“Peter Wohlleben vermittelt kein Wissen, sondern betreibt Unterhaltung”! Das muss sich anscheinend ausschließen.

Kunstinstallation Leipziger Auwald. NuKLA

Kunstinstallation Leipziger Auwald. NuKLA

Eine Auslese aus den Kommentaren zum Spiegel-Interview mit Herr Halbe über die Ansichten und Aussagen von Peter Wohlleben.

Man kann Peter Wohlleben manches unterstellen, nicht jedoch Unwissenschaftlichkeit oder (ideologische) Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppierung. Zu unbeirrt geht er seinen Weg, zu umfangreich sind in allen seinen Büchern die Literaturnachweise der seinen Äußerungen zu Grund liegenden wissenschaftliche Forschungen zum Ökosysstem Wald. Die Weigerung, sich mit diesen Studien und Untersuchungen und deren Ergebnissen tatsächlich zu befassen und diese genauso wissenschaftlich fundiert zu widerlegen, macht die Argumentation von Herrn Halbe u.a. zwangsläufig ziemlich tendenziös, polemisch und manchmal sogar etwas peinlich.

Hier das Interview:

Hier finden Sie aus den recht zahlreichen Kommentaren zu diesem Spiegel-Interview die eines “Peter”, die sich einige Aussagen von Halbe “zur Brust genommen” hat:

Zitat Torben Halbe: „Aber hier geht es zunehmend um Politik und um die Zukunft der Waldbewirtschaftung.“

Und wie hält es Torben Halbe mit Politik und Industrie?
Bei Torben Halbes Kritik an Peter Wohlleben muss man nämlich bedenken, dass er KEIN unabhängiger Wissenschaftler ist, sondern beim Deutschen Forstwirtschaftsrat arbeitet.
Da in der Mehrzahl der deutschen Forste intensive Forstwirtschaft betrieben wird, die vor allem einen möglichst großen Holzertrag u. Profit zum Ziel hat, drängt sich der starke Verdacht auf, dass Torben Halbe nicht nur eine rein wissenschaftlich-akademische Meinung äußert, sondern auch oder sogar zum Großteil die Interessen der deutschen Forstindustrie vertritt.

Es wäre ja nicht das 1. Mal, dass eine Industrielobby vermeintlich „unabhängige“ Fachleute vorschickt, um ihren Argumenten einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.
Siehe z. B. die Stellungnahme von Dieter Köhler und weiteren 111 Lungenärzten u. Professoren, dass Stickoxide u. Feinstaub angeblich doch nicht so gesundheitsschädlich wären und dass die deutschen Grenzwerte zu niedrig lägen. Hinterher stelle sich heraus, dass durch falsche Ausgangswerte und Rechenfehler Stickoxidkonzentrationen um den Faktor 100 bis 1000 verfälscht waren. Einige Passagen waren 1 zu 1 von Texten des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), von Daimler u. anderen Konzernen übernommen worden, ohne dies als Zitate kenntlich zu machen. All das widerspricht völlig der guten wissenschaftlichen Praxis.
Wissenschaftler*innen müssen bei Veröffentlichungen eigentlich auch offenlegen, von wem sie Geld erhalten o. erhalten haben, damit wissenschaftliche Fachzeitschriften, andere Medien und die Öffentlichkeit eventuelle Interessenkonflikte erkennen und bewerten können.
Zitat Torben Halbe: „Dieser Umstand ist eine ganz wichtige Motivation für mich, die Thesen zu widerlegen. Wenn er nur schöne Geschichten über den Wald erzählen würde, dann wäre das alles nicht so dramatisch.“

Torben Halbe kann gerne versuchen, die Thesen in Peter Wohllebens Büchern mit wissenschaftlichen Methoden zu widerlegen.
Dies steht ihm als Wissenschaftler frei. Denn so funktioniert ja die Wissenschaft, dass Hypothesen u. Theorien immer wieder von anderen Fachleuten überprüft werden und bei Widersprüchen verworfen werden müssen oder an neue Erkenntnisse angepasst werden müssen.

Dass Torben Halbe es schafft, alle Thesen in Peter Wohllebens Büchern zu widerlegen, ist aber extrem unwahrscheinlich.
Denn die allermeisten Thesen in Peter Wohllebens Büchern stammen aus hunderten von wissenschaftlichen Veröffentlichungen (die auch in den Büchern zitiert werden).
Torben Halbe müsste also nachweisen, dass hunderte bis tausende von unabhängigen Wissenschaftler*innen falsche Methoden benutzt hätten, oder sich verrechnet hätten, und/oder dass sie Messungen manipuliert bzw. Ergebnisse gefälscht hätten.
Dies wäre schon längst anderen Wissenschaftler*innen und auch den Prüfer*innen der wissenschaftlichen Fachzeitschriften (bei denen die Veröffentlichungen eingereicht wurden) aufgefallen. Wissenschaftliche Fachzeitschriften prüfen sehr streng Methoden, Rechnungen, Darstellung u. statistische Auswertung der Ergebnisse usw., bevor sie ein Paper überhaupt veröffentlichen. Denn wenn in einer o. gar mehreren Veröffentlichungen etwas manipuliert o. anderes falsch wäre, wäre auch der Ruf der Fachzeitschrift beschädigt.
Zitat Torben Halbe: „In einem unbewirtschafteten Wald ist die Kapazität, Kohlenstoff aufzunehmen, irgendwann ausgeschöpft“

In intensiv bewirtschafteten Forsten ist Speicherfähigkeit für Kohlenstoff noch viel eher ausgeschöpft:
Kahlschläge sorgen dafür, dass viel Sonnenlicht auf den Boden trifft u. sich dieser stärker erwärmt. Das führt dazu, dass deutlich mehr Humus vom Mikroorganismen u. Tieren mineralisiert wird, wobei viel CO2 entsteht.

Auf Kahlschlägen ist auch die Bodenerosion erhöht, davon ist zuerst die obere Humusschicht betroffen. Ohne Baumkronen fällt Regen ungebremst auf den Boden u. spült Boden weg. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass in Forsten oft mit schweren Maschinen gearbeitet wird, die den Boden verdichten, so dass weniger Regenwasser versickert u. viel mehr oberflächlich abfließt. Das erhöht die Hochwassergefahr.

Bodenverdichtung verringert auch die Anzahl an Regenwürmern, welche sonst viel Laub in den Boden ziehen u. viel Kot mit langlebigen Ton-Humus-Komplexen bilden. Wenn die Regenwurm-Anzahl geringer ist, wird weniger Humus in tiefere Bodenschichten gebracht, wo Humus deutlich langsamer abgebaut wird.

Über großen Kahlschlägen weht auch der Wind im Durchschnitt stärker, trägt mehr feine Bodenpartikel fort u. trocknet den Boden stärker aus.

2018 und 2019 konnte man beobachten, dass am Rand von Kahlschlägen viele Bäume auf Grund der Trockenheit abstarben. Weiter drinnen im Forst war die Austrocknung des Bodens meist geringer.
In vielen Naturschutzgebieten, Kernzonen von Nationalparks usw., wo gar keine Bewirtschaftung stattfindet, war der Trockenstress meist am geringsten.

Aus Klimaschutzgründen bräuchten wir deutlich mehr Wälder, die nicht bewirtschaftet werden. Bisher machen diese nur 1-2 % der gesamten Waldfläche aus. Es müssten auch neue Wälder auf bisher waldfreien Flächen gepflanzt werden, z. B. auf Landwirtschaftsflächen, auf denen die Erträge dauerhaft gering sind, in den kahlen Mondlandschaften von Tagebauflächen, usw.
Zitat Torben Halbe: „Betrachtet man nur wenige Jahrzehnte, mag es richtig sein, dass die Kohlenstoffaufnahmefähigkeit des Waldes steigt, wenn man ihn in Ruhe wachsen lässt. Aber sobald die ersten Bäume absterben … beginnen Zersetzungsprozesse, die Kohlenstoff wieder freigeben.“

Was Halbe völlig außer Acht lässt, ist das in einem Wald nicht nur in den Bäumen, sondern auch im Boden viel Kohlenstoff gespeichert wird. Ein natürlicher mitteleuropäischer Wald hat ein weitgehend geschossenes Kronendach, es gelangt nur wenig Sonnenlicht zum Boden. Dadurch herrscht in der Streuschicht u. im darunterliegenden Boden ein kühles, feuchtes „Kellerklima“, in dem Laub, tote Stämme, abgestorbene Wurzelhaare u. Wurzeln, tote Mikroorganismen, Tierkot usw. zum großen Teil in Humus umgewandelt werden. Darunter ist viel Dauerhumus, welcher zum Teil über Jahrhunderte u. Jahrtausende erhalten bleiben kann, also ein Langzeit-Kohlenstoffspeicher ist.
Durch das kühlfeuchte Milieu im Boden wird nur wenig Humus mineralisiert, so dass nur relativ wenig CO2 entsteht. In der Summe wird über Jahrhunderte u. Jahrtausende mehr Humus aufgebaut als abgebaut. Nach der Eiszeit war an vielen Stellen kein Humus vorhanden, sondern z. B. nackter Fels o. reine Sand- u. Schotterflächen. Durch den Bewuchs mit krautigen Pflanzen u. später mit Wäldern u. durch die zugehörigen Mikroorganismen u. Bodentiere bildeten sich Böden. Wo jahrtausendelang Wälder wuchsen u. keine Menschen rodeten, bildeten sich dicke Bodenschichten mit hohem Humusgehalt.
Es gibt wissenschaftliche Studien darüber, wie viel CO2 in Wäldern u. Forsten aufgenommen u. gespeichert wird. Dabei fand man, dass in Wäldern, die nicht bewirtschaftet werden, der meiste Kohlenstoff gebunden wird. Am zweitmeisten Kohlenstoff wird in extensiv bewirtschafteten Forsten gebunden, das heißt dort werden ab u. zu einzelne Bäume gefällt, aber es gibt keine Kahlschläge.
Zitat Torben Halbe: „Auch in unserem Körper finden sich jede Menge Stoffflüsse – und trotzdem sagen wir nicht, das Herz habe die “gute Absicht”, sich um die anderen Organe zu kümmern.“

Halbes Vergleich mit dem menschlichen Körper ist ein sehr schlechter Vergleich, denn bei den Stoffflüssen zwischen Bäumen (u. sehr oft auch Pilzen) handelt es sich ja um einen Stoffaustausch zwischen verschiedenen individuellen Lebewesen.

Zitat Halbe: „Da sich eine Pflanze nicht bewegen kann, erscheint Schmerz hier jedoch sinnlos.“

Es gibt auch Tiere, die sich nicht bewegen, z. B. Korallen, Seepocken usw., bei denen jedoch trotzdem eine Verletzung zu Reizen (elektrischen u. chemsichen Signalen, die im Körper weitergeleitet werden) führt. Evolutionär würde es Sinn machen, dass Pflanzen eine Verletzung (z. B. ein von einer Raupe angefressenes Blatt, ein Astbruch durch Sturm) wahrnehmen u. darauf reagieren, z. B. die Wunde zu schließen und Abwehrstoffe gegen tierische Fressfeinde u. in Wunde eindringende Schadpilze zu produzieren.

Als Wissenschaftler*in sollte man eine Aussage nicht vorschnell ausschließen.
Es sind einfach noch mehr wissenschaftliche Untersuchungen nötig, um zu klären, ob und wie Signale in Pflanzen weitergeleitet werden und ob es bestimmte Schmerzreize und dazu passende Reaktionen gibt. Vieles dazu ist nämlich noch unbekannt.

Z. B. scheinen einige Pflanzen eine Art „Gedächtnis“ zu haben: Wenn sie von der gleichen Schädlingsart ein 2. Mal (oder 3. Mal usw.) befallen werden, bilden sie schneller Abwehrstoffe gegen diese Schädlingsart, als wenn sie das 1. Mal von dieser Schädlingsart befallen werden.
Wie das genau funktioniert, ist noch nicht geklärt.
Bisher ist bekannt, dass Pflanzen keine spezialisierten Nervenzellen haben, wie sie bei Menschen u. den meisten Tieren vorkommen. Aber in Pflanzen könnten ja andere Zelltypen die „Gedächtnis“-Funktion mit übernehmen.
Zitat Torben Halbe: „Zwischen Bäumen bestehen manchmal unterirdische Verbindungen – insbesondere bei jenen, die sich durch Wurzelschösslinge vermehren. Und natürlich fließen da Nährstoffe, das ist einfach eine Frage der Diffusion.“

Es wurde nachgewiesen, dass es auch Stoffaustausch zwischen verschiedenen Bäumen gibt, die keine Wurzelschösslinge sind. Dieser Austausch läuft oft über Pilzmycelien, wobei jede Baumart oft mit ganz bestimmten Pilzarten in Symbiose lebt (Mykorrhiza).
Das zeigt, dass es sich nicht um reine Diffusion handeln kann, weil ein Baum Stoffe nicht an alle Pilzarten u. Baumarten abgibt bzw. von ihnen aufnimmt, mit denen er in Wurzelkontakt ist. Sondern ein Baum erkennt bestimmte Pilzarten bzw. Bäume der gleichen Art, mit denen sich seine Wurzeln verbinden können.
Übrigens wurde nachgewiesen, dass Bäume einer Art nicht nur bestimmte Nährstoffe über Pilzmycel austauschen können, sondern auch Signalstoffe. Wenn ein Baum von einem Schädling befallen wird, beginnt er Abwehrstoffe zu produzieren, gleichzeitig gibt er Signalstoffe über die Wurzeln an Pilzmycelien ab. Benachbarte Bäume derselben Art nehmen die Signalmoleküle aus den Mycelien auf u. beginnen ebenfalls Abwehrstoffe gegen diese bestimmte Schädlingsart zu produzieren, auch wenn die Schädlinge sie noch gar nicht erreicht haben.
Evolutionär macht das durchaus Sinn. Z. B. brauchen Rotbuchen feuchte Luft, als Jungbaum Schatten u. als Altbaum Schatten u. kühleres Mikroklima im unteren Bereich.
Würde eine Rotbuche ihre Nachbar-Rotbuchen nicht vor Schädlingen „vorwarnen“, so würden diese stärker von Schädlingen befallen werden. Dadurch könnten ihre Kronen stärker geschädigt werden, im Extremfall auch absterben. Dann würde rund um die Rotbuche in der Mitte viel mehr Sonnenlicht fallen. Das führt zu stärkerer Aufheizung u. trockener Luft, was die Rotbuche schwächt. Wenn viel Sonnenlicht auf vorher beschattete Rindenpartien fällt, kann die Rinde einer Rotbuche geschädigt werden o. sogar absterben.
Peter Wohlleben zieht in seinen Büchern gerne Vergleiche u. Analogien, auch zum Menschen, um Themen auch für Menschen verständlich zu machen, die kein wissenschaftliches Fachstudium haben. Dabei erzählt er aber keine „Märchen“ u. macht auch keine aus der Luft gegriffenen „esoterischen“ Aussagen, sondern er beruft sich in seinen Büchern auf sehr viele wissenschaftliche Quellen, wobei die Namen der Fachleute u. das Institut, die Universität etc. genannt werden, so dass man bei Interesse die jeweilige wissenschaftliche Veröffentlichung nachlesen kann. Im jedem von Wohllebens Büchern gibt es hinten ein Quellenverzeichnis, darunter sind sehr viele wissenschaftliche Veröffentlichungen, die von angesehenen Fachzeitschriften mit Peer Review angenommen wurden. Das heißt, es hat vor der Veröffentlichung eine unabhängige wissenschaftliche Kontrolle stattgefunden, ob die Autor*innen die passenden Methoden gewählt haben u. ob ihre Ergebnisse korrekt sind.
Wissenschaftliche Veröffentlichung aus der Ökologie, Botanik usw. bedienen sich der wissenschaftlichen Fachsprache u. sind meist auf Englisch, so dass ein großer Anteil der deutschen Bevölkerung diese nicht lesen u. vollständig verstehen wird.

Einige Wissenschaftler*innen kritisieren Peter Wohlleben vor allem deshalb, weil er sich nicht einer wissenschaftlichen Fachsprache bedient bzw. weil er durch Analogien zum Menschen angeblich Bäume zu sehr „vermenschlichen“ würde. Aber was ist denn schlimm daran, wenn jemand Bücher schreibt, um wissenschaftliche Themen allgemeinverständlich dazuzustellen?
Es sollte eher ein Ansporn für Wissenschaftler*innen sein, ihre Forschungsthemen u. Ergebnisse öfter allgemeinverständlich zu kommunizieren, nicht nur in Büchern, sondern auch in anderen Medien (z. B. Webseiten, Blogs, Zeitungen, Zeitschriften usw.).
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