Waldexperten richten weiteren Offenen Brief an Umweltministerin Schulze

Foto: S. Ecker

Einen weiteren Offenen Brief haben die Wald- und Umweltexperten an Umweltministerin Svenja Schulze gerichtet, der direkten Bezug auf den vorangegangenen Brief an das BMEL unter Julia Klöckner nimmt. Hier der Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Ministerin Schulze, das derzeitig zu beobachtende Absterben von Bäumen, von ganzen Nadelbaum-Forsten, aber auch von aktuell oder in der Vergangenheit bewirtschafteten Laubmischwäldern ist besorgniserregend.

Es führt uns nicht nur vor Augen, dass die klimawandelgetriebenen Extremwetterlagen immer mehrArten und Ökosysteme über Kippunkte treiben, sondern auch, dass konventionelle Modelle der Ökosystembewirtschaftung auf den Prüfstand müssen. Wir haben als große Gruppe von Vertretern aus Wissenschaft und Forstpraxis, von Umweltverbänden und waldbezogenen Bürgerinitiativen sowie Autoren und Waldexperten Frau Bundesministerin Klöckner am 10. August 2019 in einem Brief aufgefordert, von der allein auf Holzproduktion fokussierende Forstwirtschaft Abstand zu nehmen und dem Wald in Deutschland endlich ein angemessenes Ökosystemmanagement angedeihen zu lassen. Wir haben angemahnt, die Fehler der Vergangenheit anzuerkennen und aufzuarbeiten. Zudem haben wir vor den Risiken gewarnt, die sich aus einer interventionistischmechanistischenHerangehensweise an das ‚Aufräumen und Aufforsten‘ der geschädigten Wälder ergeben.

Die vom BMEL und von Forstministerien einiger Bundesländer gemeinsam herausgegebene Moritzburger Erklärung offenbart konzeptionell-fachliche Schwächen, etwa wenn von einem ‚klimatoleranten‘ Wald gesprochen wird, aber auch wenn zum einen der Wald als überaus bedroht dargestellt wird und zum anderen die Holzverwendung im Rahmen der Charta für Holz 2.0 gesteigert werden soll. Es käme einer ökologischen Katastrophe gleich, wenn demnächst ggf. auf Tausenden von Quadratkilometern großen Flächen kahlschlagsartige Sanitär- und Räumungshiebe durchgeführt würden. Böden würden langfristig durch Befahrung und mikroklimatische Veränderungen nachhaltig geschädigt, und die Neubildung von humus- und totholzreichen sowie Wasser speichernden Böden würde unterbunden. Damit ginge erhebliches Potenzial für die ökosystembasierte Klimawandelanpassung verloren, und es würde zur Beeinträchtigung sensibler Arten und Habitate kommen.

Mit dem Aufforstungs-Aktionismus auf großen Flächen droht die Gefahr, dass neue, im Extremfall invasive „Wunderbaumarten“ mit neuen Risiken und von anderen Kontinenten den Wald der Zukunft formen sollen. Auch dies sollte verhindert werden. Grundsätzlich droht im Rahmen der groß angelegten Wiederaufforstung eine substanzielle Verschwendung von Steuergeldern, während gleichzeitig die Möglichkeiten einer dynamischen Anpassung der Waldökosysteme im Rahmen von ökologischen und evolutiven Prozessen von vornherein ignoriert, ausgeschlossen bzw. unterbunden werden.

Als Ministerin für Umwelt tragen Sie die Verantwortung dafür, dass ein aktionistisches Degradieren von großen Waldökosystemen verhindert wird. Es gilt, Sorge zu tragen, die Einhaltung des Bundesnaturschutzgesetzes zu gewährleisten. Gemäß §1 des Gesetzes sind bekanntlich u.a. die biologische Vielfalt, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter auf Dauer zu sichern.

Zur dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sind insbesondere die räumlich abgrenzbaren Teile seines Wirkungsgefüges im Hinblick auf die prägenden biologischen Funktionen, Stoff- und Energieflüsse sowie landschaftlichen Strukturen zu schützen und v.a. auch die Böden so zu erhalten, dass sie ihre Funktion im Naturhaushalt erfüllen können. Die großmaßstäbige Beräumung und Wiederaufforstung von geschädigten Waldflächen würden Waldböden nachhaltig schädigen und drohen auch die nationale Biodiversitätsstrategie sowie internationale Verpflichtungen Deutschlands zu konterkarieren.

Wir fordern Sie deshalb auf, sich dezidiert und öffentlich zur aktuellen Waldkrise zu äußern und für ein modernes und ganzheitliches Ökosystemmanagement einzutreten, wie es seit vielen Jahren im Sinne des Ökosystemansatzes des Übereinkommens über die biologische Vielfalt auch in Deutschland angewendet werden soll. Dies bedeutet, dass das Waldökosystemmanagement nicht allein aus der Perspektive der Holzwirtschaft und unter alleiniger Federführung des BMEL erfolgen kann. Zudem muss das Waldökosystemmanagement mit einem angemessenen Management der Gesamtlandschaft einschließlich der Wasserressourcen integriert werden und sektorale Beschränkungen hinter sich lassen. Es ist Zeit, in Deutschland das Leitbild einer ganzheitlichen ökosystembasierten nachhaltigen Entwicklung zu verfolgen. Die haushaltenden natürlichen Ökosysteme sind unsere Lebensgrundlage und durch die Bereitstellung einer Vielzahl von Ökosystemleistungen Garanten von Lebensqualität für die Bevölkerung in Deutschland und im Angesicht des Klimawandels ein zentraler Pfeiler nationaler Sicherheit.

Abgesehen von der Einführung einer ganzheitlichen Ökosystempolitik fordern wir die Unterstützung der minimalen Forderungen, die sich auf Grundlage moderner Erkenntnisse zum Waldökosystemmanagement ergeben. Diese wurden bereits Ministerin Julia Klöckner unterbreitet:

1. Auf Kalamitätsflächen (schwerpunktmäßig im öffentlichen Wald!) ist die Wiederbegründung durch natürliche Waldentwicklung (Sukzession) u.a. mit Pionierbaumarten zu bewirken. Im Privatwald sind Sukzessionen zur Wiederbegründung gezielt zu fördern. Größere Kahlflächen sollten mit maximal 400 bis 600 Großpflanzen heimischer Arten pro Hektar bepflanzt werden, um gleichzeitig Sukzession zuzulassen.

2. Auch zur Förderung von Sukzession sollten die Flächen nicht mehr vollständig und nicht maschinell geräumt werden; es ist so viel Holz wie möglich im Bestand zu belassen (zur Förderung einer optimalen Boden- und Keimbettbildung, des Bodenfeuchte-Speichers sowie eines natürlichen Verbiss-Schutzes). Im Privatwald sollte der Nutzungsverzicht auf den Kalamitätsflächen gezielt gefördert werden, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen und um den Holzmarkt zu entlasten.

3. Bei der Förderung von Wiederbegründungs-Pflanzungen im Privatwald: Vorrang von standortheimischen Baumarten (aus regionalen Herkünften); weite Pflanzabstände wählen, um der Entwicklung von Pionierarten ausreichend Raum zu lassen.

4. Für die Zukunftswälder: Durchforstungen minimieren (low-input-Prinzip), Vorräte durch gezielte Entwicklung hin zu alten dicken Bäumen aufbauen, Waldinnenklima schützen/ Selbstkühlungsfunktion fördern (- sollte höchste Priorität haben wegen des rasch fortschreitenden Klimawandels!), Schwersttechnik verbieten, weiteren Wegebau und – ausbau unterlassen, natürliche selbstregulatorische Entwicklungsprozesse im bewirtschafteten Wald sowie auf (größeren) separaten Flächen im Sinne eines Verbundsystems zulassen und fördern; Schalenwilddichten drastisch reduzieren (Reform der Jagdgesetze).

 5. Wie im Bereich des seit den 80er Jahren etablierten Ökolandbaus sollte die Krise unserer Wälder heute Anlass sein, mindestens zwei bestehende forstlich arbeitende Hochschulen in Hochschulen für interdisziplinäres Waldökosystemmanagement umzuwandeln, ein Beitrag nicht nur zur Fortentwicklung der Forstwissenschaft und Forstwirtschaft in Deutschland, sondern auch von globaler Bedeutung! Das Ziel muss es sein, die Holzerzeugung durch weitgehend natürliche Waldproduktion zu leisten und hier in Deutschland, dem Geburtsland der Forstwissenschaft, den Anfang damit zu machen.

Besonderer Handlungsbedarf ergibt sich auch im Kontext einer zusehends verwirrten Klimaschutzargumentation im Zusammenhang mit dem Wald in Deutschland. Es bedarf einer grundlegenden Studie, die die ehrlichen Kohlenstoffbilanzen und sämtliche Unsicherheiten bei der Modellierung von Kohlenstoffspeicherszenarien offenlegt. Die Debatte basiert momentan v.a. auf Modellierungsergebnissen, welche keine Klimawandelwirkungen auf den Wald einbeziehen und zukünftiges Baumwachstum aus Befunden in der Vergangenheit ableiten; zudem werden Kohlenstoffspeicherung und verringerte Klimawandelsensitivität in alten Wäldern unterschätzt. Das BMU sollte sich vehement für die Ausweisung von Klimaschutzwäldern ohne jede forstliche Eingriffe in ausreichender Größe (> 10 km²) zur Erforschung von Stabilität der Waldgesellschaften, Standortanpassungen und Artenverschiebungen im Klimawandel bei gleichzeitiger Erfüllung der Wald-Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie (Wildnis auf 2% der Landesfläche, Naturwälder auf 5% der Waldfläche bis 2020) einsetzen.

Leitmotto: SYSTEMISCHES WALDÖKOSYSTEM-MANAGEMENT STATT HOLZFABRIKEN

Die Unterzeichner

Wilhelm Bode (Autor und vormals Leiter der Saarländischen Forstverwaltung; Leit.Min.Rat a.D.) – Dr. Lutz Fähser (Forstamtsleiter i.R., Lübeck) – Prof. Dr. Pierre Ibisch (Direktor Centre for Econics and Ecosystem Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung, Vorstand Deutsche Umweltstiftung, Vorstand European Beech Forest Network) – Dr. Siegfried Klaus (AG Waldnaturschutz im NABU Thüringen) – Prof. Dr. Hans D. Knapp (DirProf.a.D., Succow Stiftung, Vorstand European Beech Forest Network, EuroNatur) – László Maraz (Koordinator Dialogplattform Wald/ AG Wälder, Forum Umwelt & Entwicklung) – Jörg Sommer (Vorstandsvorsitzer Deutsche Umweltstiftung) – Knut Sturm (Forstamtsleiter, Stadtwald Lübeck ) – Dr. Torsten Welle (Naturwald Akademie)

https://www.bundesbuergerinitiative-waldschutz.de/2019/08/17/waldexperten-richten-weiteren-offenen-brief-an-umweltministerin-schulze/

 

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.