Warum 11 Leipziger Wissenschaftlicher sich mit Kritik am Forstwirtschaftsplan lieber zurückhalten

Foto: Wolfgang Stoiber

Dieser Brief erreichte NuKLA von einemm Aussenstehenden. Nein, diese Zeilen stammn nicht aus der Feder von Prof. Dr. Gerken wie einer der 11 meinte zuglauben: Gott sei Dank gibt es in Leipziger eine ganze Reihe von Wissenschaftlern. Dennoch dürfen wir aus Datenschutzgründen den Namen nicht nennen. Die Person schrieb: Groß angekündigt der offene Brief von 11 Leipziger Wissenschaftlern als Entgegnung zu dem offenen Brief des Naturschutzvereins NuKla bzw. der Grünen Liga und Professor Bernd Gerken, in dem inhaltliche Kritik an dem aktuellen Forstwirtschaftsplan geübt wurde und den Stadträten geraten wurde, diesen Plan abzulehnen. Zerpflücken wolle man die NuKla-Argumente, so wurde vermeldet, und so hat es die LVZ dann auch in ihrem letzten dünnen Artikel übernommen.

Warum eigentlich diese große Aufregung? Kritik durch einen anerkannten Naturschutzverein an einem Plan, der mit großflächigen Eingriffen in ein europäisches Schutzgebiet, den Leipziger Auwald, verbunden ist, eigentlich doch eine ganz normale Sache und vorbildlich satzungsgemäß, ist doch genau dies die Aufgabe eines gewissenhaft arbeitenden Naturschutzvereins.

Bei dem offenen Brief der 11 Wissenschaftler an die Stadträte fragt man sich dann allerdings, aus welcher Motivation heraus eine Stellungnahme zur anstehenden Abstimmung über den Forstwirtschaftsplan (FWP) im Stadtrat verfasst wurde, sollte man als Forschungseinrichtung doch eigentlich eher der Neutralität verpflichtet sein. Ein bißchen ist das den Wissenschaftlern auch bewusst, versuchen sie am Anfang des Briefes doch noch zu argumentieren, dass man nur „auf der Grundlage von evidenz-basierter Naturschutzforschung zu einigen wichtigen Punkten eine korrigierende Einschätzung gibt, die den Stadträten helfen soll, nächste Woche eine ausgewogene Entscheidung zu treffen. “ Das hält man dann aber nicht wirklich durch und bekennt sich am Ende zu folgendem Fazit: „In Bezug auf die Naturschutzstrategie des Leipziger Auwalds stimmen wir weitgehend mit den Aktivitäten des Stadtforsts überein.“ Also alles paletti. Keine Gründe für eine Ablehnung vorhanden…

Sicherlich ist nicht zu beweisen, dass der offene Brief der 11 Wissenschaftler ein Auftragswerk der Abteilung Stadtforsten ist, aber eine solche Vermutung liegt doch zumindest mehr als nahe.

Zunächst werden in dem offenen Brief der 11 Wissenschaftler Fakten geliefert, was alles in dem Auwald bislang erforscht worden ist. Tatsächlich ist hier auch vieles geschehen; dennoch ist auffällig, dass es vielfach Altdaten sind (naturschutzfachlich erhobene Daten drohen nach 5 Jahren zu veralten, das müsste auch den Wissenschaftlern bekannt sein), der Auwaldkran (durch Abteilung Stadtforsten unterstützt) erforscht nur eine Fläche von ca. anderthalb Hektar, Kartierungen zur sog. „Lebendigen Luppe“ betreffen nur einen Teilraum im nordwestlichen Auwald (die Wissenschaftler sind hier durch die Stadt Leipzig beauftragt) , Brutvogelkartierungen finden auf nur wenigen ausgewählten Probeflächen statt (ebenfalls im Auftrag von Stadtforsten) und Bachelor- und Masterarbeiten befassen sich prinzipiell mit sehr spezifischen Fragestellungen. Ein bißchen wird dann auch eingeräumt, dass man z. B. bei den bestehenden Mittelwaldflächen nicht wirklich weiß, ob das gut war und sein wird für die auwaldspezifische Artenzusammensetzung. Daher formuliert man das auch so, dass es ein nicht Eingeweihter kaum oder gar nicht verstehen kann (welcher Satdtrat verfügt schon über eine biologische Grundausbildung?).
Überrascht ist man dann, oder auch nicht, dass über die Datendefizite, die eine Bewertung der durch den Forstwirtschaftsplan verursachten Eingriffe eigentlich unmöglich machen, nicht weiter geschrieben wird. So z.B. die Populationsstruktur der wichtigen Zielart des FFH-Gebietes Mopsfledermaus in den betroffenen Arealen des FWP, völlig unbekannt. Die Artenausstattungen in den Waldflächen, die durch Altdurchforstungen oder sog. Sanitärhiebe (z.B. in der Nonne und im Connewitzer Holz) viele alte Bäume verlieren werden, keine aktuelle Daten.

Im weiteren beschäftigt sich der offene Brief mit der geplanten Baumartenzusammensetzung im Auwald. Zunächst wird der hohe Wert der Art Stieleiche beschrieben; sicherlich richtig, was auch von niemandem bezweifelt wird. In dem Fazit wird die derzeitige Festlegung des Stadtforsten (40 % Eiche, 20 % Esche usw.) für gut geheißen. Als eine erste Hypothese ist eine solche Zielstellung auch gar nicht schlecht. Andererseits wird aber auch gesehen, dass eine Wiedervernässung des Auwaldes zwingend erforderlich ist (Das ist ja auch die Hauptaussage von NuKla und Prof. Gerken!). Als Wissenschaftler sollte man wissen, dass dynamische Prozesse auch zu Entwicklungen führen können, die so nicht absehbar sind, zumal in einem Wald wie dem Leipziger Auwald, wo die ehemalige (ursprüngliche) Artenausstattung natürlicher Auwaldbereiche kaum bekannt ist (da seit sehr langer Zeit durch Einflussnahme durch den Menschen geprägt). Die gegenwärtige Praxis ist so, dass man jährlich auf mehr als einem Hektar durch Femelung Eichenjungkulturen etablieren möchte, wobei teilweise Altbaumbestände gerodet werden, die einen sehr hohen ökologischen Wert besitzen. Um zu sehen, wie das aussieht, gehe man einfach in das Waldgebiet der Nonne und schaue man sich das Femelloch am Schleußiger Weg an (dort wurden mehrere uralte Eschen gefällt) oder das hinter den neuen Forstschildern, ein Femelschlag von ca. 0,7 ha, der eher einem Kahlschlag aus Forstwirtschaftszeiten von vorgestern entspricht. Aber vielleicht kennen die 11 Wissenschaftler diese Flächen gar nicht? Wenn man dynamische Prozesse einfordert, dann muss man eine Zielangabe einer genauen Baumartenzusammensetzung auch als Hypothese betrachten, und sich ggf. auch umorientieren, ansonsten hat man Auenökologie nicht begriffen.

Im Zusammenhang mit Redynamisierung heben die 11 Wissenschaftler dann das Projekt „Lebendige Luppe“ hervor, von dem sie sich anscheinend viel positives erwarten. Man muss wissen, dass die Wissenschaftler in starkem Maße über Kartierungsaufträge und Beratungsleistungen in das Projekt finanziell eingebunden sind. Über Sinn oder Unsinn dieses Projektes wird intensiv diskutiert (so z. B. auch in mehereren Artikeln der L-IZ) und auch die Landesdirektion als zukünftige Planfeststellungsbehörde hat im Rahmen des Scopings deutliche Kritik an den derzeitigen Planungen geübt und hegt größere Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit. So sollen z. B. viele Hektar Auwald für die Neuschaffung eines Fließgewässers gerodet werden, während man das riesige Problem der Grundwasserabsenkung durch die Neue Luppe außen vor lässt. Aber vielleicht kennen die 11 Wissenschaftler auch die zu erwartenden Probleme, die durch das Projekt verursacht werden, gar nicht oder wollen diese lieber gar nicht kennen.

Zum Thema Auflichtung von Beständen schreiben die 11 Wissenschaftler dann recht wenig. Sie weisen auf die Mittelwaldflächen hin und schreiben lapidar, dass bislang keine Neophyten gefunden wurden (was etwas merkwürdig klingt, denn sieht man sich ähnliche Freiflächen nach Femelungen an, z. B. in der Nonne, sieht man durchaus größere Bestände der Kanadischen Goldrute). Warum befassen sich die Wissenschaftler nicht mit der Argumentation, dass man zuerst die standörtlichen Gegebenheiten in Ordnung bringen sollte (also eine Vernässung überall dort, wo diese irgendwie möglich ist) und dann, also danach, überlegen sollte, was man womöglich forstpflegerisch machen könnte? Vielleicht weil Stadtforsten sich mit dieser Thematik nicht beschäftigt hat bzw. erst sehr langsam diese wichtige Aufgabenstellung für das FFH-Gebiet erkennt?

Zum Theme Eichenverjüngung fällt den 11 Wissenschaftlern auch nur sehr wenig ein. Warum stellen sie keine Überlegungen an, wie man jenseits von 0-8-15-Femellöchern moderne Eichenverjüngungspraktiken etablieren könnte, z.B. durch gezielte Förderung von Eichennaturverjüngung in Bereichen, wo es ansatzweise eine solche bereits gibt, Einzelförderungen mittelalter Eichen oder gelenkte Sukzession in Flächen, die durch Sturmereignisse natürlicherweise geöffnet wurden. Vielleicht weil dafür keine Forschungsaufträge im Leipziger Stadtwald erteilt wurden? Oder weil dahingehendes Interesse fehlt?

Zum Thema Totoholz gibt es dann sogar tatsächlich eine Forderung nach einer deutlichen Erhöhung, die aber durch Stadtforsten bereits konzeptionell vorbereitet werde. Hier bleibt also zu hoffen, dass nach dem nächsten Sturmereignis die betroffenen Flächen nicht einfach abgeräumt werden wie bisher.

Vor dem Fazit werden die Stadträte dann noch über einige angebliche Ungereimtheiten des offenen Briefs von NuKla und Prof. Gerken „informiert“, damit es die Stadträte „nicht allzu sehr verwirre“. Eine der Ungereimtheiten läge in der Behauptung, dass sich der Zustand des Auwaldes verschlechtere. Ein Blick in den Managementplan zum FFH-Gebiet verrät, dass es sich bei dem Hartholzauwald (der wichtigste Bestandteil des Schutzgebietes!) um einen vom Verschwinden bedrohten Lebensraumtyp handelt. Ein zweiter Blick zeigt, dass es seitdem keine einzige wiedervernässende Maßnahme gab, im Gegenteil, die Deiche wurden sogar noch verstärkt. Wer dann NuKla und Prof. Gerken vorwirft, dass sie einen Widerspruch erzeugen, wenn sie ein fehlendes Monitoring anmahnen, will man ganz gezielt Sand in die Augen der Stadträte streuen! Noch merkwürdiger wird es, wenn dann kritisiert wird, die Behauptung, dass man über eine Geruchsprobe den schlechten Bodenzustand erkennen kann, sei falsch. Da will man den 11 Wissenschaftlern zurufen: Noch nie was über Schäden durch Harvestereinsätze gelesen? Geht doch mal in die Nonne auf die kahschlagartige Femelfläche, denn hier sieht der Boden eher wie ein Kartoffelacker aus als wie ein gesunder Waldboden, dafür braucht es auch keine „evidenz-basierte Naturschutzforschung“! Fast abstrus wird es dann, wenn behauptet wird, dass „Sonneneinstrahlung einen Auwaldboden nicht auslaugt, sondern anreichert“. Noch nie gelesen, das ab ca. 0,5 ha Femelloch o. ä. ein Offenlandklima erzeugt wird, das für einen Wald völlig untypisch ist und daher wohl auch nicht gut sein kann? Das Aufkommen von Brennessel und Holunder ist übrigens auch ein normales Phänomen auf Flächen, die durch anthropogene Bodeneingriffe stark geschädigt wurden (sog. Ruderalisierungserscheinungen), hat mit gesundem nährstoffreichen Waldboden auch nicht im geringsten etwas zu tun! Welches Ökologiehandbuch benutzen eingentlich die 11 Wissenschaftler?

Warum thematisieren die 11 Wissenschaftler in dem offenen Brief eigentlich nicht die wahren ökologischen Schädigungen, die durch die Umsetzung des FWP drohen. Schirmhieb (zur Erzeugung von weiterem Mittelwald) in einem wertvollen Aktholzbestand ohne Kenntnis über die Populationsstruktur der Mopsfledermaus und ohne gesicherte Erkenntnisse über die Auswirkungen, die man auf den bestehenden Mittelwaldflächen beobachten kann: Ahornmonokultur in der unteren Schicht; Altbäume, die Jahrzehnte bis Jahrhunderte in einem geschützten Bestand waren, werden plötzlich einer massiven Sonneneinstrahlung (und das bei zu erwartendem Klimawandel) und Stürmen (die immer stärker und häufiger zu erwarten sein werden) ausgesetzt. Sanitärhiebe auf riesigen Flächen im Connewitzer Holz, durch die eine Menge an sog. Festmetern Holz geerntet wird, die mit einer bloßen Umsetzung der Vekehrssicherheit (die es im Wald ohnehin nicht gibt) rein gar nichts mehr zu tun haben. Die Auswahl der Bäume und Baumarten wird dabei völlig den Förstern überlassen. Ebenso bei den großflächigen Altdurchforstungen, zum Teil in FFH-Lebensraumtypen mit gutem Erhaltungszustand (z. B. Hainholz am Cospudener See); große Erntemengen sind möglich, die Umsetzung wird völlig den Förstern überlassen.

Da fragt man sich schon, haben sich die Wissenschaftler überhaupt mit dem FWP beschäftigt, oder warum geht in dem offenen Brief (der doch eine Hilfe für die Stadträte sein sollte…) jegliche Kitikfähigkeit oder -bereitschaft völlig abhanden?

In vielen Ländern werden (zu) kritische Wissenschaftler verhaftet, in Deutschland hat man es geschickter gemacht und die Drittmittelforschung eingeführt. Ein paar lukrative Aufträge an die Wissenschaftler, schon ist es um die Kritikbereitschaft geschehen und der hingehaltene Maulkorb wird freiwillig und gerne aufgesetzt. Der Wissenschaftler wird zum gut bezahlten Dienstleister degradiert. Jeder mag sich sein eigenes Urteil darüber bilden, ob dieser offene Brief von 11 (!!) Wissenschaftlern, die eigentlich der Wissenschaftlichkeit und Neutralität verpflichtet sein sollten, ein typisches Beispiel für diese Problematik in der Wissenschaftswelt von heute ist oder nicht.

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