Offener Brief zur Abstimmung über den Forstwirtschaftsplan 2021 bei der nächsten Stadtratssitzung

Fällungen im Auwald
Foto: J. Hansmann

Sehr geehrte LeserInnen dieser Seiten,

hiermit geben wir Ihnen folgenden Offenen Brief zur Kenntnis, welchen wir an die Stadträtinnen und Stadträte der Stadt Leipzig senden, da diese am kommendem Mittwoch, dem 24.03.2021, über den Forstwirtschaftsplan 2021 und seine Anhänge (“Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum”, Maßnahmenliste zur Herstellung der Schutzgebietsverträglichkeit) entscheiden werden.

Zwar sind im Forstwirtschaftsplan 2021 nur Maßnahmen zur sogenannten Jungbestandspflege konkret angedacht, aber invasive forstwirtschaftliche Projekte und Maßnahmen wie das Mittelwaldprojekt, Femellöcher etc. sind als Methode aber auch erforderlich angesehene Maßnahmen Bestandteil der “Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum”. Diese “Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum” soll über 2021 hinaus gelten, trägt weiterhin diese invasiven Vorgehensweisen und soll sie ggf. auch zukünftig legitimieren – bizarrerweise unter dem Deckmantel “Naturschutz”.

Warum in einer “Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum”, welche dem Naturschutz dienen soll, Niederwald und eine Erhöhung der Derbholzmengen gefordert werden, können wir uns nur so erklären, dass hier verschleiert der Auwald weg von einem naturnahen Waldökosystem hin zu einer Art getarnten Kurzumtriebsplantage umgebaut werden soll. Eine solche Plantage wird dann nichts mehr mit einer Waldlebensgemeinschaft zu tun haben. Aber da die Stadt laut Presseberichten bis 2024/25 ein Biomassekraftwerk bei Kulkwitz nahe Leipzig bauen will, in welchem Holz vorwiegend aus dem Leipziger Auwald zur Energie-Erzeugung verbrannt werden soll, und ein solches Biomassekraftwerk einen unglaublich hohen Holzverbrauch hat, wäre dies zumindestens ein logischer Grund für die Forderung nach mehr Derbholz im Leipziger Auwald. Auch wenn man diese als “gut für den Auwald” und Erhöhung des Totholzanteils tarnt.

Zudem enthalten Forstwirtschaftsplan 2021 und Anhänge nicht evaluierte Behauptungen
sowie nicht-evidenzbasierte Aussagen, diverse Fehlschlüsse, Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten.

Aber lesen Sie selbst unseren Offenen Brief. Im Anhang, den wir diesem Brief beifügen und welchen auch Sie hier lesen können, finden Sie darüber hinaus weiterführende Informationen. In einem weiteren Beitrag, der in wenigen Tagen hier auf dieser Website erscheinen wird, werden wir überdies über bereits bestehende Dürreschäden im Kontext mit forstlichen Eingriffen der Vergangenheit informieren.

Aber lesen Sie zunächst unseren Offenen Brief:


Offener Brief an den Stadtrat betreffs des FWP 2021 (Vorlage VII-DS-02132)

Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,

bei der kommenden Stadtratswahl am 24. März 2021 werden Sie über den Forstwirtschaftsplan 2021 abzustimmen haben. Auf den ersten Blick mag der Ihnen vorliegende Forstwirtschaftsplan durchaus logisch und vernünftig erscheinen, so dass die Abstimmung darüber als eine reine Formalie erscheinen könnte. Bei näherer Betrachtung jedoch werden im Forstwirtschaftsplan nicht evaluierte Behauptungen sowie nicht-evidenzbasierte Aussagen, diverse Fehlschlüsse, Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten erkennbar. Wir werden im Anhang zu diesem Brief näher darauf eingehen.

Brisanter ist: Der Auwald soll nach Bekunden des Freistaates, der Stadt, der Wissenschaft sowie dem Wunsch zahlreicher BürgerInnen wieder eine lebende Aue werden. Zukünftig anstehende Revitalisierungsmaßnahmen werden jedoch im Forstwirtschaftsplan 2021 in keiner Weise berücksichtigt.

Offenbar fanden zudem grundlegende Untersuchungen wie die Starkbaumkartierung nur lückenhaft statt. Oder sind die Karten im Forstwirtschaftsplan 2021 falsch? Das aber dürfte in einem offiziellen Dokument der Stadt nicht passieren! Große Bereiche, in denen es nachweislich Starkbäume gibt, von denen einige Brutbäume des Eremiten (stark gefährdet) sind, verzeichnen in der Starkbaumkartierung keine Einträge.

Allein wegen dieses Mankos sollte dieser Plan nicht beschlossen werden.

Als Novum gegenüber den bisherigen enthält der Forstwirtschaftsplan 2021 in Anlage die „Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum“, welche über 2021 hinaus gelten und zusammen mit dem Forstwirtschaftsplan beschlossen werden soll. Mit den vorgelegten fachlichen Aussagen resp. der fachlichen Grundlage ist diese Handlungsrichtlinie weder zielführend, noch dient sie dem Schutzgebietssystem, weil sie ökosystemaren Zusammenhängen einer Aue nicht gerecht wird.

Auch hierbei wird die geplante Revitalisierung in keiner Weise berücksichtigt.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Verfahren sind zudem eher schädigend für den Leipziger Auwald – oder teilweise auch unklar formuliert. Große Bereiche des Auwaldes (die Burgaue) als Verbreitungs-Schwerpunkte wichtiger FFH-Arten werden zudem in dieser Handlungsrichtlinie nicht thematisiert.

Im Forstwirtschaftsplan 2021 sowie der „Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum“ wird gemäß der aktuellen Forsteinrichtung erneut erwähnt, man wolle „historische Bewirtschaftungsformen, wie Niederwald, Mittelwald und Hutewald“ weiterhin umsetzen. Das Mittelwaldprojekt in der Burgaue ist sicher allseits bekannt, an der Lauer werden bereits 3,8 Hektar als Niederwald bewirtschaftet. Eine Ausweitung dieser Projekte auf weitere Flächen des Auwaldes können wir jedoch nicht empfehlen.

Niederwald spielte in der Geschichte des Leipziger Auwaldes nur eine nebensächliche Rolle, laut Literatur gab es diese Waldbetriebsform in sehr wenigen Bereichen – sie war zu keiner Zeit für die Leipziger Aue prägend. Niederwald hat nachweislich hier so keine merkliche Tradition. Bekanntlich ist von Niederwald, als einer intensiven forstlichen Bewirtschaftungsform keine ökologische Aufwertung des Auwaldes zu erwarten, da die eingesetzten Baumexemplare allenfalls 15 bis 30 Jahre an Höchstalter erreichen dürften. Totholz wird hier nicht in größerem Maße entstehen. Laut Literatur können temporär einige Offen- und Halboffenlandarten von speziellen Stadien eines Niederwaldes profitieren, welche aber im Arteninventar eines Auwaldes keine spezifische Rolle spielen. Aufgrund weiterer zu erwartender Trockenzeiten könnte eine Schaffung von Niederwald sogar zum Verlust von Waldbeständen führen – was niemand wünschen kann! Wir können vermuten, dass man diese Waldwirtschaftsform zur Gewinnung von Biomasse für die geplanten Biomassekraftwerke der Stadt Leipzig weiter einführen will? Oder handelt es sich um reine forstliche Experimente? An der Lauer könnte dieses Experiment weiter geführt und beobachtet werden, aber es sollte auf diese Flächen beschränkt bleiben.

Wir raten auch v.a. von der Fortführung des Mittelwaldprojekts entschieden ab. Hier besteht wiederum die Gefahr, dass durch die Auflichtung des Waldes verstärkt Trockenschäden auftreten werden. Wie bei Beginn dieses Projekts bereits geschehen, müssen im Falle einer Fortführung weitere zahlreiche Starkbäume gefällt werden. Diese Maßnahme ist schon allein wegen der Vorkommen der geschützten Mopsfledermaus abzulehnen, weil unseres Wissens nach immer noch keine Erfassung der Wochenstubenkomplexe dieser stark gefährdeten Art vorliegt.
Ihre Vorkommen befinden sich jedoch nachweislich auch in der Burgaue!

Das Mittelwaldprojekt ist übrigens unter Wissenschaftlern hochumstritten. Es wurde u.a. von Prof. Dr. Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde kritisiert. Auch beim Mittelwaldprojekt könnte es sein, dass hier langfristig die Intention ist, Biomasse zu gewinnen und man meint, man könne Energiegewinnung und ein geschütztes FFH-Gebiet unter einen Hut bekommen. Immerhin soll laut Presse das geplante neue Biomassekraftwerk in Kulkwitz seinen Bedarf größtenteils aus der Waldbewirtschaftung der Stadt Leipzig beziehen – es handelt sich hier um gigantische Mengen an Holz, die benötigt werden würden! Wir zitieren: „Das Biomassekraftwerk soll aber voraussichtlich mit Biomasse u. a. aus Waldrestholz aus der Waldbewirtschaftung und auch signifikant mit Volumina aus der Bewirtschaftung in der Stadt Leipzig beliefert werden. Es werden ca. 80.000 Tonnen trockenes Holz benötigt.“ (Artikel auf www.l-iz.de vom 15.03.21)

Die Burgaue erfordert einen besonderen Schutz, da sie einerseits sehr gute Relikte der für Leipzig typischen Hartholzaue aufweist, die durch die Revitalisierung gefördert werden würden. Zudem werden sich die Standortbedingungen in absehbarer Zeit grundlegend ändern, sobald die Maßnahmen der umfassenden Revitalisierung greifen. Die Fortsetzung des Mittelwaldprojektes und weiterer Auflichtungen sowie künstlicher Aufforstungen sind somit auenökologisch sinnlos und schädlich für den Auwald.

Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, der Fortsetzung der Eingriffe auf den Mittelwaldflächen sollte auch deshalb nicht zugestimmt werden, weil bereits für die 2008 begonnene Umwandlung in Mittelwald keine langfristige Evaluation erfolgte. Daher blieb die Erfolgschance des Mittelwaldprojekts von vornherein unklar!

Der Umbau des Hochwaldes auf der Mittelwald-Umbaufläche in der Burgaue erweist sich auch im Blick auf den Klimawandel als nachteilig für den Auwald. Gemäß der Analyse von Satellitendaten durch das Kompetenzzentrum für Wald und Forstwirtschaft von Sachsenforst wurde jüngst eindeutig erkennbar, dass auf und im angrenzenden Umfeld der Mittelwaldflächen bereits jetzt Trockenschäden nachweisbar sind – und das ist kein Wunder! Vergleichbare Dürreschäden können auch mit weiteren so genannten Femelhieben der vergangenen Jahre in Verbindung gebracht werden. Es wäre unverantwortlich, wenn diese fragwürdigen waldbaulichen Experimente unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen und in Kenntnis der aktuellen Klimaprognosen weitergeführt werden würden.
Daher empfehlen wir Ihnen auch aus diesen Gründen dringend, den Forstwirtschaftsplan 2021 abzulehnen, um weitere Schäden am Leipziger Auwald zu verhindern!

Klimaprognosen geben Hinweise, die wir im gesellschaftlichem Interesse sehr ernst nehmen sollten.

Für Mitteldeutschland besteht die sehr konkrete Möglichkeit, dass die kommenden Jahre trockener und sogar noch wärmer werden. Es liegt im Interesse der Stadt Leipzig, namhafte Organisationen wie den Deutschen Wetterdienst ernst zu nehmen, der sogar mit noch drastischeren Temperaturanstiegen als bisher rechnet!

Seit Jahren fordern Naturschützer, Forstleute und Vereine, u.a. NuKLA e.V., einen sorgsameren Umgang mit dem Auwald. Demzufolge sollte jegliche Art von Eingriffen in den Auwald, wenn überhaupt, dann möglichst bedacht und behutsam und keinesfalls im Rahmen von Experimenten stattfinden.

Einzelne Wissenschaftler fordern v.a. in Bezug auf den Klimawandel generell Stopps von Eingriffen in Laubwäldern. Prof. Dr. Pierre Ibisch äußerte sich im Rahmen einer Konferenz (Thema: Wald als grüne Lunge – Braucht der Wald uns oder brauchen wir ihn?) am 10.12.2020 sogar dahingehend, dass die Möglichkeit besteht, dass auf den Flächen, die jetzt kahl geschlagen oder übermäßig aufgelichtet werden, langfristig die Gefahr eines generellen Waldverlustes besteht, da auch gepflanzte Bäume bei den zu erwartenden Temperatursteigerungen und Ausbleiben von Regen u.U. nicht mehr aufwachsen könnten!

Sehr verehrte Stadträtinnen und Stadträte, wir geben Ihnen diese Informationen hiermit zur Kenntnis und bitten um Berücksichtigung. Die Indizien verdichten sich, dass es durch weitere künstliche Auflichtungen zu nachhaltigem Schaden für das Ökosystem des Auwaldes kommen wird.

Der Klimawandel ist jedoch nicht der einzige Einfluss, der sich langfristig auf Bestand und Entwicklung des Auwaldes Leipzig auswirken wird. Der Leipziger Auwald steht vor weiteren Herausforderungen und Umbrüchen:

Die Revitalisierung ist überlebensnotwendig für den Leipziger Auwald. Eine naturnahe Auendynamik muss daher schnellstmöglich wieder geschaffen werden.

Diese Erkenntnis wird nicht erst heute bekannt, sondern wurde schon in den 90er Jahren u.a. von Prof. Dr. Gerd K. Müller formuliert. Auch Naturschutzvereine der Vergangenheit bis heute waren und sind sich der Tatsache bewusst, dass die Auenrevitalisierung unabdingbar für die Existenz des Leipziger Auwaldes ist. Ebenso ist es in weiten Teilen der Wissenschaft Konsens, dass wir als Gesellschaft die charakteristische Flussdynamik dringend wiederherstellen müssen. Zudem schreibt dies auch der Managementplan (MAP) vor, und das Bundesamt für Naturschutz macht seine langjährigen, umfangreichen finanziellen Zuschüsse davon abhängig.

Während der Klimawandel absehbar Probleme für den Bestand des Auwaldes bringen dürfte, wird jedoch die Revitalisierung den Auenstandort fördern und somit auch das Gedeihen der Waldbestände!
Die umfassende Revitalisierung kann nur „zum Guten“ des Auwaldes wirken indem sie den Charakter einer dynamischen Flussaue stärkt, wie er einst für Leipzig typisch war!

Unter Beachtung aller fluiden Begleitumstände im Auwald Leipzig ist es daher falsch, mit festen Baumartenanteilen für eine sehr ungewisse Zukunft zu planen. Es ist angesichts dieser Planungsunsicherheit falsch, mit hypothetischen Zielgrößen künstlich festgelegte Baumartenzusammenstellungen zu pflanzen: Niemand kann abschätzen, welche Baumart in fünf, zehn oder mehr als fünfzig Jahren an welchem Standort im Leipziger Auwald gut wachsen wird.

Eine Revitalisierung des Auwaldes hingegen ermöglicht nach über neunzig Jahren! – dass sich die standörtlichen Bedingungen einer lebenden Flussniederung der Weißen Elster, Pleiße und Luppe wieder einstellen und sich ein stabiler, an alle möglichen Veränderungen anpassungsfähiger Waldbestand entwickeln kann.

Vor diesem Hintergrund empfehlen wir Ihnen, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, den vorliegenden Forstwirtschaftsplan 2021 abzulehnen.

Wir fügen diesem Brief weiterführende Anmerkungen zum Forstwirtschaftsplan 2021 inkl. der „Handlungsrichtlinie Totholz und Biotopbaum“ bei. Wir werden Ihnen zudem in Kürze zur weiteren Information eine Auswertung der Satellitenbilder des Kompetenzzentrums für Wald und Forstwirtschaft von Sachsenforst betreffs der Dürreschäden im Leipziger Auwald zur Verfügung stellen, sodass Sie die Möglichkeit haben, sich umfassend zu informieren und gern auch diese Informationen nachprüfen können.

Mit freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann
Aueninstitut für Lebendige Flüsse, Leipzig


Zum Anhang geht es auch hier ab S. 4

 

 

 

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