” zeigt überdeutlich, dass dem Lebensstätten- und Artenschutz sehr wenig Beachtung geschenkt wurde. Lediglich für einen Baum wurde bemerkt: “Achtung, Spechthöhlen belassen”. Bezüglich der übrigen 638 Bäume gibt es keinerlei Hinweise. Und dies, obwohl zahlreiche alte und totholzreiche Bäume betroffen waren (s.o.). Es ist extrem unwahrscheinlich, dass in all diesen Bäumen keine Lebensstätten von Vögeln, Fledermäusen oder Totholzkäfern vorhanden waren. Offensichtlich hat man sorgfältig weggesehen oder zumindest nicht so genau hingeschaut. Dies verdeutlichen die Antworten zu unseren Fragen 2, 5 und 6. Eine ökologische Begleitung erfolgte nicht. Vielmehr wurde die artenschutzrechtliche Brisanz auf unverantwortliche Weise einfach auf die gebundene Fachfirma für die Fällungen abgeschoben und somit auch versucht, sich der Haftungsfrage zu entziehen. Mit dem bekannten lapidaren Hinweis: „Bei Antreffen artenschutzrelevanter Tierarten bzw. bei Verdacht sind die Arbeiten sofort einzustellen und der Auftraggeber zu informieren…“. Wer sich ein wenig mit dieser Thematik im Alltag von Behörden und Fachfirmen auskennt, weiß zur Genüge, was darauf folgt. In aller Regel nichts… So war es dann wohl auch hier der Fall. Auf die Frage 5, wie sich das Amt erklärt, dass offenbar keine Lebensstätten vorgefunden wurden, weiß das Amt nur zu antworten, dass Baumtorsos stehen gelassen wurden und Totholz in der Fläche verbleibt und Habitatstrukturen sich weiterhin entwickeln können. Also eigentlich keine Antwort und eine Verkennung naturschutzfachlicher Sachverhalte, z.B. dass sich Lebensstätten des Totholzkäfers Eremit häufig in den Baumkronen befinden und bei Fällung i.d.R. zerstört werden oder dass Fledermauslebensstätten nur in stehenden Bäumen existieren können. Die Frage 6, ob ein Hubsteiger zur Suche nach Lebensstätten eingesetzt wurde, wird schlichtweg ignoriert. Es wird lediglich mitgeteilt, dass ein Hubsteiger zur Herstellung von Baumtorsos verwendet wurde.

Interessant ist auch die Antwort des Amtes für Stadtgrün und Gewässer zu den Ausführungen von NuKLA, dass gemäß Rechtssprechung keine Verkehrssicherungspflicht an Waldwegen besteht (Frage 4).

Zur Erklärung: Das Landgericht Magdeburg hatte im Verfahren zum Harzer Hexenstieg, bei dem der Kläger auf Schadensersatz geklagt hatte, weil er durch einen deutlich erkennbar abgestorbenen Baum verletzt worden war, betont: Ein Wanderer, der auf eigene Gefahr Waldwege betritt, kann grundsätzlich nicht erwarten, dass der Waldbesitzer Sicherungsmaßnahmen gegen waldtypische Gefahren ergreift. Mit waldtypischen Gefahren müsse der Waldbesucher auch auf Wegen rechnen. Er sei primär selbst für seine Sicherheit verantwortlich. Risiken, die ein freies Bewegen in der Natur mit sich bringe, gehörten grundsätzlich zum entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko.

In der sehr kurzen Antwort des Amtes für Stadtgrün und Gewässer wird einfach behauptet, es handele sich um atypische Gefahren.

Interessantes zu aypischen und typischen Gefahren im Wald kann man z.B. hier bei „Wald und Holz“ NRW nachlesen, einer Organisation übrigens, die ähnlich wie Stadtforsten Leipzig dem „Holzmachen“ nicht unaufgeschlossen gegenübersteht: https://www.wald-und-holz.nrw.de/fileadmin/Regionalforstamt/Dokumente/FAQ_Verkehrssicherungspflicht_Stand_15.11.19.pdf. Einige Passagen hieraus: „Waldtypische Gefahren sind Gefahren, die von lebenden und toten Bäumen, sonstigem Aufwuchs oder natürlichem Bodenzustand ausgehen… Auf den Waldzustand mit den entsprechenden waldtypischen Gefahren (Trockenäste in Baumkronen, Reisig, herabhängende Äste, mangelnde Stand- und/oder Bruchfestigkeit von Bäumen, Schlaglöcher, unbefestigte Randstreifen, Steine, Wurzeln oder Glatteis) muss sich der Erholungsverkehr im Rahmen seiner Eigenverantwortung einstellen… Für atypische Gefahren im Wald, die in der Regel vom Menschen künstlich geschaffen sind, trifft die Waldbesitzenden hingegen die volle Verkehrssicherungspflicht auch innerhalb des Waldes… Kalamitätsbäume im Wald (durch Trockenstress, Käferbefall, etc.) begründen allein noch keine Verkehrssicherungspflicht in Bereichen, in denen ansonsten keine Verkehrssicherungspflichten bestehen. Der Besucherverkehr muss im Wald mit Gesundastabbrüchen und ggf. auch kompletten Baumversagen rechnen. Dies gilt auch für die neuen Schadbilder von Käferfichten und z.B. versagenden Buchen. Käferbefall und Trockenheit sind waldtypische Gefahren, auch wenn sie erheblich vermehrt auftreten… Bei einer sog. Megabaumgefahr (kurz Megagefahr) wird empfohlen, die Gefahr ab Kenntnis schnellstmöglich zu beseitigen. Eine Megagefahr, ist eine Gefahr, die für jedermann erkennbar ist und die ohne jeglichen Zweifel in allernächster Zeit in einen schweren Schaden umschlagen kann.“

Eins solche „Megagefahr“ dürfte aber höchstens bei einigen sehr wenigen der insgesamt 639 betroffenen Bäumen bestanden haben. D.h. es ist davon auszugehen, dass die Fällung der allermeisten Bäume über die Verkehrssicherungspflicht gar nicht zu rechtfertigen war.

Schon fast abstrus ist die Aussage des Amtes, dass eine Verkehrssicherungspflicht auch dann bestünde, wenn mit einem verbotswidrigen Verhalten oder Fehlverhalten von Menschen zu rechnen ist, z.B. wenn sie Absperrungen missachten.

Holzstapel mit dicken Stämmen, z.T. mit Mulmhöhlen, im Schlosspark Lützschena

In Frage 3 hat NuKLA das Amt für Stadtgrün und Gewässer auf den Widerspruch zur bisher geäußerten Rechtsauffassung zum Urteil des OVG Bautzen hingewiesen und gefragt, warum keine FFH-Verträglichkeitsprüfung für die Fällungen durchgeführt wurde und wie die jetzige Rechtsauffassung ist. Die Antwort des Amtes ist auch hier sehr aufschlussreich. Die Verpflichtung zur Übermittlung einer Rechtsauffassung bestünde nicht. Das mag durchaus der Fall sein. Aber es stellt sich doch sehr dringlich die Frage, warum das Amt seine Rechtsauffassung der Öffentlichkeit nicht übermitteln möchte. Hat es etwas zu verbergen? Immerhin geht es um die Fällung von 639 Bäumen in einem europäisch geschützten Gebiet und einen erheblichen Eingriff in das Waldökosystem! Die vielbeschworene Transparenz von Behörden sähe sicherlich anders aus.

Die Fotos: NuKLA

Foto 1: Eschenmassaker am Reitweg im Leutzscher Holz
Foto 2: Gefällte alte Eschen nahe des Campingplatzes am Auensee
Foto 3: Gefällter alter Bergahorn im Schlosspark Lützschena
Foto 4: Holzstapel mit dicken Stämmen, z.T. mit Mulmhöhlen, im Schlosspark Lützschena

 

 

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