Was ist eigentlich eine Forsteinrichtung?

Leipziger Auwald

Leipziger Auwald im Frühjahr 2021. Foto: J. Hansmann

Ein Beitrag vom Aueninstitut für Lebendige Flüsse

Wenn es um den Leipziger Auwald bzw. das FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ geht, kreisen die öffentlichen Diskussionen oft um die Revitalisierung des Auensystems als auch um die Forstwirtschaft im FFH-Gebiet und den diversen Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten (wir sprechen im folgenden zusammenfassend von der Leipziger Aue). Dabei fallen häufig viele Fachbegriffe, welche dem einen oder anderen erst einmal nicht viel sagen – dennoch haben auch die Dinge, die sich hinter den Bezeichnungen verstecken, natürlich Bedeutung für das, was mancherorts bisher in der Leipziger Aue passierte und auch noch passieren wird.

Für alle am Auwald und der gesamten Leipziger Aue interessierten Menschen werden wir daher von Zeit zu Zeit auf dieser Website erklärende Beiträge zu diesen Fachbegriffen und den dahinter stehenden Systemen veröffentlichen.

Heute geht es vor allem um den Begriff „Forsteinrichtung“, etwas, was in Sachsen für Staats- und Körperschaftswälder alle zehn Jahre neu erstellt werden muss laut Gesetz 1. Im Falle speziell des Leipziger Auwaldes wäre dies wieder im Jahr 2023 der Fall. Der Stadtrat aber möchte die Forsteinrichtung vorziehen und setzt offenbar betreffs der Klärung diverser Probleme in Bezug auf den Naturschutz auf diese neue Forsteinrichtung. Aber was genau verbirgt sich nun hinter diesem Begriff?

Kurz gesagt: Eine Forsteinrichtung ist ein Werkzeug aus einem System, welches aus weiteren solchen Werkzeugen besteht. Der Zweck dieses „Werkzeugsystems“, welches man auch Forstwirtschaft nennt, ist die Produktion von Holz zum Zwecke des Verkaufes.

Kann man aber von einem Werkzeug (oder einem kompletten Werkzeugsystem), welches einzig und allein für ein bestimmtes und konkret abgegrenztes Ziel konstruiert wurde, nun erwarten, dass es für ganz andere Probleme Lösungen bietet?

Wenn man, um beim Bild des Werkzeuges zu bleiben, bspw. eine Schlagbohrmaschine hat – macht es Sinn, diese Schlagbohrmaschine zum Schlagen von Schlagsahne zu benutzen? Oder eine Axt zum Schnitzen feiner kleiner Holzfiguren zu verwenden?

Möglicherweise könnte man eventuell sogar eine Schlagbohrmaschine umbauen, sodass es damit leidlich gelänge, Sahne steif zu schlagen – aber letztlich wäre es doch einfacher, ein geeignetes Küchengerät zu nehmen. Womit nicht gesagt sein soll, eine Schlagbohrmaschine wäre nun gar nichts mehr Wert – nur ist sie eben doch nicht wirklich geeignet zum Sahne schlagen.2

Holzpolter im Leipziger Auwald

Holzpolter im Leipziger Auwald (Kanitzsch) im Jahr 2019. Foto: J. Hansmann

Ähnlich verhält es sich mit dem Werkzeug Forsteinrichtung: es wurde erdacht für einen bestimmten Zweck, aber es ist deswegen nicht wirklich dafür geeignet, andere Zwecke zu erfüllen. Eine Forsteinrichtung ist nicht dafür da, Naturschutzmaßnahmen zu konzeptionieren oder irgendwelche Naturschutz-Konflikte zu lösen. Ja – wie wir in beinahe jedem Wald oder Forst Europas studieren können, sind die Ziele von Forstwirtschaft und Naturschutz häufig sogar weitestgehend konträr zueinander und dies könnte hier dann sogar zu zukünftigen neuen Problemen führen. Auch wenn Forstwirtschaft und Naturschutz unter bestimmten Bedingungen mehr oder weniger miteinander vereinbar sein mögen – erfahrungsgemäß gelingt dies leider selten.

Wenn man die Herkunftsgeschichte der Forstwirtschaft und somit auch des Werkzeugs Forsteinrichtung (als auch übrigens des Werkzeugs Forstwirtschaftsplan) betrachtet, wird man auch verstehen, warum diese Beziehung eine derart schwierige Kiste zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft ist. Über die Entstehung der Forstwirtschaft wurde viel geschrieben – und durchaus Gegensätzliches! Diese Gegensätzlichkeiten sind nachvollziehbar, denn Geschichte kann stets auf mehrere Arten erzählt werden. Geschichtsbücher aus vergangenen Zeiten bieten dafür reichlich Beweise. Und wie Geschichte erzählt wird, hängt auch zu einem großen Teil davon ab, wer sie erzählt. Befragt man einen stolzen Fleischermeister zur Geschichte der Metzgerei, wird man eine ganz andere Geschichte hören, als wenn man einen geschichtsinteressierten Veganer hierzu befragt. Und würden Tiere geschichtliche Zusammenhänge erfassen und reden können, würden wir sicher noch einer ganz anderen Deutung dieser historischen Ereignisse lauschen dürfen! So erklärt es sich natürlich, dass Vertreter der Forstwirtschaft die Entstehung dieser in anderem Lichte schildern als bspw. am Thema interessierte Naturschützer. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass auch schon in der Vergangenheit, also vor dem Entstehen der Forstwirtschaft überhaupt, zahlreiche Interessenvertretende unterschiedlichster Gruppen (Feudalherren, Bauern, Handwerker, Kirchenvertreter usw.) sich um Wälder und deren Nutzung stritten (also wie heute auch!). Daher empfiehlt es sich, historische Quellen stets im Kontext ihrer Entstehung zu betrachten, und das gilt auch für Arbeiten, die mehr-minder lange nach der ursprünglichen Quelle über diese verfasst wurden.

Seit wann gibt es Wälder als Ökosysteme? Die Paläontologie lehrt, dass die Sukzession der Waldökosysteme bereits im Oberen Silur begann – das war vor ca. 420 Millionen Jahren. Diese Sukzession wurde von einer zunehmenden Faktorenfülle begleitet und beeinflusst, und darin spielten nicht nur Pilze, sondern u.v.a. auch Tiere sehr verschiedener Körpergröße und potenzieller Lebenszeit eine Rolle.

Seit wann gibt es Forstwirtschaft? Sie entstand in einem langwierigen Prozess zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert. Einer der ersten Meilensteine in diesem Prozess war die Veröffentlichung des Buches „Sylvicultura oeconomica“ 3 von Hans Carl von Carlowitz, welches oft als eines der ersten Werke zum Thema Forstwirtschaft bezeichnet wird. Somit ist Forstwirtschaft bestenfalls 300 Jahre alt. Hans Carl von Carlowitz 4 war sächsischer Oberberghauptmann, und auch in der Einleitung zu seinem Grundlagenwerk legte er klar Anlass und Motivation für dieses Buch dar. So war der erzgebirgische Bergbau (und angeschlossene Manufakturen) im damaligen Kurfürstentum Sachsen einer der wichtigen Wirtschaftszweige und wurde auch staatlich gefördert.5 Aber der damalige Bergbau verschlang ganze Wälder und es wurde langsam eng mit Nachschub:

Hans Carl von Carlowitz, Public domain, via Wikimedia Commons

Titelblatt der von Hans Carl von Carlowitz verfassten “Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht”. Hans Carl von Carlowitz, Public domain, via Wikimedia Commons

„In dieser Betrachtung nun / und sonderlich wie die Bergwercke / als das edle Kleinod und unschätzbare heilige Nahrungs-Mittel / bey Ew. Königl. Maj. Churf. Sächß. Landen / wegen anscheinenden Holtz-Mangel künfftig nicht in Abfall kommen / und dadurch die florierende Commercia gehemmet werden möchten / so habe als Ew. Königl. Maj. treuer Vasall und Berg-Hauptmann / oder Beobachter Dero hohen Berg-Regalis, ich meiner Pflichtschuldigkeit nach / mich unterwunden / hierüber meine wenige Gedancken in Schriften nicht allein zuentwerffen / sondern auch auf treuer Patrioten Gutbefinden / solche zum Druck zu befördern / und darinnen mit wenigen anzumercken / wie das Holtzwesen in Ew. Königl. Maj. Churfürstl. Sächsischen Landen etzlicher maßen zu unterhalten / und der befürchtende Holtz-Mangel durch den Anflug und Wiederbewachs des jungen Holtzes / bey und auf denen großen Blösen / und Stock-Räumen / derer in viel tausend Ackern bestehend abgetriebener und abgehöltzer Wälder / denen Nachkommmen zum Besten / nach und nach wieder zuersetzen / und dadurch den lieben Bergweck / (welches in Ew. Königl. Majest. Landen / durch Gottes Seegen unerschöpflich / aber ohne sattsames Holtz / nicht geführet werden mag) so wohl voritzo / als künfftighin zu Vermehr- und Erweiterung zu statten zu kommen…“

Carlowitz formulierte es also ganz klar: ein florierender Wirtschaftszweig benötigte die natürliche Ressource Holz, diese drohte, knapp zu werden, also musste man vorausblickend Gegenmaßnahmen treffen, damit dieser Wirtschaftszweig auch weiterhin Geld einbringen und dieser Wirtschaftszweig zukünftig auch noch erweitert werden konnte. In eben diesem Buch taucht weiterhin zum ersten Mal der Begriff „Nachhaltigkeit“ auf:

„Wird derhalben die gröste Kunst / Wissenschafft / Fleiß / und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag. Denn gleich wie andere Länder und Königreiche / mit Getreyde / Viehe / Fischereyen / Schiffarthen / und andern von Gott gesegnet seyn / und dadurch erhalten werden; also ist es allhier das Holtz / mit welchem das edle Kleinod dieser Lande der Berg-Bau nehmlich erhalten und die Ertze zu gut gemacht / und auch zu anderer Nothdurfft gebraucht wird.“

Holz als Rohstoff war wichtig für den Bergbau, für die Verarbeitung der Erze und auch zu anderem. Daher sollte dieser Rohstoff in Form von Wäldern erhalten bleiben als auch neu angebaut werden, damit man ihn in Zukunft auch weiterhin beständig und „nachhaltend“ nutzen konnte – und dieses erhalten und neu anbauen wurde klar als Aufgabe an die Wissenschaft formuliert. Der Begriff der Nachhaltigkeit war geboren und hatte zunächst rein gar nichts mit Natur oder Umwelt zu tun, sondern allein damit, dass ein Rohstoff, welcher wichtig für die Wirtschaft war, nicht ausgeht. Die florierende Commercia durfte nicht gehemmt werden! Das war von Staatsinteresse! Wirtschaftliche Aspekte spielten also von Anfang die wichtigste Rolle – schon ab dem ersten Meilenstein in der Entstehungsgeschichte der Forstwirtschaft. Carlowitz schlug übrigens in seinem Buch weiterhin auch viele – vom heutigen Gesichtspunkt aus gesehen – naturverträgliche Methoden zur Waldmehrung vor (Förderung der Naturverjüngung, Baumsaat), welche in der Leipziger Aue heute leider aber kaum noch angewendet werden.

Hans Carl von Carlowitz war aber nur der erste, und viele weitere folgten und verfeinerten seine Gedanken, Wälder nicht nur zu roden, sondern auch für die anschließende wirtschaftliche Verwertung wieder anzupflanzen – und dies selbstverständlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, daher nannte er sein Werk ja auch von Anfang an „Ökonomie der Waldkultur“!

Nur, wie wirtschaftet man am besten? Man muss zu Anfang erfassen, was man an Waren hat (in diesem Falle stehende Bäume = Holz), was man an Waren entnimmt (durch Holzfällung) und dann – muss wieder Ware (neue Bäume = Holz) „produziert“ (also nachgepflanzt) werden.

Stellen Sie sich, werte Leser, aber nun vor, Sie müssen in einem beliebigen Waldstück herausfinden, wie viel Holz in Kubikmetern Sie aus diesem Waldstück durch das Fällen von Bäumen gewinnen können. Es sind Meisterleistungen, solches zu berechnen, und ja, es ist beeindruckend, was man hierfür für Werkzeuge und Instrumente ersonnen hat. Aber dies bedeutete auch: Wald wurde neu gedacht. Ja – man hatte vorher auch schon in Waldlebensgemeinschaften eingegriffen, Bäume gefällt, aber auch der Naturverjüngung auf die Sprünge geholfen – Carlowitz war sich dessen bewusst und erwähnte auch, dass er sich stellenweise auf bereits bekannte Methoden bezog. Aber das nun neu ersonnene System der Forstwirtschaft spielte im Vergleich zu den vorherigen kleinteiligen Bewirtschaftungen des Waldes (welche zudem eher vielfältige bäuerliche Mischnutzungen waren, bei denen Holzproduktion nur ein Ziel von vielen war) in einer ganz anderen Liga.

Der Umwelthistoriker Prof. Dr. Joachim Radkau schreibt hierzu:

„Das 17. Jahrhundert, das Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges, bedeutete für die Wälder Mitteleuropas eine Zeit der Vernachlässigung, aber auch der Entlastung; durch das wirtschaftliche Wachstum des 18. Jahrhunderts dagegen wurden sie beansprucht wie noch nie zuvor. ‚Ökonomie‘ , rationale Wirtschaft, wurde nun, wie überall, auch im Walde gefordert; die ‚Forstökonomie‘ sollte zur Wissenschaft erhoben werden.“ 6

Weide an den Papitzer Lachen

Weide an den Papitzer Lachen 2020: Krumm und schief, aber ökologisch wertvoll. Foto: J. Hansmann

Doch eine solche Wirtschaft und eine solche Wissenschaft muss eben rechnen können, und um mit Bäumen (=Holz) in einem lebendigen System (Waldökosystem) gut kalkulieren zu können, war es der einfachste Weg, diese lebendigen Systeme, die man ja sowieso neu anlegte/pflanzte, derart anzulegen, dass man die Bäume besser numerisch erfassen konnte und so auch das Wirtschaftsgut Holz besser berechnen konnte! In einem naturnahen Wald mit krummen Bäumen aus Naturverjüngung (welche aber ökologisch von hohem Wert sind!), aufgewachsen unter natürlichen Bedingungen, muss es ja auch wirklich schwierig sein, abzuschätzen, wie viel Holz in Kubikmetern da auf einer bestimmten Fläche steht. Und Sägemühlen, später Sägewerke, konnten auch eher etwas mit gerade gewachsenen Bäumen anfangen (auch wenn krumme Bäume zumindest für den Schiffbau sehr begehrt waren!).

Radkau schreibt weiterhin:

„Besonders schwer hatten es die Forstrechner mit solchen Wäldern, in denen die Baumarten und Altersklassen gemischt waren … Schon aus dem Ehrgeiz heraus, die Holzmasse und den Wert eines Waldes genau zu ermitteln, ergab sich eine Vorliebe für den Kahlschlag und die Begründung von Reinbeständen.“ 7

Fichtenmonokultur Dahlener Heide

Kiefernmonokultur in der Dahlener Heide 2021. Foto: J. Hansmann

Dies ist bis heute so geblieben – bisher passt noch jede Leipziger Neuanpflanzung in dieses Schema! Radkau schildert überdies, woher all diese Nadelbaumforste kamen, die heute im Laufe des Klimawandels so dramatisch absterben: Nadelbäume wachsen schnell und gerade, sind gut zu berechnen, sind schnell zu ernten und ergeben maschinell gut zu verarbeitendes Holz für die Sägewerke – man pflanzte im 19. wie auch im 20. Jahrhundert begeistert Kiefern und Fichten, nachdem man den einst auf den betreffenden Flächen wachsenden Laubwäldern den Garaus gemacht hatte. Unter diesen vernichteten Beständen dürfen wir die letzten Urwälder Europas vermuten. Was zwei Jahrhunderte gut für den Gewinn, jedoch schlecht für die Natur war, hat nun wegen der Erderwärmung ausgedient, auch wenn man vielerorts heute noch mit Zähnen und Klauen am Nadelholz hängt und selbst jetzt noch wieder mit Nadelbäumen neu aufforstet, wo eigentlich ein Laubwaldstandort wäre.

Ein neuer Wirtschaftszweig wurde nebenbei aus diesen Geschehnissen geboren: die Holzindustrie. Die Epoche der Industrialisierung verbrauchte wahnsinnig viel Holz, es gab also genug Kundschaft. Die „alten“ Wälder wurden früher von den Bauern und Bürgern auf vielerlei Weisen genutzt (Waldweide, Gräserei, Zeidlerei usw.) – diese Menschen wurden nun als Verbrecher aus den Wäldern vertrieben, welche die Bevölkerung bisher als Allgemeingut wahrgenommen hatte. Teilweise gab es regelrechte Kämpfe um den Wald. So wurden auch in Leipzig Soldaten gegen Bürger und Bauern eingesetzt, welche weiter auf ihren althergebrachten Rechten bestanden. Wirtschaftsförderung war aber wie oft Ziel staatlicher Politik, es gab ja auch bald erste Staatsforsten – und somit war klar, dass mit den Menschen auch der „alte“ Wald 8, vielfältig und durch seine Anwohner kleinteilig genutzt, zugunsten der noch heute bestehenden Kunstforsten mit all ihren ökologischen Problemen fast flächendeckend zurückgedrängt wurde.

Das gesamte Instrumentarium der Forstwirtschaft (und somit auch die Forsteinrichtung) läuft mehr oder weniger darauf hinaus, naturferne Kunstforste aus Monokulturen zu erzeugen und zu bewirtschaften. Besondere Formen der Waldnutzung wie Dauerwald, Plenterwald etc. haben sich bereits vor langer Zeit, teilweise aus Bauernwäldern, entwickelt, doch sie spielen bis heute leider nur Nebenrollen. Zu verlockend ist das einfache, schematische Arbeiten mit Kunstforsten, welche eher Setzkästen oder Fächern in einem Baumarkt ähneln als richtigen, d.h. natürlichen oder wenigstens naturnahen Wäldern.

Kunstforst Tresenwald

Naturferner Kunstforst im Tresenwald April  2021. Links das Sortiment Kiefer, rechts das Sortiment Eiche: man möchte meinen, man steht im Baumarkt. Foto: J. Hansmann

In der modernen Zeit spielen zudem neue Maschinen wie Harvester und Forwarder eine Rolle bei der Gestaltung dieser Kunstforste, die nichts mehr mit einem natürlichen Wald gemein haben. Diese Maschinen befördern die technische Gestaltung der Kunstforste bis heute ins Extreme. Dabei ist der Wald unterteilt in Vierecke (forstliche Abteilungen), auf denen jeweils Bäume von gleicher Art und gleichem Alter stehen. Dazwischen verlaufen Wege, damit man von allen Seiten an die Bäume kommt, wenn sie reif sind zur Fällung. Wenn Bäume in einer Abteilung reif sind, werden sie auf der betreffenden Erntefläche komplett abgeholzt und neue Bäume aus der Baumschule gepflanzt. Mit einer echten natürlichen Waldlebensgemeinschaft hat all dies allerdings rein gar nichts mehr zu tun. Wie groß die Flächen sind und wie dicht das Wegenetz, wird bestimmt durch die Forstmaschinen. Horst Stern schrieb prophetisch 1976:

„Am Ende werden wir, wenn der noch immer virulente Gedanke der forstlichen Gewinnmaximierung nicht endlich stirbt, nicht den menschenfreundlichen, sondern den maschinenfreundlichen Wald haben … flurbereinigte Holzäcker zwischen Rückegassen.“9

Rückegasse Oberholz

Rückegasse im Oberholz 2021. Foto: J. Hansmann

Und wenn man durch die Dübener oder die Dahlener Heide, den Tresenwald, die Prellheide usw. fährt oder wandert, durch den Harz, durch den Fläming, im Vogtland, aber auch in Bayern, Niedersachsen und sonst wo hinschaut – muss man sagen, Horst Stern hat vorausgesehen, was passieren wird. Und ja – auch den Rückegassen und neu angelegten Kulturen im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ ist zwangsläufig anzusehen, aus welchem System sie entstanden sind und worauf sie hinauslaufen werden – mit einer Schlagbohrmaschine kann man eben nur sehr schwer Schlagsahne schlagen!

Dennoch hatten die Waldungen in der Leipziger Aue vergleichsweise Glück. Vielleicht aufgrund der Nähe zu einer Großstadt gab es hier schon durch das 19. Jahrhundert hindurch bis in das beginnende 20. Jahrhundert Widerstand aus der Bevölkerung gegen die Durchsetzung des forstwirtschaftlichen Systems. Zudem war es in einer aktiven Aue auch schwer, hier forstwirtschaftlich zu arbeiten – bis die Trockenlegung der Aue erfolgte! Waren es zunächst v.a. Bauern aus den Dörfern um Leipzig, die nicht auf ihre alten Rechte verzichten wollten, folgten später die Bürger, denen die vielen Baumfällungen durch die Forstwirtschaft überhaupt nicht gefielen und welche vehement protestierten. In der Konsequenz wurden viele Waldbereiche v.a. des Leipziger Auwaldes ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch parkartig bewirtschaftet und zudem der Hiebssatz gedrosselt. In den Waldbereichen, welche weiter weg von der Stadt liegen und noch heute vom Staatsforst bewirtschaftet werden, sieht man bis heute ganz klar den Unterschied, der seine Ursachen nicht nur in der aktuellen Bewirtschaftung hat. Während auf dem Stadtgebiet weitestgehend noch ein naturnaher Auwald mit sogar vielen alten Bäumen zu finden ist, herrscht bei Sachsenforst schon lange die übliche Forstwirtschaft mit Altersklassenwald vor, welcher zwangsläufig irgendwann wieder in flächigen Kahlschlägen resultieren wird – einst mit Esche aufgeforstet, heute versucht man es mit Eiche, aber nun vielerorts auch mit Fremdbaumarten.

Femelloch Nonne

Ausgetrockneter Kahlschlag (“Femelloch”) mit sich aus Stockausschlag verjüngender Robinie im Leipziger Auwald im Sommer 2020. Foto: J. Hansmann

Auch heutige Versuche im Leipziger Auwald, Forstwirtschaft mit Naturschutz zu verbinden, sind sicher gut gemeint, überzeugen aber nicht: dafür entspricht das, was man in Leipzig als „Femellöcher“ bezeichnet, zu wenig dem, was Femellöcher sind – wir werden an anderer Stelle nochmals darauf zurück kommen 10. Ebenso wenig überzeugen die Mittelwaldflächen – die falsch gewählten Flächen sind zu groß, es wurden zu wenig Überhälter belassen, es wurde bodenschädigend mit schweren Maschinen gearbeitet – es sind die falschen Werkzeuge, die verwendet werden. Mit einer Axt kann man schwer eine feine Figur schnitzen! Prinzipiell muss man aber v.a. in einem FFH-Gebiet auch nichts schnitzen, denn eine Waldlebensgemeinschaft kann sich immer wieder neu organisieren, sofern man nicht den Waldboden als Lebensgrundlage komplett zerstört hat.

Was bedeutet aber nun eine Forsteinrichtung nach heutigem Sinne? Das Landeszentrum Wald Sachsen-Anhalt 11 hat eine Definition parat:

„Periodische, mittelfristige Planung im Forstbetrieb zur Erfüllung aller Funktionen des Waldes. Grundlage ist die Zustandserfassung des Waldes einschließlich Flächen, Verwaltungs- und Rechtsverhältnissen und der Waldfunktionen sowie die kritische Würdigung der Waldentwicklung und des Vollzuges der vorangegangenen Betriebsregelung.“

Natürlich findet man auch etwas auf Wikipedia zur Forsteinrichtung:

„Die Forsteinrichtung (früher auch Taxation beziehungsweise Forsttaxation oder Forstabschätzung genannt) dient in der Forstwirtschaft der Betriebsregelung und ist damit ein Führungs- und Planungsinstrument für den Forstbetrieb. Sie beinhaltet die Erfassung des Waldzustandes, die mittelfristige Planung und die damit verbundene Kontrolle der Nachhaltigkeit im Betrieb. Darüber hinaus wird im Sinne eines Controllings der Vollzug im abgelaufenen Planungszeitraum den zugrundeliegenden Zielvorgaben gegenübergestellt … Die multifunktionale Ausrichtung der Forstwirtschaft (Holzproduktion, Natur- und Biotopschutz, Wasser-, Klima-, Lärmschutz und vor allem die Erholungsfunktion) bedingt, dass die Forsteinrichtung nicht nur die Nachhaltigkeit der Holznutzungen überprüft und steuert, sondern die gesamten „Wohlfahrtswirkungen“ des Waldes auf Betriebsebene einer Analyse unterzieht und entsprechende Handlungsvorgaben erarbeitet.“ 12

Das bedeutet: der Forstbetrieb schaut regelmäßig (bspw. alle 10 Jahre): was haben wir für Waren da (lebende Bäume = später zu erntendes Holz), was wurde geerntet an Waren, muss neue Ware nachgepflanzt werden?

Dazu werden ein paar Rahmeninformationen gegeben (was sehr praktisch ist, wenn bspw. ein neuer Mitarbeiter den Wald übernimmt) und in der heutigen Zeit versucht man überdies, neben der Holzproduktion bspw. Natur- und Biotopschutz usw. mehr zu beachten.

Aber wie soll ein Förster oder ein Forstbeamter analysieren und überprüfen, ob bspw. für Natur- und Biotopschutz genug getan wurde oder ob hier irgendwie nachgesteuert werden müsste? Dafür bräuchte es ja flächendeckende und mehrjährige umfassende Monitorings, welche es im Leipziger Auwald nicht genügend und nicht weit genug zeitlich zurück reichend gibt. Dies ist ja auch eine gigantische Aufgabe – wir können verstehen, DASS es diese Monitorings nicht gab und noch nicht gibt – ABER deswegen KANN eine Forsteinrichtung hier auch nur so tun, als OB sie überprüfen würde, ob Naturschutz- und Biotopschutz ausreichend beachtet wurden. Für Natur- und Biotopschutz zu sorgen ist ja auch eigentlich nicht die Aufgabe einer Forsteinrichtung und auch nicht die Aufgabe eines Försters oder Forstbeamten. Es sind die falschen Werkzeugkästen, die hier verwendet und die nicht dazu ausgebildeten Personen, die dazu eingesetzt werden.

In Zeiten des Klimawandels, in welchem die Mankos der sog. ordnungsgemäßen Forstwirtschaft nun für wirklich alle Augen sichtbar werden, sind die alten Werkzeugkästen und Werkzeuge ohnehin zu überdenken. Wenn ich merke, dass mein Werkzeug für sich neu ergebende Umstände nicht mehr gut funktioniert – muss ich mein Werkzeug anpassen oder mir neue Werkzeuge ausdenken. Es gab und es gibt zudem schon lange Alternativen, welche natürlich nicht so bequem sind wie ein Altersklassenwald, dafür aber sowohl für den Wald als Lebensgemeinschaft im Klimawandel besser sind – als auch für Naturschutz, Artenschutz, Bodenschutz usw. usf. Man müsste sich also nicht mal was ganz Neues ausdenken, man müsste nur über Tellerränder schauen.

In einem FFH-Gebiet tut aber eine Forstwirtschaft an sich gar nicht Not (auch wenn es wiederholt durch die Forstwirtschaft so dargestellt wird, was menschlich nachvollziehbar ist). Hier sollten Natur- und Biotopschutz in einer Forsteinrichtung nicht nur nebenbei berücksichtigt werden – und dann auch nicht durch Menschen, die dafür gar nicht ausgebildet sind. Natur- und Biotopschutz sollten eher die Hauptrolle spielen und es sollte umfassende Naturschutzkonzepte geben, die dann, wenn diese denn überhaupt sein muss, eher der Forstwirtschaft den Rahmen vorgibt – statt dass Forstwirtschaft das Maß für den Naturschutz festlegt.

Wir (GRÜNE LIGA Sachsen, NuKLA e.V., Aueninstitut f. Lebendige Flüsse) werden die Geschehnisse um den Leipziger Auwald und die kommende Forsteinrichtung weiter beobachten. Es soll dafür eine FFH-Prüfung und eine Verbandsbeteiligung geben, wie wir in der Stadtratssitzung am 24.03.21 hörten. Nun – auch wenn wir der Meinung sind, dass hier aus der falschen Richtung mit falschen Werkzeugen an die Sache gegangen wird – werden wir uns natürlich dennoch gern beteiligen.

Aber wir verstehen nicht, warum der Stadtrat solche Hoffnungen in die Forsteinrichtung als solche setzt – grundlegende Probleme werden damit nicht gelöst werden – und v.a. die Aue wird davon auch nicht revitalisiert! Eine Schlagbohrmaschine taugt halt nicht für Schlagsahne – und mit Äxten kann man nicht fein schnitzen.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann (Aueninstitut für Lebendige Flüsse)

 

2 Darüber hinaus nur kurz weiter gedacht: Auch Werkzeuge müssen sich den Gegebenheiten der Zeit anpassen, waren einst Faustkeile das Non-Plus-Ultra im steinzeitlichen Baumarkt, gibt es heute natürlich ganz andere Werkzeuge – und so wird es zwangsläufig auch dem großen Werkzeugkasten namens Forstwirtschaft (und damit auch dem Werkzeug Forsteinrichtung) gehen – doch dies kann in Zukunft an anderer Stelle vertieft werden und soll hier nur angedeutet bleiben.

5 Karl Czok, „Geschichte Sachsens“, Weimar 1989, S. 263

6 Joachim Radkau: „Holz – Wie ein Naturstoff Geschichte schrieb“, München 2018, S. 160

7 Joachim Radkau: „Holz – Wie ein Naturstoff Geschichte schrieb“, München 2018, S. 162

8 Natürlich gab es in Deutschland auch schon vorher regional bspw. Waldrodungen u.Ä., bspw. im direkten Umfeld großer Salinen, Glashütten oder Werften. Auch gab es durchaus punktuell Fälle, wo Wälder zu intensiv genutzt wurden (bspw. durch zu intensive Beweidung). Dies bedeutet: was wir „alter“ Wald nennen, muss im Verlauf von Zeit und Raum nicht immer und überall „besser“ für die Natur gewesen sein als ein moderner Kunstforst, aber im Gegensatz zur heutigen Zeit der Globalisierung waren intensive Eingriffe räumlich und zeitlich begrenzter.

9 Hans Dieter Knapp, Siegfried Klaus, Lutz Fähser (Hrsg.): “Der Holzweg – Wald im Widerstreit der Interessen”, München 2021, S. 17

10 Kurz gesagt, die Flächen sind zu groß und werden in viel zu kurzer Zeit angelegt – dies werden wir aber gern bei anderem Anlass noch näher erläutern.

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