Gut, aber schlecht

Straßenbäume in Leipzig

Straßenbäume in Leipzig haben es nicht leicht und fristen oft ein arg beschnittenes Leben. Foto: J. Hansmann

Wo fängt Baumschutz an? Und warum hört er eigentlich manchmal auf?

„Stadtbäume sind wie Käfighaltung“, sagt Peter Wohlleben. In seinem Kinofilm vergleicht er sie auch mit “im wahrsten Sinne Straßenkinder des Waldes”. Wer will schon dem alternativen Popstar der Forstwirte widersprechen? Und natürlich hat jedes Leben einen – seinen – Wert. Straßenkinder haben es schwerer als andere und können Unterstützung gut gebrauchen. Stadtbäume, die in der lebensfeindlichen Welt der Menschen zwischen Beton und Asphalt eingepfercht sind, kämpfen nicht selten ums Überleben. Das, also die Ferne zu ihrem natürlichen Zuhause, dem Wald, macht ihren Wert größtenteils aus.

Zwei Punkte verschärfen die Existenzfrage für Stadtbäume. Erstens wächst Leipzig insbesondere auch nach innen und verdichtet sich. Dies geschieht in aller Regel auf Kosten von Grünflächen, die verschwinden. Und zweitens verschlimmert sich mit der Klimakrise auch das Stadtklima.

Es geht dabei um mehr als die Sommerhitze. Stadtbäume filtern Schadstoffe aus der Luft. Sie sind also Luftfilter und Schattenspender, außerdem noch natürlicher Lärmschutz, Wasser- und CO2-Speicher. Es sollte mehr Bäume und sonstiges Grün im urbanen Raum geben – für bessere Lebensbedingungen von uns Menschen. Und es ist nicht verkehrt, die Lebensbedingungen der Bäume und der weiteren städtischen Flora und Fauna auch zu verbessern. Stadtbäume sind ja auch Lebensräume für andere Arten.

Drittens wurde kürzlich die Baumschutzsatzung Leipzigs wieder in Kraft gesetzt, weil das sächsische Naturschutzgesetz seit 1. März gilt und damit die landesrechtlichen Beschränkungen im Baumschutz aufgehoben sind. Nun sind alle Bäume mit einem Mindestumfang von 30 cm geschützt, auch Obstbäume, auch auf Privatgrundstücken.

Für Fällungen, Rückschnitte und andere Eingriffe muss ab sofort ein Antrag beim Amt für Stadtgrün und Gewässer gestellt werden. Alles gut und schön. Auch dass die Einhaltung solcher neuen Regeln kontrolliert werden sollte, um ihnen besser Geltung zu verschaffen, macht Sinn.

Aber es gibt auch ein Aber: Stadtbäume mögen wertvoll sein und es schwer haben. Im Gegensatz zu den Bäumen im Auwald stehen sie allerdings nicht beziehungsweise nur in Ausnahmefällen unter Naturschutz. Sie sind nur Umwelt, keine Natur. Ihre Existenz ist nicht naturnah, noch viel weniger naturbelassen und insofern bemitleidenswert. Sie repräsentieren etwas, was sie nicht sind und nicht sein können. Ganz ähnlich den eingesperrten Zootieren, die nur für uns Menschen da sind, selbst aber nicht erfüllt leben können, sondern bloß zu unserer Freude überleben.

Wenn sich der Stadtrat also kurz vor dem diesjährigen Tag des Baumes mit einem grün-linken Antrag beschäftigt, im neuen Doppelhaushalt Mittel für eine, zwei oder vier Stellen im Amt für Stadtgrün und Gewässer zu beschließen, die das Einhalten der Baumschutzsatzung überwachen sollen, dann wäre ein bisschen Verhältnismäßigkeit geboten.

Zwar hat die Stadt Leipzig schon lange keine Naturschutzamt mehr, bloß ein Umwelt(schutz)amt. Und diese Degradierung ist vielleicht auch kein Zufall, vielleicht aber doch. Fakt ist: Was Stadtbäume leisten, können Auwaldbäume noch viel mehr und besser. Wir wissen, dass der Auwald ein Hotspot der Artenvielfalt ist. Wir nennen ihn gern die grüne Lunge der Stadt. Hier können wir uns auch deutlich nachhaltiger vom Stadt- und Alltagsstress erholen. Er könnte noch prächtiger gedeihen, wenn weniger geforstet würde und ihn stattdessen mehr Wasser durchströmen könnte. Damit wäre er eine willige Retentionsfläche, die die Hochwassergefahr in Leipzig und flussabwärts verringerte.

Schon der gesunde Menschverstand sagt uns, dass Baumschutz im Naturschutzgebiet in jedem Fall noch viel größer geschrieben und betrieben werden sollte, als im normalen Stadtgebiet. Jeder Baum, der im Auwald steht, 30 cm Umfang erreicht und gefällt werden soll, muss demgemäß als unter Baumschutz und Naturschutz stehend behandelt werden. Die amtliche Prüfung und Genehmigung muss ungleich gründlicher erfolgen und logischerweise häufiger negativ beschieden werden.

Damit nicht genug: Für diese Prüfung bedarf es möglichst umfassender Informationen, wo im Wald welche geschützten Arten – von Eremit bis Mopsfledermaus – vorkommen. Dass dies noch nicht ausreichend der Fall ist, mahnt neben NuKLA zum Beispiel der NABU Leipzig an. Denn es wird von Stadtforsten und Sachsenforst einfach nicht mit der nötigen Sorgfalt gemacht. Es ist also wohl kaum gewollt und wird als nicht sonderlich dringlich erachtet. Aber das schreiben der Schutzstatus sowie unter anderem das Bundesnaturschutzgesetz vor.

Ganz ähnlich sind Forstmaßnahmen zwar nicht gänzlich per Gesetz untersagt, wohl aber an Verträglichkeitsprüfungen und Beteiligung der Naturschutzverbände als Bedingung geknüpft. Dass die städtische Interpretation des OVG-Urteils im Verfahren mit NuKLA und der GRÜNEN LIGA Sachsen abenteuerlich ist, bestätigt unter anderem der BUND Leipzig, der den aktuellen Forstwirtschaftsplan erfreulicherweise ebenfalls (erstmalig) ablehnt und zudem forstwirtschaftliche Maßnahmen an eine Umweltverträglichkeitsprüfung unter Beteiligung der Naturschutzverbände knüpft.

All das ist in Leipzig unseres Erachtens und auch aus unserer leidlichen Erfahrung nicht gegeben. Naturschutz steht nicht auf der Agenda. Es gibt nur Hochwasserschutz und Wassertourismus. Es gibt Lippenbekenntnisse. Aber die Bedingungen für den Auwald stagnieren seit Jahrzehnten auf schlechtem Niveau. Wie ja im Übrigen auch die Wasserqualität unserer Fließgewässer. Und dies, obwohl gesetzliche Vorgaben wie die Wasserrahmenrichtlinie seit Dezember 2000 etwas anderes erfordern.

Umweltschutz im Allgemeinen und Baumschutz für Stadtbäume im Speziellen erscheinen in diesem Licht wie Ablenkungsmanöver vom Naturschutz in der Auenlandschaft zwischen Elster, Pleiße und Luppe.

Erst wenn dem FFH-, Natura-2000- sowie SPA-Schutz im Auwald Genüge getan wird, wenn Naturschutz vor Umweltschutz geht, dann können wir auch Stadtbäume gießen, schützen und umarmen. Vorher ist Baumschutz von Stadtbäumen gut, aber schlecht.

Auf jeden Fall gilt unser Lob den Fraktionen der Linken und Grünen für den Antrag, woraufhin der Ökolöwe kürzlich beim Stadtrat beantragte, dass die Mittel für die zwei bis vier Stellen für ihn freigegeben werden. Unseres Erachtens braucht es zur Überwachung des Baumschutzes weder mehr Personal noch zusätzliche Finanzmittel. Hat nicht das Forstamt „Stadtforsten“ seit nunmehr drei Jahren ohne Forstwirtschaft freie Spitzen? Da könnten doch die vorhandenen Kräfte ideal umgesetzt werden.

 

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