Irrungen und Wirrungen mit der „Lebendigen Luppe“

In der Leipziger Burgaue im August 2022. Foto: J. Hansmann

Zum aktuellen Stand August 2022 betreffs der Nicht-Revitalisierung der Leipziger Aue

Ein Beitrag aus dem Aueninstitut für Lebendige Flüsse

Manchmal gibt es so Dinge, die erscheinen zunächst riesig groß und es sieht so aus, als würde sich Wunder was dahinter verbergen. Als für das Projekt „Lebendige Luppe“ im Juni 2012 in der Auwaldstation Lützschena das Startzeichen gegeben wurde, konnten die Bürgerinnen und Bürger hoffen, dass sich nun bald etwas in Sachen Auenrevitalisierung tun würde. 1 Es schien damals noch alles offen zu sein. Nun schauen wir uns über zehn Jahre (!) später an, was dieses Projekt bisher bewirkt hat. Wir kommen nicht umhin, enttäuscht zu sein und uns auch getäuscht zu fühlen! Es ist sehr verständlich, dass ein so großes und umfassendes Projekt einige Jahre an Vorbereitungen braucht. Es ist uns auch bewusst, dass das Projekt „Lebendige Luppe“ vom zeitlichen Management her ein Auenentwicklungskonzept als Grundlage gebraucht hätte. Ende 2022 soll es ein solches Konzept dann geben – wir sind gespannt! Die seltsame Reihenfolge ist nicht mehr rückgängig zu machen, aber nun muss ein Projekt in das Auenentwicklungskonzept eingegliedert werden, dass ohne Bezug zum Gesamtkonzept gebastelt wurde? Tatsächlich eine schwierige Situation. 2 Es ist nachvollziehbar, dass es zudem sehr schwer ist, alle Interessen in Bezug auf die Auenrevitalisierung unter einen Hut zu bekommen. Wir wissen überdies, dass für die Auenrevitalisierung teilweise sehr komplizierte und über Jahre verkrustete Strukturen geändert werden müssen. 3 Das ist wirklich alles andere als einfach.

Wir wissen aber auch, dass es dennoch möglich ist, eine Aue zu revitalisieren, weil andere Kommunen es schlicht schon einmal geschafft haben – in kürzerer Zeit. Es gibt tatsächlich keine Aue, die nicht revitalisierbar oder wenigstens renaturierbar wäre. Ist es nicht peinlich, dass ein kleines Arnsberg mit 73.423 Einwohnern 4 es geschafft hat, die Ruhr selbst in ihrem Lauf mitten durch die Stadt zu revitalisieren 5, während das große Leipzig mit 609.869 Einwohnern 6 nach zehn Jahren immer noch nicht zu Potte kommt?

Wir fragen nun, was denn jetzt künftig im Rahmen des Projektes „Lebendige Luppe“ passieren soll?

Zunächst wurde das Projekt in vier Bauabschnitte geteilt, Bauabschnitt 1-3 und Bauabschnitt 4. In Bauabschnitt 1-3 „werden verschiedene Alternativen für den Fließgewässerlauf ‚Lebendige Luppe‘ sowie flächenhafte Überflutungen erarbeitet und vergleichend bewertet. Die daraus hervorgehende Vorzugsvariante ‚Lebendige Luppe‘, die von möglichst vielen Akteuren akzeptiert und getragen und als genehmigungsfähig eingeschätzt wird, soll dann bis zur Genehmigungsreife geplant werden. Dazu gehören neben der ingenieurtechnischen Objekt- und Fachplanung auch Umweltplanungsleistungen, wie z.B. die Erstellung eines Artenschutzfachbeitrags, einer FFH-Verträglichkeitsprüfung, einer Umweltverträglichkeitsstudie und eines Landschaftspflegerischen Begleitplans. Bis Herbst 2023 soll die Vorzugsvariante ins Planfeststellungsverfahren gebracht werden…“ 7

Das Nahle-Auslaufbauwerk in der Burgaue 2018. Foto: J. Hansmann

Was sind das nun für Alternativen, die man für den Fließgewässerlauf „Lebendige Luppe“ erarbeitet hat? Eigentlich wäre es logisch, den historischen Lauf der Luppe wieder zu beleben. Als besonderes Kennzeichen der Leipziger Auen ist dieser bis auf ein Teilstück im Gelände noch gut zu erkennen. So ist die heutige Kleine Luppe das erste Teilstück der eigentlichen Luppe laut den ältesten und genauesten uns verfügbare Karten, den Meilenblättern von Sachsen (Berliner Exemplar) aus den Jahren 1802 und 1806. Was wir heute die Nahle nennen, bildet bis zur Gustav-Esche-Straße den weiteren einstigen Luppelauf ab. Erst einige Meter westlich der Gustav Esche-Straße wurden ca. 500 Meter des historischen Flusslaufes verschüttet. Das ist jedoch leicht korrigierbar! Anschließend ist das Flussbett der Luppe im Gelände vollständig vorhanden, jedoch wird es heute die „Alte Luppe“ genannt. 8

Betreffs dieser naheliegenden Option gibt es aber anscheinend einige Probleme zu bewältigen, zumindest klingt dies so aus den Texten auf der Website des Projekts „Lebendige Luppe“ heraus und so schwang es auch in diversen Vorträgen und Informationsabenden mit.

Weil die aktuelle Sohle der Nahle einst eingetieft wurde, muss sie nun wieder schlicht angehoben werden. 9 Bisher mündet die Nahle zudem in die Neue Luppe, und beide Kanäle wirken seit bald einhundert Jahren als Drainkanäle austrocknend auf den Auwald ein. Das kann jedoch ebenfalls geändert werden – es erfordert Erdarbeiten, und solche bilden kein Problem.

Als ein weiteres Problem wird unseres Wissens nach ein Mischwasserauslass am Zusammenfluss von Nahle und Kleiner Luppe genannt. 10 Nun ist es aber seit Jahrzehnten bekannt, dass das Mischwassersystem der Leipziger Kanalisation generell problematisch ist. 11 12

Mischwasserauslass an der Kleinen Luppe August 2022. Foto: J. Hansmann

Was bedeutet der Begriff Mischwassersystem? Wir versuchen es, ganz kurz und einfach zu erklären: Abwasser und Regenwasser werden bei diesem System nicht getrennt. Das machte den Bau eines solchen Systems auf den ersten Blick einfacher und den Betrieb kostensparender. Der Nachteil ist aber, dass solche Systeme bei Starkregenereignissen schlicht überlaufen. Diese Mischwasser-Lösung könnte aufgrund des Klimawandels in Zukunft noch häufiger überlastet werden! Es ist fatal, Mischwasserauslässe leiten bei Starkregenfällen das komplett ungereinigte Abwasser samt Fäkalien, Toilettenpapier usw. usf. in die Flüsse – mit allen üblen Folgen für Natur und Umwelt. Bekanntlich wirken sich diese Verschmutzung über die Flüsse letztlich auch auf unsere Ozeane aus. Das ist der Grund, weswegen der Trend heutzutage in Richtung Trennsysteme geht. 13 14 15 Für Leipzig ergibt sich so die dringende Notwendigkeit, dieses Mischwassersystem in ein Trennsystem umzubauen. Das hätte in den vergangenen Jahren, da man um die Problematik weiß, längst geschehen sein können.

Toilettenpapier und Feuchttücher aus Mischwasserauslässen im Rosental an der Weißen Elster 2018. Foto: J. Hansmann

Wir wissen, dass ein solch grundlegender Systemwechsel eine Mammutaufgabe darstellt. Dass die Stadt sich davor scheut mag verständlich sein, aber zweifellos wird man sich dieser Aufgabe in naher Zukunft stellen müssen! Das wird allein schon deshalb geschehen, weil Wasser zur Speisung der Grundwasservorräte und zur Wiederbelebung der Auen – u.a. als wichtige Klimaregulatoren – dringend benötigt wird. Ohne Trennsystem wird im Überlastfall der Landschaft flussabwärts und den Unterlieger-Siedlungen und Städten zudem unzumutbarer Dreck vor die Tore gespült! Wasser ist kostbar, und vor allem das immer noch relativ reine Regenwasser. Leipzig soll sowieso Schwammstadt werden – in Vorbereitung dieses Großprojektes muss der Umgang mit Abwasser spätestens dann geändert werden. 16

Offenbar ist man sich ja auch darüber bewusst, dass die Mischwasserauslässe ein Problem darstellen. Die Leipziger Wasserwerke haben sich laut ihrer Website u.a. das Ziel gesetzt, die „Einleitungen von Mischwasser in die Leipziger Flüsse um jährlich 30 %“ zu reduzieren, „womit die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden“. Daraus müssen wir schließen, dass dies momentan nicht der Fall ist? 17 Zudem hat man die Kanalnetzsteuerung ersonnen, mit welcher noch mehr Stauvolumen (ca. 40.000 m³) innerhalb „der Mischwasserkanalisation durch die Verbundsteuerung“ geschaffen werden sollen. 18 Nun – vielleicht reicht dies zunächst aus und der Mischwasserauslass wird dann nicht mehr gebraucht? Oder gibt es noch andere Zwischenlösungen, so der Systemwechsel vorerst nicht in Angriff genommen werden mag? In jedem Fall muss dieser alte Mischwasserauslass nicht als Hindernis gesehen werden, sondern als lösbares Problem begriffen werden.

Mülldeponie Möckern August 2022. Foto: J. Hansmann

Ein weiteres Problem in diesem Bereich könnte für die Planer des Projekts „Lebendige Luppe“ maximal noch die ehemalige Deponie Möckern darstellen. 19 Von 1937-1983 hat man hier Trümmerschutt und Hausmüll zu einem ca. 35 Meter hohen Berg aufgetürmt. 20 21 Mitte der 2000er Jahre wurde die Deponie für 4,3 Millionen € saniert. Offensichtlich ist diese Sanierung nicht gut gelungen. Für Passanten direkt erkennbar ist die Deponie vor allem an den Böschungen undicht geworden, der alte Hausmüll tritt offen zutage! 22 Zwar hatte man vor einigen Jahren schnell Mountainbiker als Schuldige benannt 23 und sicher wird deren Tun auch dazu beigetragen haben, dass die Deponie nicht mehr in so gutem Zustand ist, aber dieses Argument ist nur vorgeschoben. Der Müll rutscht ebenso an Stellen ohne Trails von Mountainbikern! Der Verdacht liegt doch eher sehr nahe, dass man für diese 4,3 Millionen € Mitte der 90er Jahre nicht gut gearbeitet hat, oder es wurde eine Billiglösung bevorzugt? Auch im Blick auf die Sicherung des Grundwassers ist die Deponie bedenklich, auch wenn die Landesdirektion zumindest 2018 „keine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen“ sah. 24 Dennoch muss hier eine langzeitlich wirksame und sichere Sanierung der Deponie in Zukunft passieren. Diese ist seit Jahren bereits dringend und zudem ist sie vollkommen unabhängig von der Auenrevitalisierung. Deponiesanierungen gehören mittlerweile zum Routineprogramm von Umwelttechnikern und solches gehört spätestens seit den 1990er Jahren zum Regelprogramm einschlägiger Ingenieur-Studiengänge. Somit ist es technisch ausgereift machbar, die Böschung nachhaltig zu dichten, so dass sie auch nicht mehr rutschen kann! Zur Nahle hin – also der ursprünglichen, jedoch eingetieften Luppe – muss es neue Spundwände zur Abdichtung geben – das alles ist kein Hexenwerk. Natürlich kostet das alles Geld, aber der erkennbar prekäre Zustand sollte nicht einmal mittelfristig bleiben.

Offenliegender Müll an der Böschung der Mülldeponie Möckern August 2022. Foto: J. Hansmann

Angesichts all dieser eigentlich lösbaren Probleme tendiert man beim Projekt „Lebendige Luppe“ anscheinend lieber dazu, einfache Wege gehen. In der Tat bildet die derzeit offenbar präferierte Planung (die wir weiter unten erläutern werden) die wenigsten Widerstände (Es sei denn sie wird sich als nicht genehmigungsfähig entpuppen), doch sollten die benannten Probleme im Interesse Nordwestsachsens und seiner Unterlieger nicht weiter negiert oder vertagt werden! Und diese einfachen Wege mit den wenigsten Widerständen werden sich alsbald als Täuschung erweisen und sind somit nicht zielführend für die Wiederbelebung der Aue.

Bei der neuen Planung der Lebendigen Luppe haben wir schon zahlreiche Varianten gesehen. Die meisten erfordern eine Sohlanhebung der Nahle (der ursprünglichen Luppe). Seit Jahren tut man sich mit dieser wiederum technisch einfachen Maßnahme schwer. So waren in den Tischvorlagen zum Scopingverfahren 2017 noch zwei Varianten zu sehen: einmal an der Stelle, wo das Nahleauslassbauwerk ist und einmal ungefähr ab dem Nahleberg (Mülldeponie) Wasser in die Aue zu lassen. In einer auf der Website aktuell veröffentlichten Karte ist aber auch die naheliegendste Variante als Alternative zu finden, die über den auf 500-Meter verschütteten historischen Flusslauf führt. 25 Allerdings war an einem Infoabend im Februar 2022 zu hören, dass man sich immer noch davor scheut, die Sohle der Nahle anzuheben und man denkt nun darüber nach, erst einmal ein Schlauchwehr am Nahleauslassbauwerk zu bauen, um den Fluss einzustauen und so das Wasser in den Auwald zu bringen. Warum? 26 Ein Schlauchwehr wäre der Gipfel an Naturferne bei fehlender Nachhaltigkeit solcher Kunstgebilde aus Plastik, Gummi, Stahl und Beton. Und so gäbe es auch keine Sedimentationsdynamik!

Bei der aktuellen Projektkarte von 2022 27 bleibt zudem die Alte Luppe ausgespart – warum eigentlich? Befürchtet man Probleme mit Anwohnern? Wir müssen hier noch mal darauf hinweisen, dass die Stadt Leipzig bis in die jüngste Zeit erlaubte, dass Auenland, d.h. von Natur aus der Hochwasserretention vorzubehaltende Teile der Luppe-Aue, in Gundorf direkt am Ufer der Alten Luppe als Bauland ausgewiesen werden konnte. Das geschah vor wenigen Jahren, wo schon klar war, dass die Aue revitalisiert werden muss! Was soll man dazu noch sagen? 28 29 30 31 Manche äußerten schon damals den Verdacht, dass die Stadt sich zwar einerseits gern mit schönen Reden schmückt, aber die Auenrevitalisierung doch gar nicht ernst nähme. Es will hier betont werden, dass es trotz dieser Übergriffe auf natürliches Retentionsgebiet auch hier noch Lösungen gibt, so dass die Revitalisierung vorgenommen werden kann.

Burgauenbach mit kleinen Dämmen im August 2022. Foto. J. Hansmann

Laut des o.g. Informationsabends im Februar 2022 32 und bereits o.g. Karte von der Website des Projekts „Lebendige Luppe“, scheint man also momentan tatsächlich wieder eine typische Leipziger Schein-Lösung für die Burgaue zu favorisieren. 33 Von der Kleinen Luppe soll ausgehend vom Burgauenbach etwas mehr Wasser als bisher in die Burgaue geleitet werden. Bei dieser Klein-Klein-Lösung muss das Wasser zudem unter zwei Bahndämmen und unter der Gustav-Esche-Straße durchgeleitet werden. Prinzipiell kann man natürlich Bahnlinien wie auch Straße anders bauen, und zwar so, dass sie nicht die Auendynamik behindern. Nach bisheriger Erfahrung einschließlich des jüngsten Neubaus der Bahnstrecke am Heuweg ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass man hier gleich zwei Bahnlinien und eine viel befahrene Straße für die Auenrevitalisierung in den kommenden Jahrzehnten neu planen und bauen wird!

Hier muss der Burgauenbach unter einer der beiden Bahnlinien unterirdisch durch. Foto: J. Hansmann

Die Ausmaße des Burgauenbachs sprechen zudem einfach dagegen, dass hier jemals so etwas wie Flussdynamik in die Aue gelangen könnte – Der Burgauenbach ist eben wirklich nur ein Bach. Der Abfluss beträgt bei einem mittleren Hochwasser (MQ) „sagenhafte“ 500 l/s – das ist ein halber Kubikmeter pro Sekunde! 34 Über die Nahle könnten dagegen große Anteile des Wassers aus der Weißen Elster in die Nordwestaue gelangen, so dass hier wirklich Auenbedingungen erzeugt werden können, bei denen auch Geschiebeverlagerungen als Kennzeichen einer lebenden Aue erfolgen würden. Wenn die Variante mit dem verfüllten Gewässerabschnitt umgesetzt würde, könnte dann von hier aus tatsächlich ein wenig Auendynamik in der Aue ankommen – wobei es auch hier darauf ankommt, wie man dies umsetzt! Und es wirkt wie eine vergebene Chance, dass man dem eigentlichen, weiter südlich liegenden Luppe-Lauf anscheinend so gar kein Wasser geben mag. Sollte man sich für die Variante des verfüllten Flussbettes entscheiden: Wirklich frei will man das Wasser auch vom Kilometerweg abwärts nicht fließen lassen. Anscheinend wird überlegt, einen ca. 250-Meter-langen komplett neuen Gewässerabschnitt anzulegen, um die Lachen nördlich des Kilometerweges gezielt zu bespannen. Danach will man die „Lebendige Luppe“ offenbar wieder über eine schnurgerade unnatürliche Verbindung (evtl. alter Drainkanal) hin ausgerechnet zum Bauerngraben leiten, der ein absolut unnatürliches Gewässer und somit ein Fremdkörper in der Nordwestaue ist!

Warum sollte es auenökologisch sinnvoll sein, den drainierenden Bauerngraben mit viel Mühe umzubauen? Warum lässt man dem Wasser im Wald nicht freien Lauf? In diesem Bereich gibt es keine Hindernisse, sondern Auwald, der seiner Natur nach einen flächigen Hochwasser-Abfluss erwartet! Warum bevorzugt man künstliche Bauten, statt die Vorgaben der Auenlandschaft zu nutzen?

Ausbringung von Gülle auf dem Pfingstanger August 2020. Foto: J. Hansmann

Wie würde es nun ab der Burgaue weitergehen? Dafür scheint es mehrere Varianten zu geben, welche favorisiert wird, wissen wir nicht. Aber alle Varianten haben es gemeinsam, dass sie die Alte Luppe in Siedlungsnähe komplett aussparen und auch landwirtschaftliche Flächen wie den Pfingstanger nur am Rande tangieren. 35 Diese Flächen werden auf die heutige gängige Weise intensiv landwirtschaftlich bewirtschaftet – inklusive Überdüngung und auch Einsatz von Pestiziden. Allein schon zum Schutz des Grundwassers sollte dies aber nicht so sein! Früher oder später muss also auch hier so oder so ein Wechsel in der Bewirtschaftungsform geschehen, auch wenn die Stadt diesem Konflikt momentan noch ausweicht. Vor allem tendiert man anscheinend dazu, das Wasser schon vor der Domholzschänke wieder in die Neue Luppe (Drainkanal, kein echter Fluss!) abzuleiten. Warum? Wieder aus Angst vor möglichen Konflikten?

Kann mit all diesen Varianten, so wie sie beschrieben werden und auf den Karten zu sehen sind wirklich Auendynamik in der Aue ankommen? Doch wohl eher nicht! Und – das ist dem Projekt „Lebendige Luppe“ auch bewusst! Auf der Website des Projekts lesen wir: „Die Lebendige Luppe wird sich später als ein kleines Niederungsfließgewässer mit der Wasserführung eines Baches darstellen.“ 36 – Wer je daran geglaubt hat, dass das Projekt „Lebendige Luppe“ zu einer revitalisierten Leipziger Nordwestaue führen will, der wird nun hier jäh enttäuscht! Die Projektleitung weiß was sie wirklich will – einen Bach!? Es ist unmittelbar offensichtlich, dass mit einem solchen Bach keine Auenrevitalisierung zustande kommen kann. Man strebt das Ziel der Revitalisierung sogar nicht einmal mehr an, obwohl es immer wieder öffentlich beteuert wird.

Mit der Planung dieser Variante der „Lebendigen Luppe“ kann also kein lebendiges Gewässer und erst recht keine lebendige Aue entstehen. Offenbar beabsichtigt das Projekt, Millionen Euro in einen Bach zu vergraben, was mit jahrelangen Störungen des Auwaldes und weiteren Verlusten an Baumbestand einhergehen und sodann auf weitere Jahrzehnte die weiteren Drainage der Nordwestaue bewirken wird.

Ist dem Bundesamt für Naturschutz in Bad Godesberg bewusst, dass es sehr viel Geld in ein nicht einmal für die Region relevantes Bauprojekt für „ein kleines Niederungsfließgewässer“ investiert? Projekte des Bundesamts sollten unseres Wissens die Qualität von Modellprojekten mit nationalem und EU-Rang aufweisen!

Gegenüber dem Scoping-Verfahren von 2017, das zu einer Ablehnung der damaligen Variante geführt hatte, konnte die Planungsgruppe – fünf Jahre später – keine bessere Lösung vorlegen -?! Was jetzt vor uns liegt, und zügig durch die Genehmigungshierarchie geschleust werden soll, wird in der Realität wirklich nur eine sehr teure kosmetische Maßnahme sein. Sie mag hie und da hübsch aussehen, aber sie wird und kann rein gar nichts mit einer „Lebendigen Luppe“ oder einer „Lebendigen Aue“ zu tun haben.

Es ist erneut offenkundig, dass das Projekt „Lebendige Luppe“ nichts Grundlegendes am Zustand der Aue ändern will. Man geht dementsprechend seitens des Projekts auch weiterhin davon aus, dass es auf absehbare Zeit keine Sohlanhöhung der Nahle geben wird: „Mit Hilfe des Querbauwerks an der Nahe wird es möglich sein, die Aue mehrmals jährlich mit Wasser zu versorgen, d.h. lokale Überflutungen zu erzeugen. Dabei ermöglicht das Querbauwerk, das ein sogenanntes Schlauchbauwerk ist, ein Anstauen der Nahle und den Flutungsabfluss in die Aue, ohne eine Sohleanhöhung der Nahle kurzfristig vornehmen zu müssen. Herr Steinz betonte jedoch, dass das Schlauchbauwerk flexibel ist und auch nach einer späteren Sohleanhebung der Nahle nicht seine Funktion verliert.“ 37 Ist der Projektleitung bekannt, dass es damit keine Sedimentationsdynamik und keine Umlagerungsprozesse geben kann, die typisch und unabdingbar erforderlich für eine lebendige Aue und lebende Auengewässer sind?

Dass im Falle der Umsetzung dieser Planungen auf lange Sicht hin keine echte Revitalisierung mehr angegangen wird, sollte uns allen klar sein, denn wer und aus welchen Töpfen könnte wieder Millionen für ein solches Projekt bewilligen? Wenn die auenökologisch naheliegende Lösung einer Sohleanhebung der Nahle mit Teilöffnung ihres Dammes zum Auwald hin und frei fließendem Wasser diesmal nicht realisiert werden soll, wann sollte das „später“ geschehen?

Und – wir empfinden das als eine beachtliche Dreistigkeit – nun wird allen Ernstes ein Schlauchwehr als sinnvolle Variante angeboten?! Dessen Eignung haben wir in einem früheren Beitrag beleuchtet. Nicht nur gibt es für ein derart mächtig zu bemessendes Schlauchwehr offenbar in Deutschland noch kein Vorbild – das Bauwerk wird aus unnatürlichen Stoffen gebaut, es muss regelmäßig nach vulkanisiert werden und bleibt solange es existieren muss ein stofflicher und ökologischer Fremdkörper. 38 Trotz regelmäßiger Wartung gibt es dennoch Abrieb, dessen Produkte in die Umwelt gelangen – warum tut man dies? Zudem es auch Bewegung in unseren Ländern gibt, die Mengen an Plastikmüll zu verringern! Warum bekommt man mit all den Millionen keine gescheite Auenrevitalisierung hin? Weder bautechnisch noch naturschutzfachlich ist diese Fehlplanung zu vertreten! Eine Auen-Revitalisierung würde das Ansehen der Stadt und des Landes stärken, sie würde der Regulation des Klimas und der Sanierung des Grundwasserhaushalts dienen, und die einst großzügig ausgewiesenen Naturschutzgebiete aufwerten!

Der Zschampert im August 2022. Foto: J. Hansmann

Nun mag eingewendet werden, es gäbe ja auch den sogenannten Bauabschnitt 4 – aber bitte ehrlich: über den Zschampert können keine Wassermengen und auch keine Sedimente in die Aue gelangen, die am schlechten Zustand der Aue grundlegend etwas zugunsten der Auendynamik ändern können! Die Maßnahmen am Zschampert bleiben eine Spielerei, und die kosmetischen Maßnahmen können im Offenland nicht einmal eine für die Leipziger Auen einst typische Gerinne-Entwicklung ermöglichen. Für alle, die es nicht wissen: der Zschampert ist ein kleiner Bach mit sehr kleinem Einzugsgebiet, welches in der derzeitigen Planung nicht einmal vollständig bearbeitet wird, denn man begnügt sich damit, das Wasser für diesen Bauabschnitt aus dem künstlichen Elster-Saale-Kanal zu entnehmen und künstlich zuzuführen – was soll das denn mit Auendynamik zu tun haben? Antwort – nichts, rein gar nichts.

Ansonsten soll es im Rahmen des Projekts „Lebendige Luppe“ nur noch am Burgauenbach ein paar „Aufwertungsmaßnahmen“ geben, aber auch diese sind wirklich nur kosmetisch. Auenökologisch sind sie nicht der Rede wert und müssen ebenfalls schlichte Spielerei genannt werden. 39

Dass man seitens des Projekts „Lebendige Luppe“ die Auenrevitalisierung nicht anstrebt, kann auf der Website des Projekts nachgelesen werden: „Im Projekt geht es primär darum, eine gewisse Dynamik des Leipziger Gewässernetzes zu begünstigen, dem Auwald einen Teil seiner alten Strukturen zurückzugeben und die Anpassung der Arten und Lebensgemeinschaften hin zu auentypischen Verhältnissen zu fördern. Mit der Lebendigen Luppe entsteht ein auentypisches Nebengewässer, welches den zügigen Wasserabfluss nach einer Überschwemmung begünstigt. Dies erfolgt beispielsweise durch die Nutzung von natürlichen Fließwegen und Altläufen, durch die Einbindung von Elementen des naturraumtypischen Gewässersystems und durch die Berücksichtigung der landschaftshistorischen Gegebenheiten. Mit der Lebendigen Luppe werden ausgewählte Gewässerabschnitte für diese Aufgabe revitalisiert. Nach vollständiger Umsetzung des Projektes Lebendige Luppe soll damit eine landschafts- und ökologisch verträgliche Poldernutzung z.B. durch eine verbesserte Entwässerung des Gebietes nach einer Überschwemmung unterstützt werden.“ 40

Hier ist viel mehr möglich! Burgaue im August 2022. Foto: J. Hansmann

Entgegen der Aussage des Projekts „Lebendige Luppe“ wird die Gunst der landschaftshistorischen Gegebenheit nicht genutzt, und es wird verschleiert, dass eine Poldernutzung grundsätzlich naturfremd ist, weil sie auenfremde Gewässerstaue bewirkt. Indem der „zügige Wasserabfluss nach einer Überschwemmung“ hergestellt wird, kann die Überflutung im Auenökosystem zudem nicht landschaftstypisch wirken. Der „zügige Wasserabfluss…“ umschreibt vielmehr im Klartext eine Drainage! Auenökologisch bleibt dies nicht nur unzureichendes, sondern die seit 1930 begonnen Drainage sogar verstärkendes Stückwerk – und das wird locker mit den Worten „eine gewisse Dynamik … zu begünstigen“ beschrieben. Eine „gewisse Dynamik“ ist nicht die mögliche Auendynamik der Luppeaue! Hier hat jemand das Wort geführt, der eine zügige Ableitung von Hochwassern anstrebt, weil er Hochwasser anscheinend für gefährlich hält, doch das ist kontra Auenökologie! Er möchte dazu keine andere Lösung anbieten, als den Bau und Betrieb eines Polders. Bei revitalisierbaren Auenlandschaften bilden Polder nicht einmal eine Notlösung auf Zeit. Im Auwald Leipzig besteht kein Bedarf an einer Notlösung! Ein Polder hat infolge der erforderlichen Bauwerke und der technischen Regulation des Zu- und Abflusses rein gar nichts mit einer lebendigen Aue zu tun! Ein Polder ist eine technische Hochwasserschutzanlage – nicht mehr, nicht weniger! Ein Polder gleicht einer Badewanne, bei der man Wasser zwischenlagern kann und wenn es passt den Stöpsel zieht.

Es möge ggfs. erklärt werden, was eine „gewisse Dynamik“ sein oder bewirken soll? Entweder man erlaubt eine natürliche Auendynamik oder nicht, aber die Einschränkung auf „gewisse“ ist doch sehr vielsagend. Es wird auch nur „ein Teil“ der „alten Strukturen“ zurückgegeben – ein sehr kleiner Teil! Es soll lediglich ein „Nebengewässer“ entstehen – aber zu welchem Gewässer könnte die „Lebendige Luppe“ ein Nebengewässer werden? Damit können nur die Neue Luppe (ein künstlicher Kanal) und Teile der Weißen Elster gemeint sein. Die Neue Luppe kann jedoch grundlegend umgebaut werden – es braucht sie in Zukunft nicht, und sie hat zu keiner Zeit in die Aue gepasst! Die Wässer der Weißen Elster mögen bei Hochwasserzeiten der gesamten Aue zur Verfügung stehen, und dazu braucht es kein „Nebengewässer“, das nur marginale Auswirkungen auf die Gesamtaue haben wird.

Allein dieser Text aus dem Büro des Projekts „Lebendige Luppe“ ist doch ein trauriges Eingeständnis, dass es mit dem Projekt „Lebendige Luppe“ weder eine lebendige Luppe noch eine lebendige Aue geben wird. Man darf das Projekt „Lebendige Luppe“ bedauerlicherweise als Etikettenschwindel erkennen.

Und all das für Millionen von Euros?

Es ist zu hoffen, dass sich die Zuständigen doch noch zu einer echten Auenrevitalisierung durchringen, ansonsten erwartet uns hier ein langjähriges Trauerspiel. Und das Bundesamt für Naturschutz hätte dies zu realisieren erlaubt?

Prof. Dr. Bernd Gerken, Johannes Hansmann, Axel Schmoll

 

https://sachsen.nabu.de/imperia/md/content/sachsen/150603-nabu-infobrief-nr-107.pdf

https://www.leipzig.de/freizeit-kultur-und-tourismus/parks-waelder-und-friedhoefe/auenentwicklungskonzept/

https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2015/11/die-lebendige-luppe-soll-ihr-wasser-kuenftig-aus-der-nahle-bekommen-114727

https://de.wikipedia.org/wiki/Arnsberg

https://www.flussgebiete.nrw.de/en/system/files/atoms/files/ein_fluss_wird_wild-renturierung_der_ruhr_72dpi.pdf

https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/unsere-stadt/statistik-und-zahlen/einwohner-und-bevoelkerungsentwicklung/?contentid=210574

https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=31

https://kartenforum.slub-dresden.de/

https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=196

10 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=196

11 https://www.nabu-leipzig.de/fachbeitr%C3%A4ge/fischsterben/

12 https://www.l-iz.de/wirtschaft/wirtschaft-leipzig/2019/08/90-Mischwasserauslaesse-verschaffen-Leipzigs-Abwassersystem-im-Starkregenfall-eine-Notentlastung-289870

13 https://de.wikipedia.org/wiki/Mischsystem

14 https://www.uhrig-bau.eu/lexikon/mischwasser/

15 https://www.baunetzwissen.de/gebaeudetechnik/fachwissen/entwaesserung/abwasserarten-und-entwaesserungssysteme-160248

16 https://www.rnd.de/panorama/kampf-gegen-wassermangel-leipzig-will-zur-schwammstadt-werden-D2FVMKABAZEUNEC3Z5YTSNSGQA.html

17 https://www.l.de/wasserwerke/kundenservice/wissenswertes/kanalnetzsteuerung/

18 https://www.l.de/wasserwerke/kundenservice/wissenswertes/kanalnetzsteuerung/

19 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=196

20 https://www.leipzig-lexikon.de/WALDFLUR/d_moeck.htm

21 http://www.torhaus-doelitz.eu/diorama/leipziger-truemmerbahn-auf-dem-augustusplatz-im-jahr-1946/

22 https://www.l-iz.de/Topposts/2018/11/Experte-der-HTWK-wundert-sich-ueber-sanierte-Deponie-Leipzig-Moeckern-Das-duerfte-nicht-so-sein-Video-243435

23 https://www.tag24.de/leipzig/leipziger-mountainbike-fans-aerger-ueber-plattgemachte-cross-strecke-1585584

24 https://www.l-iz.de/Topposts/2018/10/Die-sanierte-Deponie-Moeckern-verschmutzt-das-Grundwasser-241876

25 https://lebendige-luppe.de/index.php?rex_media_type=contentimage&rex_media_file=./media/cut_projektkarte_2022.jpg

26 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=214

27 https://lebendige-luppe.de/index.php?rex_media_type=contentimage&rex_media_file=./media/cut_projektkarte_2022.jpg

28 https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2018/12/Warum-versucht-die-Stadt-Leipzig-dem-Gericht-weiszumachen-ein-Abstand-von-30-Meter-zum-Wald-sei-eingehalten-251857

29 https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2018/12/Nicht-einmal-der-Gewaesserrandstreifen-aus-dem-Saechsischen-Wassergesetz-wurde-an-der-Alten-Luppe-respektiert-251860

30 https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2019/07/Bauleute-am-Forstweg-34-abgezogen-und-Bauordnungsamt-droht-Buergern-mit-kostenpflichtiger-Nichtauskunft-283339

31 https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2019/07/Auch-Neuanwohner-am-Forstweg-muessen-es-jetzt-lernen-Gewaesserrandstreifen-duerfen-nicht-bebaut-werden-287693

32 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=214

33 https://lebendige-luppe.de/index.php?rex_media_type=contentimage&rex_media_file=./media/cut_projektkarte_2022.jpg

34 https://de.wikipedia.org/wiki/Burgauenbach

35 https://www.wccleipzig2022.com/fileadmin/user_upload/Presentations/Bergner.pdf

36 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=21

37 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=214

38 https://www.nukla.de/2022/07/langsam-wird-es-peinlich/

39 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=32

40 https://lebendige-luppe.de/index.php?article_id=21

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