Leipzigs „Wassertourismus“-Politik widerspricht komplett den Wünschen der Leipziger zu ihrer Auenlandschaft

Foto Ralf Julke

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Ein Artikel von Ralf Julke. Am Mittwoch, 24. August, hat ja der Leipziger Stadtrat – völlig sinnfrei – das „Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im Mitteldeutschen Raum“ beschlossen. Nicht allein. Andere Gemeinderäte aus dem „Grünen Ring“ haben noch viel unkritischer einfach die Hand gehoben – gewählte Ahnungslosigkeit. Das Problem: Damit wird die Gewässerpolitik auf ein völlig falsches Gleis geschoben. Denn „Wassertourismus“ ist nur für eine Minderheit der Leipziger das Wunschziel für die Entwicklung im Neuseenland. Aber diese Minderheit verschafft sich über Verwaltungshandeln den Zugriff auf Gelder, Ressourcen und Landschaft. Das wurde schon in den Bürgerumfragen zur „Charta Leipziger Neuseenland“ sichtbar, wo sich klare Mehrheiten für eine „intakte Natur“ (96 Prozent) aussprachen.

Auch da ging es schon, wenn es konkret wurde, bunt durcheinander. Was Leipzigs Statistiker nun in Auswertung der „Bürgerumfrage 2015“ zu der Aussage brachte, der „Nutzungskonflikt“ sei sogar auf Individualebene sichtbar, wenn 20 Prozent der befragten Leipziger, die Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen fordern (und das taten immerhin 61 Prozent), gleichzeitig mehr Freizeitangebote wünschten.

Beißt sich das?

Nein.

Es ist die alte Masche, mit der sich die Verantwortlichen aus ihrer Verantwortung stehlen und jetzt die Bürger selbst verantwortlich machen für die Unfähigkeit, Interessen in Ausgleich zu bringen. Das muss nicht der Bürger tun. Dafür sind Verwaltungen da. Und wenn 76 Prozent der Befragten fordern, man solle im Leipziger Auwald „intakte Natur bewahren“, dann ist das eine klare Aufgabensetzung für die Verwaltung, genau das auch zu tun.

Dass auch andere Wünsche existieren, hat damit nichts zu tun. Gar nichts. Die Naturschutzgebiete sind klar umrissen. Da kann und muss entsprechend gehandelt werden. Dass aber gerade dort auf einmal „Nutzungskonflikte“ auftauchen, hat mit Verwaltungsversagen zu tun. Mit solchen Mauscheleien wie an Pleiße und Floßgraben, wo immer wieder Behördenvertreter suggerieren, hier wäre „wassertouristische Nutzung“ möglich.

Holen Sie Luft.

Das hier ist die Zahl:

5 Prozent der Leipziger wünschen sich einen „weiteren Ausbau der Nutzbarkeit der Gewässer für motorisierte Boote“.

Es ist wirklich nicht ersichtlich, woher die Verwaltungen in der Region die Beauftragung nehmen, noch mehr Wassertourismus in die Gewässerlandschaft zu holen.

23 Prozent der Befragten äußerten übrigens klar ihre Meinung, dass es keinen weiteren Ausbau geben solle, 25 Prozent forderten ein regelrechtes Verbot „der wassertouristischen Nutzung auf bestimmten Flussläufen“.

Unter anderem wohl auch, weil sie ganz genau wissen, was mit Wassertourismus gemeint ist. Denn da geht es immer um eine motorbetriebene Tourismusschiene. Paddeln und Rudern gehören nicht dazu, denn die sind durch das allgemeine Nutzungsrecht öffentlicher Gewässer gedeckt. Außer, sie werden gewerblich betrieben, dann unterliegen sie wieder einer Genehmigungspflicht – in Naturschutzgebieten erst recht.

Mit der „Bürgerumfrage 2015“ hat also Leipzigs Verwaltung die klare Aussage bekommen, dass die Gewässerpolitik der Stadt völlig den Wünschen der Leipziger Bevölkerungsmehrheit zuwider läuft und nur Politik für eine kleine Gruppe „Wassertouristiker“ gemacht wird.

Wobei auch Burkhard Jung bei der Vorstellung der „Bürgerumfrage 2015“ meinte, die Leipziger im Widerspruch zu sehen, wenn sie die Auenlandschaft auch als „Freizeit- und Erholungsgebiet“ sehen. 36 Prozent haben dem zugestimmt – und wer mit Rad und zu Fuß dort unterwegs ist, weiß, dass man sich so gut erholen kann. Da braucht man wirklich kein Motorboot. Eher ein gut ausgebautes Rad- und Wanderwegenetz (was 25 Prozent forderten), denn das Wegenetz gibt es zwar – an vielen Stellen ist es aber schlicht eine Zumutung. Und gute Wanderwege beißen sich ja nicht wirklich mit einer zu erhöhenden Artenvielfalt (was sich 31 Prozent der Befragten wünschen).

Es ist übrigens egal, welche Leipziger in welchem Stadtgebiet man fragt: die Prioritäten sind praktisch überall dieselben. Die Leipziger selbst haben ein enormes Interesse daran, dass die Auenlandschaft intakt bleibt und Tiere und Pflanzen dort geschützt werden.

Und weil sich das oft mit dem Hochwasserschutz beißt, hat die Verwaltung extra nachgefragt. Mit eindeutigem Ergebnis.

84 Prozent der Leipziger wünschen sich naturnahe Flüsse und Bäche, 79 Prozent wünschen sich mehr Überschwemmungsflächen. Und nur 43 Prozent plädieren für höhere Deiche.

Oder um mal die Statistiker selbst zu zitieren: „Der natürliche Hochwasserschutz wird stadtteilübergreifend zu 70 Prozent und mehr als (sehr) wichtig eingestuft …“

Erstaunlich, dass man so etwas nicht zur Grundlage des Handelns macht.

Aber nicht nur der Elsterauenwald war Thema in der Bürgerumfrage. Auch ein anderes Stück Gewässerlandschaft wurde abgefragt.

Wer kennt denn schon das Partheland?Leipzig ist auch Mitglied im Forschungsvorhaben „stadt PARTHE land“. 260.000 Menschen wohnen in dem Raum, den das Flüsschen Parthe durchfließt. Aber irgendwie scheint die Parthe nicht wirklich im Bewusstsein der Leipziger zu existieren. Das kann auch an der schlechten Beschilderung der Radroute liegen. Aber die Stadt hat in der „Bürgerumfrage 2015“ mal nachgefragt.

Foto: Ralf Julke

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Wobei die Frage Nr. 1 schon recht burschikos ist. Denn wie oft ist der Leipziger „an der Parthe und im Partheland“ unterwegs? Die Bewohner des Nordens sind es ja täglich, denn sie fahren ständig drüber, egal, ob sie in die City, zum Zoo oder nach Connewitz wollen. Die meisten Parthe-Überquerungen registriert man gar nicht mehr, weil man auf Brücken ein tief versenktes steinernes Bett überquert.

Das Unterwegssein an der Parthe hat relativ wenig mit dem Unterwegssein im Partheland zu tun.

Deswegen sind die Ergebnisse schon recht seltsam: Nur 4 Prozent der Befragten gaben an, täglich dort unterwegs zu sein, was schlicht unmöglich ist bei 260.000 Menschen, die direkt dort wohnen. 7 Prozent seien einmal pro Woche dort unterwegs, 13 Prozent einmal im Monat, 61 Prozent noch seltener.

Die Befragung hat also schlicht das Problem: Sie fragt zu diffus.

Das „Partheland“ wird nicht näher definiert, wird mit dem Bekanntheitsgrad der Parthe selbst vermischt. Wenn diejenigen, die die Frage für den Fragebogen entworfen haben, selbst genauso ticken, kann man das Projekt „stadt PARTHE land“ schon jetzt unter so vielen Leipziger Projekten einsortieren, in denen ein paar Verwaltungsmitarbeiter eine Selbstbeschäftigung gefunden haben, bei denen aber nichts Zielführendes herauskommt.

Denn was soll man von einer Aussage halten, wenn 73 Prozent der Leipziger sagen, sie kennen den Fluss Parthe und den Begriff „Partheland“? Kennen sie wirklich beides? Oder nur die Parthe? Wird uns künftig von überdrehten Verwaltungsmitarbeitern erzählt, 73 Prozent der Leipziger würden das Partheland kennen und damit etwas suggerieren, was wahrscheinlich nicht der Fall ist? Denn das lässt sich aus der Antwort einfach nicht ableiten.

Genauso wie das Unterwegssein an der Parthe oder/und im Partheland verifizierbar ist.

Mindestens einmal pro Woche irgendwie an der Parthe unterwegs sind vor allem die Bewohner der Stadtbezirke Mitte und Nordost – mit über 20 Prozent. Was schon tiefe Zweifel am Ergebnis weckt. Das eigentliche Partheland mit den Parthedörfern liegt – was Leipzig betrifft – komplett im Nordosten. Da ist man schon „im Partheland“ unterwegs, wenn man die Adenauerallee benutzt oder die Volbedingstraße.

Man kann nur ahnen, dass es den Befragern eigentlich um etwas anderes ging: den Bekanntheitsgrad einer konkreten Flusslandschaft und deren bewusste Nutzung für Erholung und Freizeit.

Was nicht einfach ist. Wir sind ja dort unterwegs gewesen und die reine Freude sind eher nur bestimmte Abschnitte wie im Abtnaundorfer Park oder (aber eben nicht zum „Partheland“ gehörig) die Abschnitte im Rosental.

Man ahnt, dass irgendjemand aus dem Projekt irgendetwas Bestimmtes erreichen wollte – und dann entweder nicht durfte oder nicht konnte. Denn dass es beim Partheland nicht nur darum geht, es wieder ins Bewusstsein der Leipziger zu bringen, wird spätestens beim Besuch klar: Hier braucht es nicht nur eine ordentliche Beschilderung und ein anderes Marketing, hier braucht es auch ein paar Investitionen und vor allem ein Profil.

Man könnte fast drauf wetten, dass eine Frage, die sich der erste Bearbeiter gedacht hat (und dann nicht stellen durfte) lautete: „Was verbinden sie mit den Begriffen Parthe und Partheland?“

Wer die Homepage des Projekts besucht, merkt schnell, dass es hier um mehr geht als nur ein paar Wanderer. Hier versucht man, eine unverwechselbare (aber zum Teil auch zerschnittene – man denke nur an die großspurige Autobahn) Kulturlandschaft aufzuwerten, aber auch der Begriff Wertschöpfung taucht auf. Tatsächlich geht es sogar darum, hier mitten auf Leipziger Gebiet ein Stück nachhaltiges Wirtschaften wieder lebendig und erlebbar zu machen. Nachlesbar zum Beispiel unter dem Stichwort „Parthelandküche(n)“: „Gesucht werden neue Rezepte für das Partheland (zum Kochen und zum Handeln) sowie neue Wege für eine höhere landschaftliche Teilhabe der Bevölkerung und Spielräume für die Entwicklung von Kulturlandschaftsprodukten.“

Eigentlich müsste hier mehr passieren, als die Leipziger nur zu fragen, ob sie den Begriff „Partheland“ kennen.

Man ist also mental aus dem Projekt-Mustopf nicht herausgekommen und wundert sich, dass die Leipziger im Süden sich nicht ins Partheland verirren.

Ja, wieso denn auch, wenn es keiner fertigbringt zu erzählen, was es dort Besonderes gibt?

Ein Artikel der Leipziger Internetzeitung

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