Eine Landschaft in Gift und Gülle getaucht

Der Eschenscheckenfalter: vom Aussterben bedroht. Foto: J. Hansmann

Ein Beitrag von Prof. Dr. B. Gerken und J. Hansmann

Der Frühling ist da – auch wenn man ihn fast schon Frühsommer nennen möchte, so warm und trocken ist es. Wenn morgens die Sonne aufgeht und der Himmel blau strahlt, zieht es viele hinaus in Wald, Feld und Flur. Auch der Verfasser genießt oft das Wetter, auch wenn es ihn zunehmend mit Sorge erfüllt, regnet es doch schon wieder viel zu wenig. Auf seinen Ausflügen beobachtet er manches, darunter leider auch viel Schreckliches. Ja, wir alle sind es schon gewohnt, dass sich nördlich von Leipzig eine Agrarwüste erstreckt, in der an allen Ecken und Enden Gülle oder Chemikalien aller Art auf die weitläufigen Feldfluren ausgebracht werden, doch es ist jedes Frühjahr aufs Neue erschreckend, dass man nicht im geringsten daran denkt, damit aufzuhören. Obwohl alle Spatzen es vom Dache pfeifen, dass es ein globales Artensterben gibt, dass Pestizide in Flüsse und ins Grundwasser gelangen – oder gar in Spuren in unseren Lebensmitteln landen, wo wir sie mitessen – es wird gegiftet, was das Zeug hält!

Kann es auf solchen wüstenartigen, regelmäßig mit Pestiziden behandelten Flächen noch Leben geben? Fotot: J. Hansmann

Die Landschaft nördlich Leipzigs könnte eine schöne sein. Auch eine landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft ist wertvoll, nicht nur ästhetisch, sondern auch für unsere Lebensmittelproduktion und auch – als Heimat! In Fragmenten kann man noch erahnen, wie schön es hier einst gewesen sein muss, ab und zu sieht man noch die Reste weitläufiger Heckenlandschaften, oder auch Feldgehölze, kleine Bäche und Weiher. Die Ausräumung begann jedoch schon im vorigen Jahrhundert. Wäldchen, Hecken und Bäche verschwanden, wurden gestutzt oder begradigt, aber es war immer noch ein Rest von Charme dort draußen zu erspüren. Nun aber wird die Landschaft seit den letzten Jahren immer toter, hört man fast nur noch am Werbeliner See die Feldlerche und andere Vögel singen. Fuchs und Hase sagen sich nur noch an wenigen Stellen gute Nacht. Einst soll es hier Feldhamster gegeben haben. Einige wenige Tiere soll es noch geben – oder sind sie doch schon gänzlich ausgestorben? Der Verfasser erinnert sich, dass man, als er noch ein Kind war, beim Spaziergang durch die Felder zahlreiche Tiere sehen konnte. Da flogen Rebhühner hoch, hier und da stand ein Reh, die Vögel sangen und an kleinen Tümpeln hörte man sommers die Frösche quaken. Die Welt war eine belebte Welt. Nun ist sie immer mehr eine tote Welt.

Wenn man dort draußen unterwegs ist, gibt es die schönen Momente bspw. am besagten Werbeliner See, an den Schadebachteichen oder im kleinen Sprödaer Wald. Doch das Gefühl, durch eine gequälte, vertrocknende und in Gift und Gülle getauchte Landschaft zu radeln, überwiegt immer mehr. Merken es die anderen Menschen nicht? Wollen sie es nicht sehen, riechen, fühlen? Die meisten sind dort im Auto unterwegs, vielleicht kann man das Elend so besser ausblenden – „war da was?“ Ach, man ist ja dann doch schnell vorbei gefahren.

Erinnern wir uns: warum ist es für uns wie unsere Umwelt schädlich, geradezu gefährlich bis tödlich, solche Unmengen an Pestiziden sowie Gülle auszubringen – auf gigantisch großen Feldfluren ohne jegliche Saumstrukturen, die ansatzweise Schutz bieten würden (für den Wanderer, die Tiere wie auch dem Land selbst vor Bodenerosion und Austrocknung!)?

  • Pestizide (Herbizide, Instektizide etc.) töten direkt wie indirekt. Sie vernichten die Nahrungsgrundlagen zahlreicher Lebewesen, die dann verhungern oder vergiften diese Lebewesen ganz konkret. Dies betrifft alle: Kleinstlebewesen, Insekten, Vögel, Amphibien, Reptilien und auch Säugetiere. Zudem stehen Pestizide in Verdacht, beim Menschen krebsauslösend zu sein.

  • Die intensive Gülle-Ausbringung führt dazu, dass unsere heimische Flora gnadenlos verarmt. Deutschland ist ein eutrophiertes Land, was man an den zahlreichen stickstoffliebenden Pflanzenarten sehen kann, die einem in Feld, Wald und Flur begegnen. Gülle enthält Nitrat, welches in vielen Regionen bereits im Grundwasser zu finden ist. Unser Grundwasser ist letztlich auch eine Quelle für unser Trinkwasser. Nitrat im Trinkwasser ist schlecht, es ist gefährlich für Säuglinge (Säuglingszyanose)1 wie auch für Erwachsene (Darmkrebsgefahr)2. Weiterhin ist die übermäßige Anwendung mit Gülle kritisch zu sehen, da sie erstens die Antibiotoka selbst und zweitens antibiotikaresistente Keime in der Umwelt verteilt.3 Und auch wenn Löwenzahn eine hübsche Pflanze ist und man sagen könnte, „da blüht ja wenigstens noch etwas, da können die Insekten doch zu dem fliegen“: so einfach ist es nicht! Es gibt zehntausende Insektenarten allein in Deutschland, welche auch an unterschiedlichste Pflanzen angepasst sind – allein die stickstoffliebenden Pflanzen retten das Ganze nicht! Zudem der Löwenzahn eine der wenigen Arten ist, die damit überhaupt fertig werden. Wer Löwenzahn als gesunden Wildsalat kennt, wird ein Gutes tun, DEN nicht zu essen.

Unsere moderne Landwirtschaft ist streng genommen eine flächendeckend ausgebreitete Tötungsmaschinerie, die alles um uns erbarmungslos ermordet und dabei uns selbst auch noch gesundheitlich schädigt.

Oft wird die Frage gestellt: „Na und? Wenn irgendein Wurm oder ein Vogel ausstirbt, was schert uns das?“ Nun, zu einem ist es unmoralisch, massenweise andere Lebewesen zum Aussterben zu bringen. Wozu haben inzwischen einige Universitäten Lehrstühle für Umweltethik eingerichtet? Doch ist es auch ein Verlust an Lebensqualität – ist ein Leben ohne echte Blumen, Schmetterlinge, singende Vögel etc. noch schön? Es ist mehrfach nachgewiesen, dass der Aufenthalt in Natur der Gesundheit des Menschen zuträglich ist. Bereits 1984 wurde in einer amerikanischen Studie festgestellt, dass Patienten in einem Krankenhaus, welche in ein Zimmer mit Blick ins Grüne kamen, schneller gesund wurden, als die Patienten, die ein Zimmer mit Blick auf eine Mauer bekamen.4 Es gibt hierzu noch weitaus mehr Studien und Berichte. Was mag es mit Menschen nun machen, in einer toten, leeren, wüstenartigen Agrarlandschaft zu sein? Auch wenn es also etwas schöngeistig klingen mag, Bäume, bunte Blumen und Schmetterlinge etc. zu vermissen – ihr Fehlen hat einen Effekt auf unsere Gesundheit, bewusst wie unbewusst. Aber auch ganz direkt wird das Artensterben Folgen für uns haben. Die uns umgebende belebte Welt (Pflanzen, Tiere, Pilze usw. usf.) ist eine vernetzte Welt. Im Laufe von Jahrmillionen von Jahren haben sich hyperkomplexe Systeme aufeinander eingespielt. Wenn der Mensch nun immer mehr Arten zum Aussterben bringt, besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass zahlreiche Systeme wie Kartenhäuser auseinanderfallen – weil eben zahlreiche Karten (auch wenn sie einst unbedeutend erschienen) unwiderbringlich verschwunden sind (und eben doch eine Bedeutung hatten). „Was sind das für Systeme,“ – werden nun manche fragen – „können wir nicht auf die verzichten?“ Nein, denn es sind Systeme, die sauberes Wasser, saubere Luft, gesunde Böden, ein gesundes Klima etc. zur Folge haben – wollen Sie denn auf sauberes Wasser, saubere Luft und ein angenehmes Klima oder gesunde Nahrungsmittel verzichten? Das Artensterben wird allein schon wegen des Klimawandels schlimm ausfallen – es sollte nicht noch sehenden Auges mit massivem Gift- und Gülle-Einsatz verstärkt und beschleunigt werden!

Intensive Landwirtschaft mitten im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“. Foto: J. Hansmann

In deutschen Schutzgebieten (Naturschutzgebieten, FFH-Gebieten etc.) ist Landnutzung (Land- und Forstwirtschaft) prinzipiell erlaubt.5 Und dies ist prinzipiell auch gut so! Denn wir leben in einer gewachsenen Kulturlandschaft und die regionale Produktion von Gütern wie Nahrungsmitteln etc. ist wichtiger als je zuvor. Manche Arten sind als Kulturfolger geradezu angepasst an uralte Landbewirtschaftungsformen. Es stellt sich nun die Frage: wie wird gewirtschaftet? Muss es flächendeckend sein? Bei welchen Arealen wäre vielleicht sogar ein Nutzungsverzicht zielführend? Es wird versucht, „dynamisch zu managen“ zwischen den Interessen der Schutzgebiete und den Interessen der modernen Landnutzer. Doch dies ist oft sehr kompliziert und gelingt oft dynamisch nicht gut: mit oft bösen Folgen für die Natur, die doch eigentlich in den Schutzgebieten geschützt werden sollte – auch für uns!

Nahezu ausnahmslos ziehen bedrohte Arten den Kürzeren. Sie haben keine betriebswirtschaftlich rechnende Lobby. Frederic Vester hat einst am Beispiel des Blaukehlchens dessen Wert ausgerechnet: er kam auf ca. 154 €. Vester war sich aber bewusst, dass der wahre Wert des Blaukehlchens nicht in Zahlen erfassbar war: „Die wahre ökonomische Bedeutung des Blaukehlchens, um das sich in den vergangenen 20 Jahren Naturschützer unter hohem Aufwand erfolgreich bemüht haben, sah Vester in der Rolle des Singvogels als Schädlingsbekämpfer, als Verbreiter von Samen, als Freudenspender fürs menschliche Gemüt sowie als Bioindikator für Umweltbelastungen.“6 Andere haben auch Berechnungen angestellt, bspw. das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. In einer Studie kommt man dort u.a. zur folgenden Kernaussage: „Die gesellschaftlichen Kosten dieser Stickstoffüberschüsse übersteigen den Nutzen einer erhöhten agrarischen Produktion.“7

Soweit wir wissen, ist Leipzig seit 2015 auf dem Weg zur pestizidfreien Kommune8. Eine pestizidfreie Kommune zu sein bedeutet, dass die Kommune selbst als Vorbild auf die Ausbringung von Pestiziden verzichtet9. Auf Privatgrundstücken kann man natürlich wenig Einfluss nehmen, und wer offenen Auges durch die Stadt spaziert, wird öfters hier und da den einen oder anderen Menschen mit den verdächtigen Kanistern auf dem Rücken sehen, die besonders gern auf Gehwegen dubiose Flüssigkeiten verteilen (was übrigens verboten ist laut Pflanzenschutzgesetz: „Pflanzenschutzmittel dürfen nicht auf befestigten Freilandflächen und nicht auf sonstigen Freilandflächen, die weder landwirtschaftlich noch forstwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt werden, angewendet werden.“10 11 Aber – wo kein Kläger, kein Richter. Dennoch ist es löblich, wenn eine Kommune mit gutem Beispiel vorangeht. Doch stellen wir die Frage, wenn Leipzig schon seit 5 Jahren auf dem Weg zur pestizidfreien Kommune ist, wie viele Jahre wird denn dieser Weg noch dauern, bis er auch nur ein greifbares Ergebnis zur Folge hat? Auf den Agrarflächen auf dem Stadtgebiet hat der Autor bisher jedenfalls keine Pestizidausbringungen beobachtet – was nicht bedeutet , dass es sie nicht gibt. Aber was er beobachtet hat, ist die Ausbringung von Gülle auf Wiesen durch Landwirte mitten im FFH-Gebiet auf dem Stadtgebiet – recht nahe an Fließgewässern. Hier könnte die Stadt durchsetzen, dass Pestizid- und Düngereinsätze unterbleiben. Wiesen sind nicht nur „landwirtschaftliches Grünland“, auf dem Viehfutter wächst, Wiesen sind ein traditioneller Bestandteil unserer Kulturlandschaften wie auch Lebensraum für zahlreiche Organismen. Es gibt viele Arten von Wiesen, die teilweise ganz unterschiedlich aussehen. In Leipzig handelt es sich zu einem großen Teil um Auenwiesen bzw. deren Rest (infolge gestörter Wasserdynamik sind die Charakteristika der Auenwiesen meist nicht mehr erfüllt, und ein Teil der typischen Arten ist dort bereits verschwunden oder im Bestand höchst bedroht!). Auf jeder Wiesenart wachsen andere Pflanzen (in Kombination), und so kommen dort auch auf jeder Wiesenart andere Tiere vor. Aber die Vielfalt der Wiesen ist bedroht, denn sie werden alle nach einem einheitlichen Schema mit Maschinen gemäht. Die Mahd erfolgt fast ausnahmslos auf einen Schlag – komplett, nicht wie früher in kleinen Abschnitten. Daher haben die dort lebenden Tiere keine Chance auszuweichen! Die Wiesen werden so sehr gedüngt, dass auf fast allen die gleichen stickstoffliebenden Pflanzen wachsen, dadurch kann man viel Viehfutter produzieren, mehrfach im Jahr, aber der Preis ist hoch, denn die Vielfalt der Wiesen verschwindet von Tag zu Tag, auch in Leipzig, auch in Sachsen, in ganz Deutschland, weltweit.

Kaum wachsen mal mehr Blühpflanzen, kommt der Traktor mit der Gülle: Flachlandmähwiese im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ direkt an der Weißen Elster. Foto: J. Hansmann

Bestimmte Arten von Wiesen haben einen Schutzstatus, zu dem eine bestimmte Form der Bewirtschaftung, meist auf Grund von Bestandsaufnahmen zum Naturschutzwert, festgelegt wurde. Sie sollen also durchaus bewirtschaftet werden, aber so, dass sie ihren Charakter bezüglich Struktur und Artenzusammensetzung nicht verlieren. Ein Typus ist die Flachland-Mähwiese, die laut BfN bedroht durch falsche Mahd ist. “Falsch” wäre die Mahd z.B. wenn sie zu früh, zu oft oder schlagartig flächendeckend erfolgen würde. Durch zu wenig Mahd und Düngergaben wird dieser Wiesentyp ebenfalls bedroht, da es zu gebietsuntypischen Artenverschiebungen und Verbuschung kommen kann. Umbruch (zur Gewinnung von Ackerflächen), Aufforstung (zur Holzproduktion) und die Änderung der Grundwasserverhältnisse löschen solche Vorkommen aus.12 Zum Thema Düngung heißt es, dass zum Schutz der Flachland-Mähwiesen „höchstens mäßige Düngung“ stattfinden sollte. Was mäßige Düngung ist, wurde jedoch nicht wirklich geklärt und nicht in nachvollziehbaren Zahlen festgelegt. Auf diversen Flachland-Mähwiesen werden vermehrt und häufig auch in Dünger-bedingt mastigerer Erscheinung Löwenzahn, Brennnessel, Wiesenkerbel, Hahnenfuß und Ampferarten als nunmehr prägende Arten gefunden, und weil dies schon seit Jahren beobachtet wird, liegt der Verdacht nahe, dass hier seit Jahren zuviel gedüngt wurde und wird! Besonders tragisch ist dies, weil diese Flachland-Mähwiesen oft Lebensraum sind von bedrohten Tierarten, die auf Pflanzen angewiesen sind, die auf diesen Flächen zwar noch vorkommen, aber immer weniger – sie werden förmlich weg-gegüllt oder gemäht. Dabei handelt es sich um deutschlandweit seltene Insekten wie den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, eine Schmetterlingsart, die feuchte Wiesen braucht. Die Art hat es allein schon deshalb so schwer, weil Feuchtwiesen durch die tatsächlich EU-weit grassierende Grundwasserabsenkung und Auen-Zerstörung immer seltener zu finden sind – wozu nun auch noch der Klimawandel beiträgt. Und dann werden diese Wiesen teilweise auch noch derart gedüngt, dass sie für diesen Falter immer weniger nutzbar sind!

Jeder Tropfen Gülle, jeder Tropfen Gift, und auch der Tropfen „Wassermangel“ wie auch der Tropfen „Klimaerwärmung“ füllen ein Fass, und welcher der Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen wird – ist letztlich unwichtig: wenn das Fass überläuft, dann stirbt eine weitere Art durch das Tun des Menschen aus. Also sollte es so wenig Tropfen wie möglich geben!

Außerhalb der Stadtgrenzen, im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ und im angrenzenden FFH-Gebiet „Bienitz und Moormergelgebiet“ sieht es für die Natur noch weitaus brisanter aus – da, wo sie eigentlich geschützt werden soll! Und wir sind uns sicher: in anderen Schutzgebieten wird täglich weltweit Ähnliches geschehen. So gibt es westlich Leipzigs im kleinen FFH-Gebiet „Bienitz und Moormergelgebiet“ noch mehrere Naturkostbarkeiten, darunter besonders seltene Wiesenarten, ein kleines kalkreiches Niedermoor und kleine Gewässer, welche Lebensraum rarer Arten sind. Arten, die so rar sind, dass die meisten Leser sicher noch nie von ihnen gehört haben: wer kennt den schon die Schmale Windelschnecke?

FND Spitzwiese rechts, Intensivlandwirtschaft mit Herbizidausbringung und Düngung links. Foto: J. Hansmann

Viele Habitate liegen aber wie Inseln in Agrarflächen, u.a. das Flächennaturdenkmal „Spitzwiese“. 1841 bestand das gesamte Gebiet aus weitläufigen Kalkmoorwiesen, die sich vom Bienitz bis zum Leipziger Auwald erstreckten, diese kleine Wiese ist der letzte Rest. Zu DDR-Zeiten wurde das Flächennaturdenkmal von der zuständigen LPG durch Entwässerungsmaßnahmen und Düngung übel behandelt. Dadurch starb dort u.a. die Trollblume aus.

Weitere Meliorationsmaßnahmen, zunehmendes Umbrechen der Wiese an den Rändern zugunsten der umliegenden Ackerflächen und intensive Düngung der Äcker schädigten diese kleine Wiese weiterhin.13 Es ist ein Wunder, dass hier dennoch so einiges überlebt hat! Inzwischen zählt man die Spitzwiese u.a. zum Lebensraumtyp der Brenndolden-Auenwiesen und 2004/2005 wurde dort eine kleine Population des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings entdeckt. Klein bedeutet: die Population ist fragil, ein Erlöschen der Population ist jederzeit möglich! Es ist auch unbekannt, ob sie noch mit einem anderen Vorkommen dieser Art räumlich vernetzt ist, denn eine solche Vernetzung könnte die Stabilität des Vorkommens stützen.

Umso erschreckender ist es, dass der Verfasser eben dort und in diesem Frühjahr beobachtete, wie rings um die Spitzwiese massiv mit Herbiziden gearbeitet wurde (siehe Foto). Die umliegenden anderen Ackerflächen dürften ebenso bewirtschaftet werden. Dies ist für die Vorkommen aller dort siedelnden landschaftstypischen und seltenen Arten sehr gefährlich! Einerseits werden Insekten, welche am Rand des kleinen FNDs leben, getötet, zudem sind jegliche Versuche der Tiere, das Habitat zu verlassen (was wichtig ist, damit die Population sich ausbreiten könnte bzw. auch um sich genetisch mit anderen Populationen austauschen zu können) im Keim – nein, im Gift erstickt! Zudem ist es bekannt, dass Herbizide sich per Abdrift noch kilometerweit ausbreiten können.14 15 Wie mag es da den seltenen Insekten in so kleinen Habitaten gehen, die nur Meter entfernt sind von solchen Ackerflächen? Und wie anders soll es den Vögeln, Säugetieren, Amphibien, Reptilien – allen – ergehen? Nur wenige hunderte Meter befinden sich weitere kleine Habitate, und dort fließt der Zschampert, ein kleiner Bach, der in die Neue Luppe mündet. Was hier im Wasser landet, fließt mit der Neuen Luppe in die Saale, die in die Elbe mündet. Manche mögen nun sagen, es wäre doch nur eine kleine Fläche, um die es sich hier handelt – aber entlang aller unserer Fließgewässer, großer wie kleiner, befinden sich zahlreiche solcher Flächen, deren Pestizidbelastung sich miteinander summiert und in unseren Flüssen bis ins Meer verfrachtet werden. – Pestizide sind auch für Wasserlebewesen tödlich! Zudem landen alle Gifte unweigerlich in die Nahrungsketten – auch in unserer, und so begegnen uns die Agrargifte auf dem Esstisch wieder – und wirken auf unsere Physiologie nachteilig ein, allerdings unmerklich! 16 17

Pestizidausbringung am FND Spitzwiese im Frühjahr 2020. Foto: J. Hansmann

Auch in einem der schönsten Gebiete des FFH-Gebietes „Leipziger Auensystem“, der Elster-Luppenaue, wurden im Frühjahr 2020 zwar keine Pestizide, dafür aber auf und um wichtige Wiesenhabitate Gülle ausgebracht. Dabei handelt es sich wieder um Wiesen des Typs Flachland-Mähwiesen, die, wenn überhaupt, wie oben beschrieben, höchstens mäßig gedüngt werden sollen – aber ihre zunehmende Monotonie zeugt davon, dass hier bereits jetzt viel zu viel Stickstoff-Verbindungen in der Landschaft sind. Auch eine Entwicklungsfläche für Brenndolden-Auenwiesen lag im Bereich der gedüngten Flächen. Brisant: Solche Maßnahmen finden auf und im Umfeld von Gebieten statt, die laut Geoportal Sachsen Habitate von Eschen-Scheckenfaltern, dem Dunklem Wiesenknopf-Ameisenbläuling, dem Kammmolch und der Rotbauchunke sind. Damit nennen wir nur ein paar herausragende und naturschutzfachlich besonders geschützte Arten, welche besonders stark unter solchen Maßnahmen leiden werden, u.U. sogar direkt getötet werden können!

Es sind so genannten Leit- oder Indikatorarten, die stellvertretend für zig weitere, meist weniger auffällige seltene und bedrohte Arten stehen. Es gibt Studien hierzu, die erahnen lassen, welche Rolle Dünger und die durch Dünger hervorgerufenen PH-WertÄnderungen in den Böden und den Pflanzen auf das Verschwinden von Amphibienpopulationen haben. 18 19 20 Neben vielen anderen Ursachen trägt auch ein zu hoher Nitratgehalt zum Aussterben dieser gesetzlich geschützten Tiere bei! Und dies geschieht in Schutzgebieten, wo noch teilweise sehr selten gewordene Arten vorkommen! Man möge bitte bedenken: dass Amphibien bereits jetzt schon durch die vermehrte Trockenheit im Rahmen des Klimawandels mehr bedroht sind! Erst hat der Mensch im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zahlreiche Gewässer zerstört, um Nutzland zu gewinnen. Dann hat der Mensch angefangen, in die Natur übermäßig Nitrate einzubringen und hat damit viele Populationen zum Aussterben gebracht. Zugleich hat der Mensch begonnen, noch flächig Gift auszubringen, mit dem niemals nur so genannte Schädlinge, sondern letztlich alle Tiere getötet werden. Nun kommt noch der Klimawandel hinzu, in dessen Rahmen zahlreiche der noch letzten für Amphibien nutzbaren Gewässer austrocknen. Wie soll denn da noch eine Amphibie überleben? Es wäre mehr als dringend angeraten, gerade in Schutzgebieten, aber eigentlich auch darüber hinaus, den Einsatz von synthetischen (Kunst-) Düngern, Gülle und auch den Einsatz von Pestiziden nicht nur zu minimieren, sondern grundsätzlich zu verbieten. Das ist realistisch, denn es gibt aus der Bio-Landwirtschaft genug Beispiele für Anbau und Nutzlandpflege, die ohne Kunstdünger auskommen, und bei denen nachweisbar ist, dass durch die erlaubte Artenvielfalt auch Pestizideinsätze gegen so genannte Schädlinge nicht erforderlich sind – allenfalls kann mit eingeführten naturverträglichen Mitteln gearbeitet werden, die auch die Bestände bedrohter Arten unbeeinträchtigt lassen. So können einerseits wenigstens ein paar Populationen noch gerettet werden, und andererseits können sich aus den erholenden Beständen wieder Neubesiedlungen auf nahegelegenen, derzeit verwaisten Gebieten ergeben!

Nun wird mancher sagen „Es sind doch nur Frösche!“ – aber wie schon oben geschrieben: es ist allein schon unethisch, Arten derart massiv an den Rand ihrer Existenz zu bringen oder gar auszurotten – man denke nur, wie extrem selten bereits die einst für die Leipziger Auen typische Rotbauchunke geworden ist! Zudem sind diese Amphibien Nützlinge, wovon viele Gärtner inzwischen wissen. Und wie bereits zum Blaukehlchen bemerkt, erfüllen auch Amphibien eine wichtige Stellung in der Natur – bspw. verzehren sie u.a. Mücken, wofür man den Amphibien an einem Sommerabend am See durchaus dankbar sein kann!

Ausbringung von Gülle in der Elster-Luppe-Aue bei Schleuditz. Foto: J. Hansmann

Weiter westlich auf sachsen-anhaltinischer Seite schließt sich an die Leipziger Luppen-Auen ein weiteres FFH-Gebiet namens „Elster-Luppe-Aue“ an. Landwirtschaftliche Flächen wurden “gekonnt” weitestgehend aus dem Schutzgebiet ausgeschlossen, obwohl diese zahlreich dort vorhanden sind und mit dem Schutzgebiet sehr kompliziert verzahnt sind. Auch dort wird intensiv Landwirtschaft betrieben, und es wurde mehrfach über Jahre beobachtet, dass dort äußerst massiv Pestizide ausgebracht worden sind. Dort befindet sich ein weiteres der wenigen Vorkommen des Maivogels in Deutschland. Zwar ist diese Schmetterlingsart eine Art lichter Wälder, aber so, wie in diesem Gebiet Wald, Wiesen und sonstige landwirtschaftliche Flächen miteinander verzahnt sind, wird diese flächendeckende Ausbringung von Gift zum Nachteil des weiteren Vorkommens dieser Art sein! Nicht vergessen: durch Abdrift werden Pestizide kilometerweit weiter getragen – auch in den Wald hinein! Auch beim Maivogel haben wir es mit einer vom Aussterben bedrohten Art zu tun, die einst typisch für alle mitteleuropäischen Auengebiete war, und immerhin in diesen Restbeständen noch im Umfeld Leipzigs angetroffen werden kann. Aber auch für alle anderen Organismen in und um dieses Schutzgebiet ist flächiges Begiften und Düngen kontraproduktiv. Zudem ist auch dies wieder eine Auenlandschaft mit zahlreichen Gewässern! Und bekanntlich wird, was in Fließgewässern landet, mit dem Wasser weiter verteilt, landet in den Nahrungsketten und letztlich auch auf unseren Tellern. 21

Flächig ausgebrachte Gülle nahe der Papitzer Lachen. Foto: J. Hansmann

Es könnte hier auch von Logik gesprochen werden, der zufolge es nicht im Interesse der Allgemeinheit ist, derart rabiat und verschwenderisch mit unseren natürlichen Ressourcen umzugehen. Warum tut man es? Warum schädigt man die Umwelt – und letztlich auch uns Menschen selbst? Ist es Ignoranz? Oder wird ausgeblendet, wie gefährlich ein solches Vorgehen ist? Ist den Landwirten und deren Mitarbeitern bewusst, dass solche “Mittelchen” krebserregend sind, das Nervensystem und weitere Körperfunktionen bei Menschen schädigen können? Wir wissen, dass derzeit hierzu viel diskutiert wird, und es ist auch durchaus möglich, dass wir vieles zu Langzeitschäden momentan auch noch gar nicht ermessen können – aber gerade weil wir es noch nicht ermessen können, nur erahnen, sollte man doch allein darum schon vorsichtig sein! Wir leben in Zeiten, in denen wegen eines Virus – aus Vorsicht – weitreichende Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Doch was Klimaschutz angeht, oder auch unser Thema zu Gift und Gülle, passiert nichts. Ist es, weil die Folgen unseres Tuns zu abstrakt sind? Oder dass die Folgen oft erst zeitversetzt wahrgenommen werden, also irgendwann in der Zukunft? Weil ihnen nur des späteren Eintretens wegen momentan (noch) der Schrecken genommen ist? Aber: wenn wir erst handeln, wenn es zu spät ist, werden wir u.U. nicht mehr gegensteuern können – fatal!

Es ist dem Autor bewusst, dass in der Landwirtschaft durchaus die Notwendigkeit besteht, Felder zeitweise zu düngen. Man tut dies schon seit Jahrtausenden. Aber das Wo, Wie, das Womit und in welcher Dosis sind entscheidend! Es wäre auch einfach, den Landwirten die Alleinschuld zuzuweisen, jedoch – sind wir nicht irgendwie alle Schuld? Es ist ein gewachsenes System schuld, ein System, an dem Viele beteiligt waren und beteiligt sind. Wichtiger als Schuld ist es, sich der Frage zu stellen, wie man den aktuellen Zustand ändern kann. Diese Frage geht an den Verbraucher ebenso wie an Politiker, die Wirtschaft und die Landwirte – also an alle Beteiligten! Nur gemeinsam könnte man diesen Zustand ändern – aber woran hakt es?

Letztlich sollten wir uns die Frage stellen: Warum gestalten wir unser Leben und unsere Landschaft wie auch unsere Wirtschaft so, dass sie uns und unsere Umwelt schädigen?

Und daran schließt sich die Frage an: Warum gestalten wir unser Leben und unsere Landschaft wie auch unsere Wirtschaft nicht so, dass sie uns Gutes tun?

 

1 https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/grundwasser/nutzung-belastungen/faqs-zu-nitrat-im-grund-trinkwasser#warum-ist-der-grenzwert-der-trinkwasserverordnung-von-50-milligramm-nitrat-je-liter-im-trinkwasser-aus-gesundheitlichen-grunden-wichtig

2 https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Nitrat-im-Trinkwasser-erhoeht-Darmkrebs-Gefahr-231999.html

3 https://www.n-tv.de/wissen/Schweinehalter-verbreiten-resistente-Keime-article21731067.html

4 https://www.researchgate.net/publication/17043718_View_Through_a_Window_May_Influence_Recovery_from_Surgery

5 https://www.bfn.de/themen/natura-2000/management/kooperation-mit-nutzern/landwirtschaft.html

6 https://www.fr.de/wirtschaft/wert-blaukehlchens-11060279.html

7 Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2017). Fallbeispiel Stickstoffüberschüsse. In: Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Neue Handlungsoptionen ergreifen – Eine Synthese. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig.

8 https://www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/01.1_Geschaeftsbereich_OBM/12_Ref_Kommunikation/Amtsblatt/2015/Amtsblatt_2015-07.pdf

9 https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/pflanzenschutzmittel/pestizidfreie-kommune

10 https://www.gesetze-im-internet.de/pflschg_2012/

11 https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/227849

12 https://www.bfn.de/lrt/0316-typ6510.html

13 NABU Landesverband Sachsen e.V. / Kreisverband Leipzig: „Natur und Naturschutz im Raum Leipzig Teil 1“, Leipzig 1994, S. 81 ff.

14 http://enkeltauglich.bio/wp-content/uploads/2019/02/Bericht-H18-Rinde-20190210-1518-1.pdf

15 https://www.global2000.at/publikationen/pestizidabdrift-vom-winde-verweht

16 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969719311969

17 https://www.mpic.de/3884355/alte-giftstoffe-in-der-tiefsee-kehren-zurueck

18 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1046/j.1461-0248.2002.00352.x

19 https://www.gfn-umwelt.de/fileadmin/user_upload/publikationen/Amphibien_Duenger2008.pdf

20 https://www.zobodat.at/pdf/Braunau_8_0169-0187.pdf

21 https://ffh-anhang4.bfn.de/arten-anhang-iv-ffh-richtlinie/schmetterlinge/eschen-scheckenfalter-euphydryas-maturna/lokale-population-gefaehrdung.html

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