Kolumne zum Konzert mit Dorothee Oberlinger & Edin Karamazov: Bach Dialoge am Sonntag, 27. November 2022

Kein Richtiges im Falschen: von Frank Willberg

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Unwahrheit ist nicht der Weltuntergang. Aber wo fängt das Lügen an? Das sich selbst Belügen? Und was, wenn unsere Welt doch untergeht?
Mir gehen zwei Dinge ungemein aufs Schwein, wie die Menschen in Sachsen sagen: So, wie es jetzt steht, wird unsere Welt untergehen. Zumindest endet für unsere Kinder das angenehme Leben in Saus und Braus und geht ins nackte Überleben über. Aber die meisten Menschen zeigen sich trotz der allgemeinen Tatenlosigkeit aus einem mir unerfindlichen Grund optimistisch, dass es nicht so schlimm wird. Und in den Feuilletons wird obendrein orakelt, dass diese Tatenlosigkeit und Lethargie auch noch irgendwie erklärlich wäre.

Umweltaktivisten fordern politisches Umlenken. Mit anderen Worten Druck, der Handlungsgewohnheiten wandelt. So weit wie nötig und so schnell wie möglich. Aber selbst grüne Regierungsbeteiligungen ändern wenig am Trott.
Darüber möchte ich jetzt nicht klagen. Es tut mir nur leid, meine Kinder in diese Welt gesetzt zu haben.

Vielmehr erstaunt mich, wie beharrlich Gesellschaftssysteme so sind. Wie sie sich gegen den Wandel sträuben. Was für einen Überlebenswillen sie entfalten. Denn natürlich ist nichts anderes nötig – aus Sicht des Systems. Das Ende der Geschichte kommt erst noch. Es wird das Ende des Kapitalismus sein müssen.

Wir können unseren Kindern eintrichtern, dass sie in einer freiheitlichen Demokratie leben, dass sie das stolze Recht haben, bei Wahlen ihre Stimme abzugeben. Dass sie danach allerdings sprach- und stimmlos sind. Aber keine Agitation, vielmehr ein Beispiel. Den Pflegenotstand gab es bereits vor Corona. Auch Bäckercafes mussten schließen oder ihre Öffnungszeiten kürzen, weil ihnen Servicepersonal fehlte. Aktuell hätten in Sachsen 1500 Lehrerinnnen und Lehrer eingestellt werden müssen, damit das bereits bestehende Minus nicht anwächst. Gefunden wurde 1200. Zeitarbeitsfirmen suchen händeringend Lohnsklaven. Tönnies wirbt an der ukrainischen Grenze für seine blutige Arbeit zum Mindestlohn. Ich weiß auch von einer größeren Elektrofirma in Leipzig, die tief in Osteuropa nach Fachkräften sucht.

In einer echten Marktwirtschaft müsste ein derartiger Arbeitskräftemangel einen Anstieg der Löhne und Gehälter nach sich ziehen. Angebot und Nachfrage. Bei uns jedoch haben die Arbeitsmarktreformen von Genosse Schröder das Lohnniveau künstlich und nachhaltig gesenkt. Geringfügig und prekär bleiben Beschäftigung und Entlohnung. Auch in Leipzigs noblen Konsumtempeln, wo die Kundschaft dezidiert tiefer in die Geldschatulle greifen muss, sieht das Verkaufspersonal bisweilen nur den Mindestlohn. Was für ein herber Kontrast. Aber unabhängig von solchen oder auch anderen Einzelfällen ist der Mindestlohn weit vom durchschnittlichen Einkommen von etwa 3400 Euro entfernt. Was wäre, wenn der Billiglohnsektor wieder eingestampft oder der Mindestlohn auf 25 Euro plus Inflationsausgleich geschraubt wird?

Sie ahnen es sicher: Die, die sich eine goldene Nase verdienen, tun dies bisher auf Kosten anderer und würden damit nicht aufhören. Höhere Lohnkosten würden einfach eingepreist. Der Profit bliebe unangetastet. Besonders börsennotierte Unternehmen steigern Umsatz oder Gewinn erwiesenermaßen vollkommen unabhängig von der Konjunktur. Wenn wir die Ausbeutung von Mensch und auch Natur wirklich beenden wollen, müssten wir den Reichtum gänzlich anders verteilen. Dabei träume ich gewiss nicht von sozialistischer Gleichmacherei. Nur, die Reichsten der Reichen besitzen mehr als 90 Prozent der Menschheit. Sie verbrauchen dementsprechend auch ein Vielfaches mehr an natürlichen Ressourcen. Und das wird im Kapitalismus immer so bleiben oder noch schlimmer werden. Ungleichheit, Ausbeutung und Kapitalismus sind wesensgleich.

„Grüner Kapitalismus“ ist ein Widerspruch in sich. Wir Deutschen verbrauchen pro Kopf im Jahr 16 Tonnen natürliche Ressourcen und hinterlassen 632 Kilogramm Müll. Tendenz steigend. Wir siedeln auch quietschvergnügt auf Retentionsflächen, weil wir an „Hochwasserdemenz“ leiden. Je eher wir das verstehen, desto mehr besteht doch noch leise Hoffnung, die Klimakrise gut zu überleben und unsere Lebensgrundlage nicht völlig zu zerstören. Diese existenzielle Frage beginnt schon im Auwald: Ist er Wald und Naturoase oder Forst und Objekt des Wassertourismus?

Adventskonzert. Sonntag, 27.11.2022 um 17 Uhr in der Paul-Gerhardt-kirche, Selnecker-straße, Leipzig-Connewitz mit Dorothee Oberlinger & EdinKaramazov: Bach Dialoge

Frank Willberg

Das Programm ist hier zu finden.

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